Führte ein "schreckliches Missverständnis" zur Katastrophe mit mehr als 150 Toten?

Massenpanik in Seoul: Menschen hielten Todesschreie wohl für Jubel

Warum mussten mehr als 150 Menschen in Seoul an Halloween sterben? Zwei Tage nach der tödlichen Massenpanik in der südkoreanischen Hauptstadt läuft die Suche nach der Ursache. Inzwischen gibt es erste Hinweise, was die Katastrophe in der engen Gasse zumindest verstärkt haben könnte: Viele hielten die Todesschreie wohl für Jubel und strömten erst recht in Richtung des Geschehens.

Untersuchung nach Massenpanik im südkoreanischen Seoul

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Der Schock nach der tödlichen Massenpanik in Seoul sitzt tief.
www.imago-images.de, IMAGO/Kyodo News

„Die Menschen haben vor Schmerzen und Todesangst geschrien. Andere haben weiter hinten geglaubt, da findet eine ganze große Feier statt, da müssen wir noch mehr pushen, um ganz schnell da hinzukommen“, sagt der Journalist Anton Scholz. Er lebt seit mehr als 20 Jahren in Südkorea und recherchiert zu dem Unglück. Das „schreckliche Missverständnis“ könnte die Massenpanik demnach also zwar vielleicht nicht ausgelöst, aber zumindest deutlich verschlimmert haben, so seine Einschätzung. Lokale Medien hatten zuvor zudem über das Gerücht berichtet, ein prominenter Youtuber sei auf dem Weg zu einem Club in dem beliebten Ausgehviertel gewesen. Dies könnte ebenfalls eine Erklärung für das plötzliche Gedränge sein.

Die Katastrophe in der Millionenmetropole ereignete sich Samstagnacht (Ortszeit) in dem beliebten Ausgehviertel Itaewon, als dort Zehntausende dicht zusammengepfercht zu Halloween-Feiern zusammenkamen. Im extremen Gedränge in einer schmalen und abschüssigen Seitengasse wurden zahlreiche Menschen laut Augenzeugen und Angaben der Rettungskräfte eingeklemmt. Viele stürzten auf den Boden, erstickten, wurden zerquetscht oder totgetreten. Die meisten Opfer sind junge Frauen.

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An Halloween zu Tode gequetscht: War zu wenig Polizei in Seoul?

Einige südkoreanischen Medien kritisieren inzwischen, dass die Behörden auf den Ansturm so großer Massen und die möglichen Folgen für die Sicherheit offensichtlich nicht vorbereitet gewesen seien. Nach Informationen von Anton Scholz unter Berufung auf verschiedene Quellen sollen nur 130 bis 200 Polizisten auf der Partymeile gewesen sein – für Tausende Feierwütige. „Die Straße ist abschüssig. Am Abend, gerade wenn auch noch Alkohol fließt, wird es dort ein bisschen rutschig“, so Scholz. Viele Polizisten waren nach ersten Erkenntnissen bei politischen Protestveranstaltungen in anderen Stadtteilen.

Ob mehr Einsatzkräfte die Massenpanik hätten verhindern können, ist bisher aber reine Spekulation. Innenminister Lee Sang Min hatte am Samstag gesagt, das Unglück hätte vermutlich auch dann nicht vermieden werden können, wenn noch mehr Polizisten und Feuerwehrleute in das Viertel geschickt worden wären.

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Südkorea trauert um die Toten

Nach Angaben des Innenministeriums kamen mindestens 154 Menschen ums Leben. Bis auf einen Toten wurden demnach alle identifiziert. Weitere 149 Personen sind verletzt worden, mehr als 30 von ihnen schwer. Unter den Todesopfern befanden sich 26 Ausländer aus verschiedenen Ländern.

Präsident Yoon Suk Yeol hatte bereits kurz nach der Katastrophe angekündigt, das Unglück eingehend untersuchen zu lassen. Er rief eine mehrtägige landesweite Trauerzeit aus. Am Montag besuchte er einen Gedenkaltar für die Unglücksopfer in der Innenstadt von Seoul. Die tödliche Massenpanik sandte Schockwellen durch das ganze Land. Es war die schlimmste Katastrophe in Südkorea seit dem Untergang der Fähre „Sewol“ 2014 vor der Küste des Landes, als 304 Menschen starben. (dpa/sbl)