Experten klären auf
Gürtelrose-Zahlen steigen: Warum erkranken immer mehr Jüngere?
von Diana Heuschkel
Wer schon einmal mit dem Varizella-Zoster-Virus – auch bekannt als Windpocken – in Kontakt gekommen ist, kann im späteren Leben auch an einer Gürtelrose (Herpes Zoster) erkranken. Die Viruserkrankung, die durch einen Hautausschlag mit Bläschen gekennzeichnet ist und potenziell schwerwiegende Folgen haben kann, tritt häufig erst im späteren Alter auf. Doch seit einer Weile beobachten Mediziner: Immer mehr Jüngere erkranken an Gürtelrose. Woran liegt das?
Immer mehr Jüngere betroffen
Erst im Juni wurde die Öffentlichkeit Zeuge, dass Gürtelrose auch bei Jüngeren erschreckende Folgen haben kann: Popstar Justin Bieber (28) erlitt durch die Erkrankung schwere Komplikationen, konnte sogar eine Gesichtshälfte nicht mehr bewegen. Gürtelrose fällt häufig durch kleine Bläschen an der Körpermitte auf, doch kann sich grundsätzlich am gesamten Körper entwickeln. Im Gesicht sei die Virus-Erkrankung aber besonders gefährlich, erklärt der Allgemeinmediziner Dr. Christoph Specht im RTL-Interview. Im Fall von Justin Bieber sei das Ohr betroffen gewesen und daher auch eine Gesichtshälfte in Mitleidenschaft gezogen worden. „Umso wichtiger, die Krankheit schnell zu erkennen. Bei Justin Bieber hat man es dann gut erkannt und entsprechend behandelt“, so der Arzt.
Mehr als 300.000 Menschen erkranken jedes Jahr in Deutschland an Gürtelrose. Auch Vanessa Vukovic: Die 27-Jährige litt 2021 an der Krankheit und hatte Schmerzen, die sie wohl niemals vergessen wird. „Es fühlt sich wie Feuer an“, schildert uns die junge Frau. Die ganze Leidensgeschichte der jungen Gürtelrose-Patientin und auf welche Symptome Sie unbedingt achten sollten, erfahren Sie im Video.
Im Video: „Es fühlt sich wie Feuer an“ - Vanessa (27) litt an Gürtelrose
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Unterschiedliche Auslöser für Gürtelrose bei Jüngeren
Dass seit einigen Jahren auch Jüngere immer häufiger an Herpes Zoster erkranken, bestätigt auch Professor Mario Fabri, von der Infektiologischen Dermatologie an der Uniklinik Köln. Dort werden Gürtelrose-Patienten sowohl ambulant als auch stationär behandelt. „Wir sehen eine ganze Reihe von jungen Leuten, bei denen es eigentlich keinen Grund gibt und die trotzdem einen schweren Zoster bekommen“, berichtet er aus dem Klinikalltag. Diese Entwicklung hin zu mehr jüngeren Betroffenen sei auch international durch Daten gut belegt.
Bei den jüngeren Menschen kommt ein Ausbruch der Erkrankung oft nach einer zeitlich begrenzten Schwächung des Immunsystems vor – etwa nach einer schweren Infektion oder sonstigen Erkrankung. Windpocken-Viren, die nach der Infektion im Körper verweilen, können dann reaktiviert werden und zu einer Gürtelrose führen. Aber auch nach exzessiven Sonnenbädern, starker körperlicher Anstrengung oder durch psychischen Stress könne eine Zoster-Erkrankung auftreten, erklärt der Dermatologe im Gespräch mit RTL.
Der größte Risikofaktor für eine Herpes-Zoster-Erkrankung sei allerdings nach wie vor das Alter. Der Grund: Mit dem Älterwerden wird die Immunkontrolle des Körpers zunehmend schlechter.
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Welchen Einfluss hat die Corona-Pandemie?
Zu den Gründen für das vermehrte Auftreten von Gürtelrose bei jungen Menschen gibt es unterschiedliche Theorien. Eine davon: der Einfluss der Corona-Pandemie und von SARS-CoV-2. „Natürlich bringt man im Moment gerne alles mit Corona zusammen. Aber dass das bei Jüngeren vermehrt auftritt, das war auch schon vor Corona so“, versichert uns Professor Fabri.
Dennoch gebe es theoretische Überlegungen, dass die Pandemie mindestens einen Beitrag zum Anstieg geleistet habe – wenn auch genaue Daten dazu fehlten. „Es ist sicherlich so, dass eine durchgemachte Corona-Infektion wahrscheinlich das Risiko, danach Zoster zu bekommen, erhöht. Das kann man noch nicht beweisen, aber das erscheint plausibel“, sagt Fabri. Eine weitere Möglichkeit: Der Stress, ausgelöst durch die Pandemie und die Eindämmungsmaßnahmen, könnten zur höheren Anfälligkeit der Menschen für einen Zoster-Ausbruch beitragen.
Ihre Erfahrung ist gefragt: Hatten Sie schon einmal mit dem Gürtelrose-Virus zu tun?
Corona-Impfung im Verdacht: Kann auch sie eine Gürtelrose auslösen?
Ebenso steht die Corona-Impfung im Verdacht, Zoster-Erkrankungen auszulösen. Erste statistische Anhaltspunkte, die für diese Theorie sprechen, gebe es tatsächlich, berichtet uns Professor Fabri: „Eine Studie sagt: Innerhalb von 60 Tagen bewegt man sich etwa im 0,1 bis 0,2 Prozent Risiko.“ Mit anderen Worten: Jeder Tausendste bekommt eine Gürtelrose innerhalb von zwei Monaten nach der Impfung. „Das ist schon viel“, gibt der Experte zu. Dennoch schränkt er ein: Die Gürtelrose sei ohnehin eine relativ häufige Erkrankung. „Deswegen würde man das eher auf andere Art formulieren: Man bekommt häufig einfach so eine Gürtelrose, egal, ob man geimpft ist oder nicht“.
Eine Gürtelrose trete allerdings deutlich seltener nach der Corona-Impfung auf als nach oder während einer Corona-Infektion, wie uns Allgemeinarzt Dr. Christoph Specht erklärt. „Impfen, wie jede medizinische Maßnahme, ist ein Eingriff. Und da muss man Nutzen und Risiko abwägen“, betont der Mediziner.
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Fehlt der natürliche Windpocken-Booster?
Daneben gebe es auch noch eine Windpocken-Booster-Theorie als mögliche Erklärung für die Zoster-Welle bei Jüngeren, berichtet uns Professor Fabri. Die Idee dahinter: Da durch die flächendeckende Impfung gegen Windpocken nur noch wenige Kinder erkranken, kommen auch deren Eltern, Großeltern und Co nicht mehr in Kontakt mit den Viren. Und so bleibt auch der natürliche Viren-Booster aus. „Das ist ein von einigen Experten favorisiertes Konzept“, so der Experte. Doch auch hier sei sich die Wissenschaft nicht einig. Eine neue, größere Studie habe die Theorie bereits wieder infrage gestellt.
Der aktuelle Forschungsstand zur Gürtelrose-Welle liefert also bislang insgesamt wenig konkrete Erkenntnisse. „Man beobachtet das klar, dass Zoster zunimmt, aber die ehrliche Antwort, warum das so ist, lautet: Man weiß es nicht“, rekapituliert der infektiologische Dermatologe.
Gürtelrose-Impfung schon im jüngeren Alter sinnvoll?
Ohne Gürtelrose-Impfung erkranken 33 von 100 Erwachsenen im Laufe ihres Lebens an Herpes Zoster – mit der Impfung sind es nur drei von 100. Aktuell empfiehlt die Ständige Impfkommission (Stiko) die Impfung jedoch erst ab 60 Jahren, bei erhöhtem Zoster-Risiko durch eine Grunderkrankung auch ab 50.
Spannend sei nun, ob man in Anbetracht der aktuellen Entwicklung in den nächsten Jahren auch schon früher impfen werde, sagt Mario Fabri. „Das ist sicherlich eine Frage, mit der die Stiko sich beschäftigen muss.“ Im Einzelfall halte er es für sinnvoll, sich auch im jüngeren Alter schon impfen zu lassen, jedoch immer nach individueller Rücksprache mit dem Arzt. Das betreffe vorwiegend immungeschwächte Menschen mit chronischen Erkrankungen wie HIV.
Und: Auch nach der Zoster-Erkrankung sei es noch ratsam, sich gegen Gürtelrose impfen zu lassen. „Das ist etwas, was mich Patienten ständig fragen“, berichtet der Kölner Dermatologe aus seinem Klinikalltag. Wer zum Beispiel mit 40 einen Zoster hatte, solle sich mit 60 noch einmal impfen lassen. Denn die Impfung biete einen stärkeren Schutz gegen Gürtelrose als die durchgemachte Infektion.