Digitalgipfel im KanzleramtIrgendwo zwischen Steinzeit und Zukunft: Herr Altmaier, wie digital ist Deutschland?

Aufklärungsblätter, Anamnesebogen, Einwilligungserklärung - alles in doppelter Ausführung. Der Bürokratieaufwand, den Deutschlands Ärzte auch noch in der Coronapandemie nebenher bewältigen, ist enorm. Aber die Ärzte stehen nur sinnbildlich dafür, wie sehr Deutschland in Sachen Digitalisierung hinterher hinkt. Auch das Homeschooling während der Coronapandemie hat gezeigt, wie viel Luft noch nach oben ist. Und auch ein prominenter Digitalisierungs- und Techguru hält Deutschland noch für ausbaufähig.
Da kommt ein Gipfel natürlich zur rechten Zeit: Zum Thema digitale Zukunft hat Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) Vorsitzende der großen Digital-Plattformen eingeladen.Titel der Veranstaltung: „Ausblick: Wirtschaft digital 2030“.

FDP: "Es ist eine Frage von Leben und Tod"

Um in Deutschland gegen Covid19 geimpft werden zu können, muss jeder Impfwillige 17 Seiten Papier ausfüllen, die in einem Ordner angeheftet werden. Auf der anderen Seite werden Menschen inzwischen mit Hilfe Künstlicher Intelligenz am offenen Herzen operiert. Das passt hinten und vorne nicht, findet auch die Opposition im Deutschen Bundestag.

"Es ist eine Frage von Leben und Tod, wenn in Gesundheitsämtern nur Faxe verschickt werden", sagt der stellvertretende Parteivorsitzende der FDP Johannes Vogel im Frühstart von RTL und ntv. Deshalb fordert Vogel mehr Weitblick bei künftigen Entscheidungen. „Langfristiger zu denken, das muss die Lehre aus dieser bitteren Zeit der Pandemie sein.“

Ein Problem, dass jedoch erstens kein neues und außerdem der Bundesregierung auch ebenso lange bekannt ist. „Wir sind halt eben noch nicht soweit, dass die Online-Zugänglichkeit der öffentlichen Verwaltung flächendeckend gewährleistet ist und das hätte uns in der Pandemie sicherlich geholfen“, kommentiert Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier das Problem lediglich auf dem Digitalgipfel der Bundesregierung.

Altmaier und Merkel verteidigen sich

 Bundeskanzlerin Angela Merkel, CDU, zu Beginn einer Kabinettssitzung. Berlin 05.05.2021 Berlin Deutschland *** Chancellor Angela Merkel, CDU, at the beginning of a cabinet meeting Berlin 05 05 2021 Berlin Germany Copyright: xThomasxImo/photothek.netx
Der Umstieg zum digitalen Arbeiten habe während der Coronakrise in Deutschland besser geklappt als gedacht, verteidigt Merkel.
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Und auch von der Kanzlerin kommen in erster Linie verteidigende Worte. Der Umstieg zum digitalen Arbeiten habe während der Coronakrise in Deutschland besser geklappt als gedacht. „Wir haben immer noch große Schwächen im Ausbau der Hardware, aber wir haben immerhin so viele Zoom-Konferenzen und Webex-Konferenzen und sonstige Konferenzen geschafft, die man unserem Netz gar nicht zugetraut hätte“, so die Kanzlerin.

+++ Lesetipp: So krass hat die Bundesregierung die Digitalisierung verschlafen +++

Doch wie will die Bundesregierung Deutschland aus der digitalen Steinzeit holen? Diese Antwort bleibt sie erneut schuldig.

Immerhin sind mittlerweile 90 Prozent der Gesundheitsämter schon mal mit dem digitalen System zur Kontaktnachverfolgung Sormas ausgestattet. Aber: Um eine digitale Akte anzulegen, müsse ein Mitarbeiter den Namen eines Infizierten an 16 verschiedenen Stellen eingeben.

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Die schlechte deutsche Digital-Bilanz

Die Zahlen sprechen aber eine andere Sprache. Nur Platz 12 im digitalen Vergleich der 27 EU-Mitgliedstaaten, hinter Malta, Estland und Litauen. Und auch beim EU-weiten digitalen Impfpass hängt Deutschland deutlich hinterher. Anders als die anderen Mitgliedstaaten habe Deutschland nicht digital erfasst, wer schon geimpft sei, so der stellvertretende Parteivorsitzende der FDP Johannes Vogel im Frühstart. Das aber wäre die Basis, für eine digitale Nachvollziehbarkeit der Impfung.

Aber was ist der Grund für die schleichende Digitalisierung in Deutschland? Es brauche klarere Zuständigkeiten, sagt der Präsident des Bundesverbands Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (Bitkom) Achim Berg. „Ist es der Föderalismus, ist es mangelnde Risikobereitschaft oder Entscheidungsfreudigkeit oder ist es einfach nur Zersplitterung von Verantwortlichkeiten, die wir haben. Ich glaube, es liegt eher an dem letzten Punkt, dass wir sehr viele Verantwortlichkeiten haben“, so Berg auf dem Digitalgipfel der Bundesregierung.

Musk kritisiert deutsche Bürokratie

Und noch einer findet klare Worte für die Situation in Deutschland. Tech-Gigant und Tesla-Gründer Elon Musk kritisiert im exklusiven RTL/ntv Interview Deutschlands Bürokratie. „Ich denke, es wäre besser, wenn es weniger Bürokratie gäbe", so Musk während eines Besuchs des neuen Tesla-Werks in Grünheide bei Berlin.

Musk baut in Grünheide gerade ein riesiges Werk für Teslafahrzeuge und Batterien und musste sich von Anfang an mit großen Hürden herumschlagen. So versuchten Umweltschützer die für den Bau notwendige Waldrodung zu stoppen. Aktuell baut der Firmengründer das Werk auf eigene Gefahr, denn eine abschließende Baugenehmigung durch das Land Brandenburg liegt aufgrund von zahlreichen Anhörungsverfahren noch immer nicht vor. Sollte der Bauantrag abgelehnt werden, müsste Musk die komplette Fabrik zurückbauen. (sst)