Prozess um Halle-Attentat

Höchstes Strafmaß für Stephan B.: Ein Urteil, das spaltet

 21.07.2020 Sachsen Anhalt MagdeburgVerhandlungssaal C24 im Landgericht Magdeburg. Heute beginnt der Prozess zum Terroranschlag von Halle. Stephan Balliet seine Anwaelte l.Hans-Dieter Weber und Thomas Rutkowski hatte am höchsten juedischen Feiertag Jom Kippur versucht, in der Synagoge in Halle ein Blutbad anzurichten. Mord Terror Todschlag Justiz Sicherheitsdienst Polizei Magdeburg *** 21 07 2020 Saxony Anhalt MagdeburgVerhandlungssaal C24 in the Magdeburg Regional Court Today the trial of the terrorist attack in Halle begins Stephan Balliet his lawyers l Hans Dieter Weber and Thomas Rutkowski had tried on the highest Jewish holiday Yom Kippur to cause a bloodbath in the synagogue in Halle Mord terror deathblow justice secur MGB
Eine lebenslange Haftstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung für Stephan B.
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Lebenslange Haftstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung: Ein höheres Strafmaß gibt es in Deutschland nicht. Trotzdem gibt es Kritik an der Urteilsbegründung und einer Richterin, die Emotionen zeigt.

Höchstes Strafmaß überhaupt

Es ist 11 Uhr am Montag. Die Räumlichkeiten des Magdeburger Landgerichts sind voll. Das Interesse am Urteil im größten Staatsschutzverfahren in Deutschland in diesem Jahr ist groß. Die Tat und ihre Folgen sind es ebenfalls.

Das Urteil fällt nach wenigen Minuten: Eine lebenslange Haftstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung. Die besondere Schwere der Schuld wird anerkannt, Stephan B. als voll schuldfähig eingestuft. Damit folgt der Senat der Einschätzung des psychologischen Gutachtens, das Stephan B. zwar eine komplexe Persönlichkeitsstörung, aber eben auch die volle Zurechnungsfähigkeit attestiert. Außerdem kam der Gutachter zu dem Schluss, dass der Angeklagte eine solche Tat wieder begehen würde, wenn er die Möglichkeit dazu hätte. Deswegen auch die anschließende Sicherungsverwahrung.

Stephan B. wird für sehr lange Zeit im Gefängnis bleiben. An diesem Urteilsspruch und am Strafmaß hat niemand Zweifel. Noch nicht mal Stephan B.s Verteidiger hatten sich nach Prozessende endgültig entschlossen, in Revision zu gehen. Doch an der Urteilsbegründung, die dann folgt, haben einige Nebenkläger und Nebenklägerinnen durchaus Kritik.

Emotionale Urteilsbegründung

 21.12.2020, xtgx, News Prozess, Urteilsverkuendung im Strafverfahren gegen Stephan B. emspor, v.l. Richterin Ursula Mertens Magdeburg *** 21 12 2020, xtgx, news trial, sentencing in criminal case against Stephan B emspor, v l judge Ursula Mertens Magdeburg
Die Vorsitzende Richterin Ursula Mertens war in ihrer Urteilsbegründung sehr emotional.
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Die Vorsitzende Richterin Ursula Mertens braucht für die Urteilsbegründung mehrere Stunden. Anders, als während der Beweisaufnahme, geht die Vorsitzende Richterin nicht chronologisch der Tat folgend vor. Sie beginnt mit den tödlichen Schüssen auf Jana L. Diese Tat bezeichnet sie als „feige“. Stephan B. habe die Passantin hinterrücks und somit heimtückisch erschossen.

Der Angeklagte hört der Richterin zwar aufmerksam, aber regungslos zu. Das wird sich am Ende des Prozesstags allerdings noch ändern.

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Urteilsbegründung bestätigt: Anschlag auf Synagoge war versuchter Mord

Stephan Bs Verteidigung hatte in ihrem Plädoyer bezweifelt, dass der Versuch, in die Synagoge zu kommen, tatsächlich versuchter Mord in 51 Fällen war. Viel mehr sei Stephan B., als er merkte, er kommt nicht ins Gebäude, von seinem Tatvorhaben zurückgetreten. Das sei strafbefreiend zu werten.

Der Senat sieht das in der Urteilsbegründung anders. Schon allein zu versuchen, die Tür zu öffnen, mit dem Ziel so viele Menschen jüdischen Glaubens wie möglich zu erschießen, sei versuchter Mord. Hier wird Richterin Mertens emotional und richtet klare Worte an den Angeklagten: „Bei Ihnen gab es keine Hemmschwelle mehr. Sie haben alles Menschliche abgelegt bei dieser Tat.“

Richterin Mertens bricht die Stimme

Die Vorsitzende Richterin wird noch viel emotionaler werden. Immer wieder bricht ihre Stimme. Sie muss Sprechpausen einlegen und sie gesteht, dass sie diese Urteilsbegründung aufschreiben musste. Normalerweise spreche sie frei. Doch hier musste sie verhindern, „die Fassung nicht zu verlieren.“

Es ist ein Prozess und ein Urteil, das nicht nur Ursula Mertens berührt. Die fast sechs Monate Verhandlung haben an allen gezehrt. Zuerst an den Überlebenden und Hinterbliebenen der zwei Ermordeten. Aber auch an den Prozessbeobachtern und Journalisten. Es gab so viele emotionale und fast trotzige Aussagen. Betroffene, die sich mit unglaublicher Stärke gegen die rassistische und antisemitische Einstellung des Angeklagten stellten.

Kritik an Urteilsbegründung

Auch wenn das Strafmaß in Deutschland nicht höher hätte sein können, gibt es aus den Reihen der Nebenklagevertreter und -vertreterinnen Kritik an der Urteilsbegründung. Zum Beispiel wurde das Anfahren des jungen Schwarzen, Aftax I., auf Stephan B.s Flucht nicht als versuchter Mord gewertet, sondern als Unfall. Etwas, das unabsichtlich geschehen sein soll. Das lässt einige Anwälte fassungslos, sogar wütend zurück. Christina Feist, die das Attentat auf die Synagoge überlebte, sagt zu mir nach der Urteilsbegründung, dass sie davon maßlos enttäuscht ist.

Am Strafmaß hätte die Änderung auf versuchten Mord keinen Einfluss gehabt. Ein höheres Urteil als dieses gibt es im deutschen Strafgesetz nicht. Aber für die Betroffenen wäre es sicherlich mehr Anerkennung ihres Leids gewesen, als die einfühlsamen Worte der Richterin zur Erklärung, warum es bei der Einschätzung der fahrlässigen Körperverletzung geblieben ist.

Kritisiert wird auch, dass das Verfahren die Rolle der Gesellschaft bei der Radikalisierung von Stephan B., aber auch bei anderen rassistischen und antisemitischen Attentätern nicht ausreichend beleuchtet hätte. Die Kritik am teils empathielosen Umgang der Polizei mit den Betroffenen am Tattag wäre einfach weggewischt worden, so Nebenklageanwältin Kristin Pietrzyk. „Das ist das Frechste, was ich je erlebt habe.“

Richterin gibt Stephan B.s Familie Mitschuld

Tatsächlich konnte der Prozess die Frage nicht beantworten, wie sich ein junger Mann so sehr von der realen Welt isolieren, sich aber in seiner digitalen Blase so sehr radikalisieren konnte, dass er in der analogen Welt eine so unfassbare Tat beging. Die Vorsitzende Richterin gibt der Familie des Attentäters eine Mitschuld, da die Eltern zwar bemerkt hätten, dass etwas mit ihrem Sohn nicht stimme, sich aber keine Hilfe geholt hätten.

Und tatsächlich bleibt auch der Senat ratlos zurück, wie in Zukunft solche Taten verhindert werden könnten. Die Richterin: „Wir haben keine Idee, was man dem entgegensetzen sollte, außer die Sicherungsverwahrung.“

Richterin kämpft mit den Tränen

Am Ende ihrer Urteilsbegründung muss Richterin Ursula Mertens dann tatsächlich mit den Tränen kämpfen. Sie erklärt, dass an 25 Verhandlungstagen in menschliche Abgründe geblickt wurde. Sie sei seit 13 Jahren Richterin und habe viele schlimme Dinge gehört, aber das stelle alles in den Schatten. Zum Angeklagten sagt sie: „Wir sind dazu berufen, die Gesellschaft vor Ihnen zu schützen. Und wenn Sie ihre Grundhaltung nicht ändern, werden Sie wohl niemals mehr in Freiheit leben können.“

Stephan B. bewirft Nebenklage

Der Angeklagte hatte die ganze Zeit ruhig zugehört. Doch als die Richterin zum Ende kommt, wirft er eine zusammengerollte Akte in Richtung der Nebenklagevertreter und -vertreterinnen. Die Justizbeamten - groß, schusssichere Westen, vermummt - überwältigen ihn und führen ihn ab.

Wieder einmal hat Stephan B. bewiesen, wie menschenverachtend und unbelehrbar er ist. Er hat gezeigt, dass er das Urteil, das er bekommen hat, auch verdient.

Und trotzdem kann dieses Urteil nicht verhindern, dass es in Deutschland auch weiterhin Antisemitismus und Rassismus gibt und geben wird. Das können nur alle zusammen: Politik, Exekutive und die Zivilgesellschaft. Jeder Einzelne, der nicht wegschaut, wenn rassistische Äußerungen im Alltag fallen, wenn Menschen wegen ihrer Hautfarbe oder ihres Glaubens beleidigt oder angegriffen werden. Die Verhandlung gegen Stephan B. konnte lediglich zeigen, dass zumindest in diesem Fall, ein hartes Urteil gesprochen wurde.