Winnenden-Überlebende Selina erinnert sich an 2009
„Ich hab gedacht, ich werd‘ mich nie wieder sicher fühlen“ – Amoklauf in Graz reißt alte Wunden auf
Angst, Ohnmacht und Erinnerungen kehren bei Selina mit voller Wucht zurück!
Zehn Tote, elf Verletzte – ein Amoklauf erschüttert Österreich. In Graz stürmt ein ehemaliger Schüler mit Pistole und abgesägter Flinte seine alte Schule und tötet wahllos. Die brutale Tat reißt alte Wunden auf – auch in Deutschland.
Selina erinnert sich an den 11. März 2009 zurück
Selina Aydinyurt aus Winnenden weiß, wie sich dieser Horror anfühlt. Sie ist 14 Jahre alt, als dort ein Jugendlicher 2009 ein Blutbad anrichtet. 16 Menschen sterben. Selina überlebt – aber was sie sieht und erlebt, trägt sie bis heute in sich.

Jetzt, 16 Jahre später, meldet sie sich öffentlich zu Wort. „Ich erinnere mich einfach daran: Wir waren ganz viele zusammen. Da war ein ganz großer Zusammenhalt“, sagt sie im Gespräch mit RTL.
Lese-Tipp: Was wir über den Amokläufer von Graz wissen und was nicht
Graz holt alles wieder hoch. Die Hilflosigkeit. Die Angst. Die Panik.
Sieben Minuten schoss er sich durch das Schulhaus
Der Täter in Graz heißt Arthur A., ist 21 Jahre alt. Er war früher selbst Schüler an der betroffenen Schule. Dort versteckt er sich am Morgen auf einer Toilette im obersten Stockwerk. Mit dabei: eine Pistole, eine abgesägte Flinte, ein Jagdmesser, Schießbrille, Headset. Dann beginnt der Horror. Sieben Minuten lang schießt er sich von oben nach unten durch das Schulhaus. Er feuert wahllos, sprengt sogar eine verschlossene Klassenzimmertür auf – und nimmt sich am Ende selbst das Leben.
Lese-Tipp: „Wir vermissen dich und wir lieben dich” – Bruder trauert um Opfer des Amoklaufs von Graz
Für Selina ist das wie ein Flashback. Sie kennt diese Minuten voller Angst, Ohnmacht und Überlebensinstinkt. „Ich hab gedacht, ich werd’ mich nie wieder sicher fühlen. Ich werd’ nie wieder eine Tür öffnen können, ohne Angst zu haben, die Tür zu öffnen. Ich werd’ nie wieder in die Schule gehen können, ohne die Türklinke zu beobachten“, erzählt die 30-Jährige im RTL-Interview. Sie hat jahrelang mit Therapeuten gearbeitet, ihre Familie hat ihr Kraft gegeben.
„Ich hoffe einfach, dass ich diese Angst nicht auf mein Kind übertrage“
Heute ist Selina verheiratet, Mutter eines kleinen Sohnes. Doch die Vergangenheit lässt sie nicht los – vor allem mit Blick auf die Zukunft ihres Kindes. „Ich hab jetzt schon Angst vor dem Zeitpunkt, wenn mein Kind mal – ob’s eine Fremdbetreuung wie eine Kita oder dann eine Einschulung, die bevorsteht. Davor hab ich echt großen Respekt. Ich hoffe einfach, dass ich diese Angst nicht auf mein Kind übertrage.“ Trotz allem will die 30-Jährige ein Zeichen der Hoffnung setzen. Sie weiß: Der Schmerz wird bleiben – aber man kann lernen, damit zu leben.
Bruder trauert um Opfer des Amoklaufs von Graz
Täter aus Graz war unauffällig – und voller Wut?
Arthur A. war laut Polizei ein extrem introvertierter Mensch. Er lebte zurückgezogen und spielte leidenschaftlich Ego-Shooter. Ein Motiv ist weiterhin unklar. Nur eine der zehn getöteten Personen – eine Lehrerin – kannte er persönlich aus seiner Schulzeit.
In seiner Wohnung findet die Polizei einen Abschiedsbrief, ein Video und sogar eine nicht funktionsfähige Rohrbombe. Laut Ermittlern reichte dem Täter die Zeit nicht, sie fertigzustellen.
Schule in Graz reagiert geistesgegenwärtig
Zum Zeitpunkt des Amoklaufs befanden sich laut Polizei 350 bis 400 Schüler in dem Gebäude. Neun Jugendliche starben noch vor Ort. Eine Lehrerin erlag später im Krankenhaus ihren schweren Verletzungen. Elf weitere Menschen wurden verletzt – viele von ihnen lagen auf der Intensivstation. Der Zustand sei stabil, heißt es.

Lese-Tipp: „Wir wollten es nicht glauben” – Sebastian kannte den Graz-Attentäter gut
Doch was stabil erscheint, ist innerlich oft ein Trümmerfeld – das weiß Selina aus eigener Erfahrung. Der Körper kann heilen. Die Gedanken bleiben. Die Angst auch. Gerade jetzt, in diesen ersten Tagen nach der Tat. „Jetzt im Moment alleine sein mit den ganzen Gedanken, mit der ganzen Trauer, mit der ganzen Angst vor allem – hoffe ich einfach nicht, dass die Leute allein sein müssen damit.“
Was sie damals getragen hat: Menschen, die geblieben sind. Die ausgehalten haben. Genau das wünscht sie jetzt den Überlebenden von Graz.