Brutale Brand-Attacke in Straßenbahn erschüttert Deutschland
„Erinnert an Hexenverbrennung“ – Psychologe über Gräueltat von Gera
Es ist eine Tat, die sprachlos macht.
Eine Frau (46) wird in einer Bahn in Gera mit einer brennbaren Flüssigkeit übergossen und angezündet. Die Bilder erschüttern, die Grausamkeit lässt einen kaum Worte finden. Der renommierte Psychologe Michael Thiel spricht im Gespräch mit RTL von einem „gezielten Femizid“ – und vergleicht die Tat mit den dunkelsten Kapiteln der Menschheitsgeschichte: der Hexenverbrennung.
Frau in Gera in Straßenbahn angezündet - Psychologe: Der Täter wollte, dass sie extrem leidet
Für Michael Thiel steht fest: Diese Tat war kein Akt des Affekts. „Die Tat erinnert an eine Hexenverbrennung. Es ist mehr noch als ein Mord, also ein gezielter Femizid, ganz gezielt gegen diese Frau. Und ich vermute auch mal, dass es geplant war“, sagt der Psychologe.
Dass jemand mit einer brennbaren Flüssigkeit in eine Bahn steigt und sein Opfer anzündet, sei Ausdruck tief verwurzelter Gewaltfantasien: „Menschen, die in Beziehungen sind, können Gewaltfantasien entwickeln. Sie stellen sich vor, wie sie der anderen Person maximalen Schmerz zufügen können. Verbrennen ist sicher eine der schlimmsten und leidvollsten Formen, zu Tode zu kommen.“
Der Gedanke, einer anderen Person absichtlich solches Leid zuzufügen, sei oft das Ergebnis einer langen inneren Eskalation: „Oft gibt es den Punkt, an dem jemand denkt: Ich weiß nicht mehr weiter. Dann werden genau solche Taten in der Fantasie durchgespielt.” Doch die wenigsten greifen tatsächlich zu Benzin und Feuerzeug.

Psychopathie oder Schizophrenie ursächlich für versuchten Femizid in Gera?
Was treibt einen Menschen zu einer solchen Gräueltat? Thiel betont, dass hier tiefere psychologische oder psychiatrische Ursachen vorliegen könnten. „Es muss jetzt genau untersucht werden, ob eine psychiatrische Krankheit dahintersteckt. Es kann sein, dass eine psychopathische Persönlichkeitsstruktur oder eine Erkrankung wie Schizophrenie vorliegt.“
Doch unabhängig von einer möglichen Diagnose ist für Thiel klar: „In irgendeiner Form wird der Täter das Gefühl gehabt haben, dass er nicht mehr weiterweiß. Und dann kam der Gedanke: Jetzt ist sowieso alles egal. Ich will, dass mein Opfer leidet. Ich will, dass alle Welt sieht, wie schlecht ich behandelt wurde.“
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Die tödliche Eskalation von Gewalt in Beziehungen
Was für Außenstehende unvorstellbar wirkt, beginnt laut Thiel oft schleichend. „Häusliche Gewalt eskaliert ja oft schrittweise. Erst verbal, dann psychisch – und dann geht es immer weiter, mit körperlichen Übergriffen bis hin zu extremer Gewalt. Wenn sich dann noch das Gefühl dazugesellt, ich verliere die Kontrolle über den Partner oder die Partnerin, zum Beispiel durch eine drohende Trennung, kann das die entscheidende Eskalation auslösen.“
Gerade deshalb appelliert Thiel eindringlich an betroffene Frauen: „Wenn solche Gewalt ansatzweise in einer Beziehung stattfindet, muss sofort Hilfe geholt werden. Es bringt nichts, das zu relativieren oder sich selbst die Schuld zu geben. Viele Frauen sagen: ‚Ich habe ihn ja auch provoziert.‘ Doch diese Spirale wird immer schlimmer.“
Die Mechanismen seien fatal: „Es beginnt mit psychischer Gewalt, dann kommt vielleicht ein körperlicher Übergriff. Dann hat sich der Täter vielleicht auch entschuldigt und gesagt, das kommt nie wieder vor. Und dann kommt es doch wieder vor. Die Abstände zwischen Entschuldigung und erneuter Gewalt werden immer kürzer.“ Und irgendwann gebe es keinen Ausweg mehr.
„Sofort Hilfe holen – nicht hoffen, dass es besser wird“
Thiel warnt vor dem fatalen Glauben, dass sich Gewalt in Beziehungen von selbst auflöst: „In dem Moment, in dem Gewalt – ob psychisch oder physisch – stattfindet, wirklich sofort bitte Hilfe holen – und nicht darauf hoffen, dass sich irgendetwas von alleine bessert.”
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Hilfe bei häuslicher Gewalt – diese Stellen unterstützen
Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen: 0800 116 016 (kostenlos, anonym, 24/7 erreichbar)
Frauenhaus-Suche: frauenhaus-suche.de
Polizei-Notruf: 110
Bundesverband Frauenberatungsstellen: frauen-gegen-gewalt.de
Die dunklen Zeiten der Hexenverbrennung liegen Jahrhunderte zurück und doch zeigt die Tat von Gera, wie grausam Menschen auch heute noch handeln können, sagt Thiel. Für ihn ist der Fall ein erschütternder Weckruf: für mehr Aufmerksamkeit, mehr Schutz und eine klare Haltung gegen Gewalt an Frauen. Denn Schweigen sei schon immer der Nährboden für weiteres Leid gewesen. Wer von Gewalt betroffen ist, sollte sich frühzeitig Hilfe suchen – bevor es zu spät ist.