Die Rolle von Russlands SoldatenmütternPutin schickt ihre Söhne in den brutalen Krieg - doch sie halten trotzdem noch zum Präsidenten

A young recruit, just called-up to the military service hugs his mother living for the place of service at the railway station in the city of Kemerovo, Western Siberia, Russia, 18 November 2007. This Autumn 132,350 young men will be called-up to the military service. But the Russian army based on a call-up system always meets problems with getting enough young men for recruiting due to demographic reasons. Also the bad health of a lot of young people causes difficulties for the army. Normally the called-up soldiers (there are also those who serve on a contract) serve 1,5 year, but from the next year the service will be only one year. The young soldiers can be sent at any point on the territory of Russia or its military bases, so they can be easily sent thousands kilometres away from their home. Foto: EPA/MAXIM SHIPENKOV +++(c) dpa - Report+++
18. November 2007: Ein junger russischer Soldat verabschiedet sich von seiner Mutter, weil er in den Militärdienst eingezogen wurde. Solche Bilder aus Russland findet man heute gar nicht. Und das obwohl tausende junge russische Männer in den Ukraine-Krieg ziehen müssen. Doch über die Angst um ihre Kinder sprechen die wenigsten russischen Soldatenmütter und erst recht nicht über eine Kritik am Kreml.
deutsche presse agentur
von Kathrin Hetzel und Dimitri Blinski

Während die oft jungen Russen an der Front im Krieg mit der Ukraine verheizt werden, machen sich die Soldatenmütter zu Hause große Sorgen. Nicht selten kommt das eigene Kind dann im Sarg zurück. Und trotzdem ist es um das sonst so laute „Komitee der Soldatenmütter Russlands“ ruhig geworden. Das hat gute Gründe.
Lese-Tipp: Alle aktuellen Infos zum Ukraine-Krieg können Sie hier nachlesen.

Sie waren mal die größten gesellschaftlichen Kritiker

Die Union der Komitees der Soldatenmütter Russlands ist seit 1989 gut organisiert. Während der Tschetschenienkriege haben die Soldatenmütter täglich 200 Beschwerdebriefe an das Verteidigungsministerium und an den Präsidenten geschrieben. Sie organisierten Freilassungen von Gefangenen. Die Mütter von jungen russischen Soldaten waren mal die größten gesellschaftlichen Kritiker. Es gab jederzeit einen Draht zwischen den Müttern und den Behörden, man habe ihnen zugehört, sagt eine Mitorganisatorin, die nun aus Angst ihren Namen nicht veröffentlicht sehen möchte. Seit Kriegsbeginn im letzten Jahr ist alles anders.

Der Ukraine-Krieg ist ganz anders als die Tschetschenien-Kriege

Seit dem 24. Februar 2022 haben die Soldatenmütter keine direkten Zugänge mehr zum Verteidigungsministerium. „Uns hört keiner mehr zu, unsere Briefe landen im Nirgendwo und wir haben überhaupt keinen Einfluss mehr auf die Behörden“, sagt die Frau, die sich offiziell nicht mehr äußern möchte, weil sie Angst hat, wegen der strengen Mediengesetze in Russland verfolgt zu werden.

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Möglicherweise 100.000 Tote

The mothers of soldiers killed during service in the Russian army stand at the entrance of the Russian State Duma carrying portraits of their sons, 19 July. The picket against the deaths during the peace time in Russian Army was organized by the "Soldiers' Mothers committee". - COLORplus -
1996: Russische Mütter mit Fotos von ihren Söhnen, die während ihres Dienstes in der russischen Armee gefallen sind vor dem Eingang der russischen Staatsduma.
deutsche presse agentur

Obwohl seit Kriegsbeginn in der Ukraine bis zu 100.000 Soldaten gefallen sein sollen, gibt’s nur sehr vereinzelt Kritik von russischen Soldatenmüttern. „Im Stillen sind sicherlich viele kritisch eingestellt und sehen ihre Söhne ungern ziehen. Doch öffentlich traut sich derzeit kaum jemand den Krieg oder Aktivitäten des Kremls zu kritisieren, geschweige denn zu hinterfragen,“ erklärt Wissenschaftlerin Dr. Nadja Douglas vom Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien im Gespräch mit RTL.de.

Im Video: Was ist mit Kyrill geschehen? Russische Soldatenmütter suchen ihre Söhne

Wenn Kritik - dann nur an der Ausrüstung

„Wenn sich Mütter von Soldaten öffentlich äußern, dann höchstens, um die Bedingungen, unter denen ihre Söhne eingezogen wurden und unter denen sie trainieren und an der Front kämpfen zu bemängeln,“ so Douglas. Das heißt, die Kritik der Mütter richtet sich nicht gegen den Präsidenten, sondern eher gegen das Verteidigungsministerium, bzw. die Organisation vor Ort.

Immer wieder gibt es Berichte darüber, dass russische Soldaten mit mangelhaftem Equipment ausgerüstet sind und teilweise ohne jegliche militärische Vorerfahrung an vorderster Front kämpfen müssen. Oft mit der Folge, dass sie nicht mehr lebendig von ihrem „Militäreinsatz“ zu ihrer Familie zurückkehren.

Kritik im Untergrund

Ella Rossmann erforscht soziokulturelle Phänomene, sie beobachtet, dass die Soldatenmütter weiterhin aktiv sind, allerdings nicht so medienwirksam: „In Gesprächen mit vielen dieser Frauen habe ich erfahren, dass sie sehr klar und deutlich verstehen, dass man den Versprechen des russischen Staates nicht trauen darf. Alles was an Ausrüstung und Geld versprochen wird, davon gehen die Frauen aus, kommt vielleicht zu zehn Prozent wirklich an. Deswegen handeln sie lieber selbst und warten nicht auf irgendwelche Geschenke. Ich sehe viele Frauen, die gegen diesen Krieg kämpfen, allerdings machen sie dies weniger in den Medien, sondern viel mehr im Untergrund.“

Nadja Douglas ergänzt: „Das liegt maßgeblich daran, dass es allgemein für die russische Zivilgesellschaft sehr schwierig geworden ist, weiter frei zu agieren.“ Man könne sogar sagen, „dass die Zivilgesellschaft weitgehend ausgeschaltet bzw. durch die Verschärfung der Gesetzeslage größtenteils verunsichert ist bzw. Aktivitäten ins Ausland verlegt worden sind.“

Putin: Tod von Söhnen "nicht vergebens", haben "ihr Ziel" erreicht

Dass der Protest ausbleibt, liegt auch an der Propaganda, die vor allem vom russischen Staatsfernsehen verbreitet wird. Am russischen Muttertag im vergangenen November hat Kreml-Chef Putin mehrere Mütter getöteter russischer Soldaten getroffen. Einer Mutter, deren Sohn schon 2019 bei Kämpfen in der Ostukraine gefallen war, sagt Putin, dieser habe gewusst, wofür er sein Leben gegeben habe. Zwischen Tee und Gebäck erklärt er, dass bei Verkehrsunfällen schließlich auch täglich Menschen sterben würden. Der Tod der Söhne der Soldatenmütter, aber „nicht vergebens“ gewesen sein.

Selbst mit dem Tod hätten diese „ihr Ziel“ erreicht. Dass diese Mütter im Staatsfernsehen trotz des Todes ihrer Kinder, Wladimir Putin weiter unterstützen, liegt daran, dass diese Runde aus Putin-treuen Frauen bestand. Am Tisch saßen teils Politikerinnen, teils Aktivistinnen, die auch schon mal behaupten, dass es an der Front gar keine Probleme mit der Ausrüstung geben würde.

Aktuell kein „Hurra-Patriotismus“

Die russische Regierung verspricht den Familien von Verwundeten und Gefallenen viel Geld, umgerechnet 130.000 Euro für einen gefallenen Soldaten. Doch es gibt Berichte, wonach es diese Zahlungen am Ende doch nicht gibt oder nicht in dieser Größe.

Die Russland-Expertin Dr. Nadja Douglas sagt RTL.de: „Insgesamt scheint die Stimmung in Russland derzeit eher verhalten. Auch wenn es keine Anti-Kriegs-Proteste gibt, bei denen Mütter von Soldaten eine Rolle spielen könnten, gibt es gleichzeitig auch keinen Hurra-Patriotismus, wie es sich die Regierenden wünschen würden.“

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