Expertin erklärt, wie ihr euch entspannt
Ständig Angst, was zu verpassen? Wie ihr aus der FOMO-Falle kommt

„Das ist ein Problem unserer Zeit“, ist sich die systemische Beraterin Ruth Marquardt sicher. Was sie damit meint, ist die diffuse Angst, etwas zu verpassen. Eine Angst, die sowohl diejenigen in sich haben, die ständig auf Achse sind und permanent etwas erleben wollen, als auch die, die generell einen gemütlichen Abend dem Trubel vorziehen. Wir erklären, was es über euch aussagt, wenn ihr eher dem einen oder dem anderen Lager angehört und wie ihr dem Druck entkommen könnt, ständig etwas Besonderes erleben zu müssen.
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Fear Of Missing Out: FOMO ist die Angst, was zu verpassen
In Zeiten, in denen wir einen aufregenden Alltag gefühlt an jeder Ecke vorgelebt bekommen, kann der Druck, diesem Vorbild nachzueifern, enorm sein. Influencer posten auf sozialen Netzwerken Stories von wilden Partys und Festivals, vom großen Dinner mit zig Freunden, von spannenden Unternehmungen. Kaum verwunderlich also, dass all jene auf der anderen Seite des Handybildschirms das Gefühl haben, das sei der Normalzustand. Die Folge: das Bedürfnis, ein ähnlich abwechslungsreiches Leben zu führen.
Für dieses Bedürfnis gibt es sogar einen Begriff: FOMO – Fear Of Missing Out. Also die Angst, etwas zu verpassen. Doch woher kommt sie?
Ich habe das Gefühl, ständig auf Achse sein zu müssen - woher kommt das?
„Wir werden ständig mit Werbebotschaften wie ‘nur noch heute’, ‘einziger Auftritt in Europa’ und so weiter bombardiert“, weiß die Expertin. Besonders seit der Corona-Pandemie können derartige Messages bei vielen das Gefühl verstärken, etwas nachholen zu müssen. Außerdem, erklärt Marquardt, lebten wir in einer Gesellschaft, in der wir gelernt haben, dass aktiv sein - ständig auf Achse, immer in Bewegung sein – gut ist.
Doch auch unsere Erziehung hat Einfluss darauf, ob wir anfällig für FOMO sind oder eben nicht: „Ein Teil unserer Persönlichkeit ist angeboren, ein anderer Teil wird sozial erworben. Werde ich beispielsweise in einer Familie groß, die viel unternimmt, oft Besuch empfängt, sich mit Freunden trifft, werde ich selbst auch eher dazu tendieren, das nachzuahmen.“
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Bin ich langeilig? FOMO und das schlechte Gewissen
Während die einen dem Drang, ein schrilles Leben zu führen, nachgeben, ziehen sich andere Menschen lieber zurück: „Wenn ich mich von Natur aus als eher sensibel erlebe, kann es sein, dass viele Unternehmungen bei mir zu Stress führen. Solche Menschen werden immer wieder den Rückzug und die Stille für sich suchen.“ Doch vollkommen frei vom FOMO-Phänomen sind auch diese Personen nicht, sie betrifft es lediglich auf andere Weise. Oft geht ein ruhiger Abend mit einem schlechten Gewissen einher: Müsste ich jetzt eigentlich nicht etwas unternehmen? Bin ich langweilig? Pflege ich zu wenig soziale Kontakte?
Gedanken, die wir unbedingt loswerden sollten, weiß Ruth Marquardt: „Das schlechte Gewissen ist etwas, was wir erlernt haben. Daher können wir es auch verlernen oder lernen, es wahrzunehmen, ihm aber nicht zu viel Raum zu geben.“ Denn gesunde Me-Time sei wichtig. Und egal, ob man nun zu den eher aktiven oder zu den etwas zurückgezogeneren Menschen zählt: „Alle von uns brauchen irgendwann die Stille und den Rückzug.“
FOMO oder wahre Unternehmenslust: So findet ihr es heraus
Doch wie kann das gelingen? Wie kann man Me-Time genießen – ganz ohne schlechtes Gewissen und den Drang, etwas zu verpassen? „Generell vergessen wir, dass wir uns bei der Angst, etwas zu verpassen, von äußeren Einflüssen leiten lassen“, erklärt Ruth Marquardt.
Drei einfache Fragen können dabei helfen, die wahren Bedürfnisse von FOMO zu unterscheiden:
Was ist mir eigentlich wichtig im Leben und was ist mir besonders wichtig am heutigen Tag?
Worauf kann ich verzichten?
An welcher Stelle bin ich auf eine Werbung hereingefallen oder habe einfach Angst, etwas zu verpassen, weil mir das andere suggerieren?
Auch Achtsamkeitsübungen können dabei helfen, die eigenen Bedürfnisse besser wahrzunehmen – so könne der Weg von der FOMO hin zur JOMO (Joy of missing out), also der Freude am Verpassen, gelingen.
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FOMO und JOMO in Partnerschaften: „Fällt das weg, haben wir keine Beziehung mehr“
Wenn es schon für einzelne Menschen eine Mammutaufgabe ist, den eigenen Bedürfnissen gerecht zu werden, wie schwer muss es dann sein, diese in einer Partnerschaft unter einen Hut zu bringen? Insbesondere dann, wenn ein Partner gerne unterwegs ist, der andere aber lieber einen gemütlichen Abend auf dem Sofa verbringt?
„Hier dürfen beide Partner miteinander aushandeln: Was wollen wir zusammen machen und wo ist es ok, wenn jeder seinen eigenen Interessen folgt“, rät Ruth Marquardt. Offene Kommunikation sei wichtig und auch „dass beide verstehen, dass es nicht gegen den jeweils anderen, sondern für einen selbst ist“, wenn man den eigenen Bedürfnissen nachgeht. „Je mehr wir unseren Partner so sein lassen, wie er ist, je weniger wir wollen, dass er sich so verhält, wie wir es für richtig halten, desto harmonischer wird es.“
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Dennoch: „Es ist unfassbar wichtig, neben Freundeszeit, Arbeitszeit, Zeit mit den Kindern und Zeit für sich selbst auch qualitative Paarzeit zu erleben.“ Beziehungen leben nämlich erst dann so richtig auf, wenn man sich als Paar auch mal nur auf sich selbst konzentriert: „Beziehung sagt es schon vom Wort her aus: Wir beziehen uns aufeinander. Fällt das weg, haben wir keine Beziehung mehr.“