Mutmaßliche Opfer sagen vor Landgericht Lüneburg aus
"Die Kinder hätten ja NEIN sagen können": Ex-Schwimmtrainer (74) soll 84 Minderjährige missbraucht haben

Unzählige Eltern haben Bernhard S., einem ehemaligen Lehrer und Schwimmtrainer, zwischen 1996 und 2016 ihre Kinder anvertraut. Doch dieses Vertrauen hat der heute 74-Jährige auf schlimmste Weise missbraucht: Er soll sich an insgesamt 84 Kindern vergangen haben. Zwei seiner mutmaßlichen Opfer haben am Dienstag (18. April) vor dem Landgericht Lüneburg gegen ihn ausgesagt.
Übergriffe im Ferienlager: Junge musste sich nackt ausziehen
„Wieso haben Sie das getan?“ Mit dieser simplen, aber alles entscheidenden Frage wendet sich eines der vermeintlichen Opfer am Dienstag direkt an Bernhard S.. Der mittlerweile 34-jährige Mann wolle einfach nur verstehen WARUM? Denn die Besuche der Kinder-Ferienfreizeiten haben sein ganzes Leben verändert, es „um 180 Grad zum Negativen gewendet“.
Verantwortlich dafür soll Bernhard S. sein, der den damals kleinen Jungen bedrängt und missbraucht haben soll: „Auf den Freizeiten wurde ich auf Zecken untersucht. Dafür musste ich mich nackt ausziehen und er hat mich auch im Intimbereich untersucht. Auch, wenn wir gar nicht draußen waren“, erinnert sich der Zeuge vor Gericht.
Mutmaßliches Opfer bittet Bernhard S.: „Bitte schreiben Sie mir einen Brief oder rufen Sie mich an!"
Die Folgen dieser Taten beeinflussen sein Leben bis heute, erklärt der Mann weiter: Als er als kleiner Junge seiner Mutter von den Geschehnissen berichtet, soll sie ihm nicht geglaubt haben. Es beginnt eine Abwärtsspirale: Das Kind landet in der Jugendpsychiatrie, kommt in eine Pflegefamilie und anschließend in ein Heim. Als Erwachsener wird der heute 34-Jährige dann selbst übergriffig gegenüber Kindern und zu einer siebenjährigen Haftstrafe verurteilt.
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Von Bernhard S. wünscht sich er sich heute nur eins: „Bitte schreiben Sie mir einen Brief oder rufen Sie mich an. Ich will es einfach nur verstehen, um damit abschließen zu können und mich wieder um meine Kinder und meine Beziehung kümmern zu können.“ Bernhard S. sichert dem Mann zu, sich telefonisch bei ihm melden zu wollen – er wolle ihm alles erklären.
Mutmaßliches Opfer soll Massagen als "Belohnung" bekommen haben
Auf eine Erklärung wartet vermutlich auch das zweite vermeintliche Opfer, das am Dienstag vor Gericht aussagt. Ihm soll Bernhard S. noch näher gekommen sein – auch hier beginnen die Übergriffe bei Ausflügen: „Er hat meine trockene Haut eingeschmiert. Das fand ich unangenehm, weil es eine fremde Person war“, erinnert sich der heute 36-jährige Mann.
Trotzdem sehen sich Bernhard S. und der Junge damals häufiger: Es kommt zu Besuchen am Wochenende. Bernhard S. soll sich das Vertrauen des Kindes erschlichen und es gelockt haben. Mit Spielzeugen wie einer Modelleisenbahn und einem Computer sowie Versprechungen: „Wenn ich im Garten geholfen habe, gab es Belohnungen wie eine Massage.“
Bernhard S. soll sein Bett mit Jungen geteilt haben
Die Besuche bei Bernhard S. sollen sich laut Aussage des 36-Jährigen damals nicht nur auf den Tag beschränkt haben. Als Junge habe er auch die Nacht bei dem ehemaligen Lehrer und Schwimmtrainer verbracht: „Erst hatte ich mein eigenes Bett, aber dann habe ich bei ihm geschlafen.“ An einem Abend soll Bernhard S. ihn gefragt haben, ob er Analverkehr ausprobieren wolle, das habe der Zeuge aber abgelehnt. Für ihn sei der Kontakt zum Angeklagten zunächst spannend und neu, später unangenehm gewesen – irgendwann habe sich aber auch dieses Gefühl aufgelöst.
Mehrfach habe er überlegt, andere in das Erlebte einzuweihen, sich dann aber zu sehr geschämt. Auch seine Mutter soll von nichts gewusst haben. Erst als Erwachsener habe der Zeuge realisiert, was ihm widerfahren sei – auch er leide bis heute unter den Folgen.
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Ein Schicksal, das die beiden Männer verbindet – mit Auswirkungen, die auch für RTL-Reporterin Merle Upmann-Schiller, die den Prozesstag im Saal begleitet hat, spürbar waren: „Man hat beiden Opfern angemerkt, dass sie mit den Taten, die sie erleben mussten, bis heute nicht abgeschlossen haben.“
Angeklagter sammelte Fotos und Videos seiner Taten
Die Taten von Bernhard S. beschränkten sich jedoch nicht nur auf die Übergriffe: Er soll auch Belege seiner Handlungen gesammelt haben – in Form von Fotos, Videos und Listen. Auch von dem heute 36-jährigen Zeugen existieren derartige Aufnahmen. Heimlich soll Bernhard S. ihn fotografiert haben. Die Bilder zeigen das mutmaßliche Opfer nackt auf dem Bett des Angeklagten liegend.
Bernhard S. relativiert seine Sammlung vor Gericht. Die Aufnahmen seien “ja nur für den eigenen Gebrauch“ gewesen. Auch wenn er bereits zum Prozessauftakt die Tatumstände gestanden, sexuelle Absichten jedoch zurückgewiesen hat – aufrichtige Schuld scheint er nicht zu empfinden: „Ich habe das zwar gemacht, aber die Kinder hätten ja NEIN sagen können“, sagt er am Dienstag.
Urteil im Mai erwartet
Zwischen Juli 1996 bis 2001 sowie 2015 und 2016 soll sich der heute 74-Jährige an 84 Kindern in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen vergriffen haben. Sein jüngstes Missbrauchsopfer soll dabei acht, sein ältestes 13 Jahre alt gewesen sein. Ein Gutachten eines Sachverständigen ergab, dass der Ex-Schwimmtrainer und ehemalige Lehrer pädophil ist. Schuldunfähig sei er deswegen aber nicht.
Ein Urteil wird am 9. Mai erwartet, im Falle einer Verurteilung droht Bernhard S. eine Haftstrafe von 15 Jahren.
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