Frau soll K.O.-Tropfen bekommen haben und missbraucht worden sein
Vergewaltigt nach Tinder-Date: Expertin erklärt, warum Opfer sich oft schuldig fühlen
von Denise Kylla
Dieses Trauma zu verarbeiten, hat Autorin Zoe Rosi Jahre gekostet. Die 36-Jährige aus England sprach in einem Interview darüber, dass sie nach einem Tinder-Date vergewaltigt wurde. Angeblich wurden ihr davor K.O.-Tropfen verabreicht. „Vielleicht war ich einfach zu betrunken und vielleicht ist es meine Schuld“, habe sie gedacht. Ein Muster, das sich bei vielen Vergewaltigungsopfern zeigt. Im Interview mit RTL erklärte die psychologische Expertin Ruth Marquardt, warum Betroffene den Fehler oft bei sich selbst suchen.
Nach Tinder-Date vergewaltigt: Zoe Rosi spricht offen über die Tat
Zoe Rosi wollte nur einen schönen Abend haben. Nachdem sie auf der Dating-App Tinder einen netten Mann kennengelernt habe, traf sie sich mit dem Fitness-Fan in einem Pub, das erzählte sie der britischen „Daily Mail“. Zuerst sei alles gut gewesen, doch dann macht Rosi einen Fehler, den sie bitter bereuen wird: Sie lässt ihr halb gefülltes Weinglas bei ihrem mutmaßlichen Peiniger stehen und geht auf die Toilette. In dieser unbeobachteten Zeit soll der Mann K.O-Tropfen in ihr Glas gekippt haben. Von da an sei alles nur noch schemenhaft, sagte die Autorin der Zeitung. Sie erinnere sich an eine Taxifahrt, ihr Schlafzimmer und das böse Erwachen am Morgen danach. „Ich wachte mit dem Gefühl auf, Sex gehabt zu haben. Dabei war ich gar nicht dazu in der Lage, Sex zuzustimmen“, erinnert sie sich. Was folgte, seien Unsicherheit, Schuldgefühle und Scham gewesen.
Lese-Tipp: Elfjährige vergewaltigt – Täter bleibt frei
Falsche Kleidung? Deshalb fühlen sich Betroffene von Vergewaltigungen oft schuldig
Genau so geht es vielen Opfern sexueller Gewalt. Einen Grund dafür sieht die psychologische Expertin Ruth Marquardt im gesellschaftlichen Umgang mit Kleidung und Vorwürfen, die damit einhergehen. „Jede/r von uns hat das schon einmal gehört, jedes Mädchen, jede Frau: ‘Zieh dich nicht so freizügig an!’ – ‘Du bist ja sonst selbst Schuld, wenn du vergewaltigt wirst’“, sagt sie. „Solche unsinnigen und aus meiner Sicht brutalen Statements kommen von Frauen wie Männern.“ Dabei gehe es den Tätern bei Vergewaltigungen nie darum, was ihre Opfer anhatten. Vergewaltigung sei eine brutale Form der Unterwerfung zur eigenen Machtdemonstration. Aus Täterbefragungen gehe sogar hervor, dass diese sich später nicht an die Kleidung ihrer Opfer erinnern konnten.
Empfehlungen unserer Partner
Täter reden Opfern nach Vergewaltigung oft Schuld ein
Ein weiterer Faktor, der zu Schuldgefühlen führe, sei auch die Schuldumkehr. Täter würden demnach häufig Dinge sagen wie: „Du willst es doch auch – oder: Du bist schuld. Du machst mit mir, dass ich mit dir Sex haben muss.“ Dabei handle es sich um ein klares Druckmittel. „Der Täter bezeichnet sich als Opfer. Das Opfer wird zur Täterin gemacht“, so Marquardt.
Und dann sei da noch die Frage der Kontrolle. Denn die eigene Schuld bei Betroffenen „ist manchmal auch wie der Versuch, Kontrolle über eine Situation zu erlangen“. Dementsprechend würden Opfer oft danach streben, Ordnung in ihr Leben zu bringen. „Und das macht gerade (die rechtlich noch immer zulässige Waffe) K.O.-Tropfen noch einmal mehr gefährlich. Sie führen häufig dazu, dass sich Frauen in einer gedanklichen Endlosspirale mit der Frage wiederfinden: Was hätte ich tun können.“ Die traurige Antwort darauf laute allerdings: „Nichts.“
Nach Tinder-Date vergewaltigt: Schreiben hilft Zoe Rosi bei der Verarbeitung
Auch Zoe Rosi hat nichts falsch gemacht. Das habe sie aber erst lange Zeit nach dem Vorfall gelernt. Die Autorin verarbeitete das Tinder-Date und ihre Vergewaltigung in einem Roman. Darin geht es um eine Frau, die Selbstjustiz übt. Ruth Marquardt kann gut verstehen, dass es Rosi geholfen hat, das Erlebte niederzuschreiben. „Manche Frauen schreiben Gedichte, andere drehen Videos oder posten Statements auf Instagram“, sagt sie. „Auch ich selbst war in meinem Leben Betroffene sexualisierter Gewalt und kann aus eigener Erfahrung sagen: Es hilft, dem Unaussprechlichen Worte zu verleihen.“
Dadurch sei es vielen Betroffenen möglich, sich dem Geschehenen, für das es keine Worte gebe, zu nähern – oder auch sich davon zu distanzieren. Es gehe darum, mit dieser Erfahrung einen Umgang zu finden, damit das Leben irgendwie weitergehen könne.
„Alles, wofür wir einen Ausdruck finden, hilft uns im Heilungsprozess. Werden die Geschehnisse immer wieder verdrängt, die negativen Gefühle betäubt, so ist das ein großer Kraftaufwand. Ein wenig so, als würde man versuchen, über lange Zeit einen Ball unter Wasser zu drücken“, so Ruht Marquardt. „Irgendwann werden unsere Kräfte schwinden, der Ball drängt nach oben.“
Nach einer Vergewaltigung - Expertin: Es ist wichtig, den Betroffenen zu glauben
Ein wichtiger Schritt in Richtung Heilung könne gemacht werden, wenn man liebevolle Menschen um sich habe. „Die für sich stehen können und wie ein Fels in der Brandung für uns da sind, wenn wir als Betroffene sie brauchen. Mit der Botschaft: ‘Ich sehe dich in deinem Schmerz und ich glaube dir bedingungslos“, erklärt die Expertin.
Klingt nachvollziehbar, doch ist tatsächlich nicht selbstverständlich, wie man vermuten könnte. Das geht aus dem Interview mit Autorin Zoe Rosi hervor. Wie sie berichtete, habe sie sich an einen Freund und Kollegen gewandt, um Hilfe zu bekommen. Doch der ältere Mann soll versucht haben, den Vorfall herunterzuspielen. Er habe geantwortet, dass sie nichts getan habe, was Tausende anderer Frauen an einem Samstagabend nicht auch tun würden. Sie habe sich beschämt gefühlt und eine Zeit lang hingenommen, was ihr widerfahren sei.
Genau dieses Unverständnis ist in Ruth Marquardts Augen ein weiteres schweres Verbrechen. „Viele Opfer berichten, dass dies sogar traumatischer war, als die Vergewaltigung selbst. Es fühlt sich wie ein Verrat an – wie kannst du, die Person, die mich so gut und lange kennt, mir in so einer entscheidenden Sache nicht glauben?“
Lese-Tipp: Horror-Anästhesist vergewaltigt Mutter bei Kaiserschnitt-OP
Opfer, Täter und die Chance auf Heilung
Jede von Vergewaltigung betroffene Person bewältigt ihr Erlebnis unterschiedlich. Und auch auf der Seite der Täter gibt es unterschiedliche Art und Weisen, damit umzugehen. Ruth Marquardt selbst habe lange Zeit geglaubt, den Tätern sei egal, was sie getan hätten. Später erst habe sie erkannt: Auch auf dieser Seite gibt es oft Reue.
„Ich hatte einmal einen jungen Mann in meiner Beratung, der seine Schwester als Jugendlicher vergewaltigt hatte“, erinnert sie sich. „Er litt auch viele Jahre später unfassbar unter seiner Tat und war mit Ende 20 geplagt von schweren Depressionen, konnte keiner geregelten Arbeit nachgehen und lebte wie ein Schatten seiner selbst.“ Solche Täter würden nach Vergebung suchen, sagte sie. „Wenn dies ehrlich gemeint wird – und die Betroffenen offen sind für eine Entschuldigung, kann viel Heilung geschehen.“