Gynäkologin Dr. Judith Bildau klärt auf Viele Frauen verunsichert! Erhöhen Hormonersatztherapien das Krebsrisiko?

In den letzten Wochen ist es immer wieder passiert: Patientinnen, die ihre belastenden Beschwerden sehr gut mit einer bioidentischen Hormonersatztherapie in den Griff bekommen haben, kamen völlig verzweifelt in meine Praxis oder schrieben mir über Social Media. Sie hatten in diversen Zeitungsartikeln gelesen, dass Hormonersatztherapien (HRT) allgemein gefährlich seien und Krebs auslösen könnten.
„Was soll ich denn jetzt bloß machen?“ fragten sie mich, „Ich habe endlich das Gefühl, dass ich wieder ich selbst bin. Ich schlafe wieder und mir tun meine Knochen nicht mehr weh. Außerdem läuft mir nicht mehr ständig der Schweiß den Rücken herunter. Wenn ich jetzt alle Präparate absetzen muss, weil ich nicht an Brustkrebs erkranken möchte, wie soll ich das alles schaffen, meinen Alltag, meinen Job?“
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Wechseljahre - was bedeutet das überhaupt?
Immer wieder wird betont, dass die Wechseljahre keine Krankheit sind, sondern ein ganz natürlicher Prozess. So weit, so gut. Die Perimenopause oder auch das Klimakterium beginnen im Schnitt mit etwa 45 Jahren und können tatsächlich Jahre dauern. Dabei kann die Menstruation noch regelmäßig sein, aber die Frauen merken schon deutlich erste hormonelle Veränderungen. Ganz typisch für diese Zeit sind Stimmungsschwankungen, Energielosigkeit, Knochen- und Gelenkschmerzen, Kopfschmerzen, Hitzewallungen, trockene Schleimhäute, Schlafstörungen, Libidoverlust, Gehirnnebel („brain fog“) und Konzentratiosstörungen.
Die Symptompalette ist bunt und so individuell wie jede Frau selbst. Natürlich leidet nicht jede Frau während ihrer Wechseljahre. Etwa ein Drittel hat keinerlei, ein Drittel mäßige Beschwerden. Das restliche Drittel leidet jedoch sehr. Eine kürzlich erschienene Umfrage zeigt sogar, dass rund 20 Prozent aller Frauen über 55 Jahre auf Grund ihres schlechten Befindens und ihrer eingeschränkten Leistungsfähigkeit in Erwägung ziehen, ihren Beruf aufzugeben und früher in den Ruhestand zu gehen. Mit durchschnittlich 51 Jahren setzt dann die letzte Menstruationsblutung ein, auch Menopause genannt. Zwölf Monate nach der letzten Blutung beginnt die sogenannte Postmenopause.
Für viele Frauen ist eine Hormonersatztherapie ein Segen. „Ich fühle mich endlich wieder in meiner Kraft, jetzt macht es sogar richtig Spaß, älter zu werden! Ich möchte definitiv keine 20 mehr sein“, höre ich häufig. Und jetzt, plötzlich, haben wieder viele Frauen große Zweifel, ob das Ersetzen der fehlenden Hormone wirklich richtig ist.

Wie gefährlich ist eine HRT?
Für all diese Frauen möchte ich das Thema noch einmal aufarbeiten. Denn es stört mich wahnsinnig, dass statt medizinisch-fundierter Aufklärung vor allem Panikmache betrieben wird.
Vor 2002 war die HRT eine anerkannte Therapie für Frauen, die unter Wechseljahresbeschwerden litten. Dann allerdings erschienen die ersten Ergebnisse der „WHI-Studie“. Diese waren – vermeintlich! – erschreckend. Mehr Brustkrebsfälle, mehr Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Damit schien klar: Hormone in den Wechseljahren schaden mehr, als das sie nützen. Die Folge: Kaum eine Frau bekam mehr Hormone, egal, wie hoch ihr Leidensdruck auch war. Junge Ärzte und Ärztinnen wurden auf diesem Gebiet nicht weiter fortgebildet
Erst Jahre später wurden die Daten neu aufgearbeitet. Und es wurde Erschreckendes festgestellt: Die Frauen in der Studie waren im Durchschnitt längst nicht mehr in den Wechseljahren, sondern 63 Jahre alt. Die Hälfte von ihnen hatte bereits Vorerkrankungen wie Bluthochdruck und Übergewicht, ein weiterer Teil Herz-Kreislauf-Erkrankungen, hohe Cholesterinwerte und/oder Diabetes. Zudem wurden synthetische Hormonpräparate in hohen Dosierungen verwendet. Die neuen Auswertungen zeigten sogar, dass Frauen, die jünger als 60 Jahre mit einer HRT begonnen hatten, deutlich weniger Herzinfarkte und Schlaganfälle erlitten, außerdem sank die Sterblichkeit der Frauen signifikant. Insgesamt kam es weniger häufig zu Osteoporose, Diabetes, Gebärmutter- und Darmkrebs. Das Brustkrebsrisiko unter einer synthetischen Östrogen-Gestagen-Kombinationstherapie stieg zwar leicht an, die alleinige Gabe von Östrogen schützte aber sogar davor.
Die Autoren der Studie erklärten schließlich selbst, dass Millionen von Frauen durch die Fehlinterpretation der Daten unnötig leiden mussten und nach wie vor müssen.
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Was sind bioidentische Hormone?
Abgesehen davon, dass die Ergebnisse der WHI-Studie bekanntermaßen falsch interpretiert wurden, werden heute zur Behandlung von Wechseljahresbeschwerden ganz andere Therapien eingesetzt. Die Rede ist von „bioidentischen“ Hormonen im Gegensatz zu synthetischen, also künstlichen, Hormonen. Der Begriff „bioidentisch“ steht mittlerweile stark in der Kritik, weil er angeblich den Eindruck vermittelt, dass es sich um biologische, also ganz natürliche, Präparate handelt. Dem ist nicht ganz so, denn auch diese Art von Hormonen wird in einem Labor hergestellt. Die Grundsubstanz ist das Diosgenin, das aus der Yams-Wurzel gewonnen wird. Die Struktur der daraus hergestellten Hormone gleicht allerdings exakt der unserer körpereigenen.
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Diese „neueren“ Therapien gelten als sicher und vor allem als individuell dosierbar. Das fehlende Östrogen kann in der persönlich passenden Dosierung über ein Gel oder ein Spray auf die Haut ersetzt werden. Das Risiko für Thrombosen und Embolien wird durch die transdermale Gabe nicht erhöht. Progesteron wird gut über die Schleimhäute aufgenommen und sollte deshalb oral oder vaginal substituiert werden. Nachgewiesenermaßen hilft diese Art des Hormonersatzes nicht nur gegen quälende Beschwerden, sondern schützt such vor den Folgeerkrankungen des Hormonmangels wie Osteoporose und Herz-Kreislauf-Erkrankungen (Todesursache Nr.1!), sowie verschiedenen Krebsarten.
Die aktuellen Daten zeigen auch hier, dass die alleinige Gabe von Östrogen vor Brustkrebs schützt, bzw. dass das Risiko unter einer kombinierten Therapie bei einer Behandlungsdauer von mehr als fünf Jahren minimal ansteigt, einige Studien fanden gar keine Risikoerhöhung. Übergewicht, wenig körperliche Bewegung und regelmäßiger Weinkonsum dagegen erhöhen die Wahrscheinlichkeit deutlich stärker. Frauen, die mit den bioidentischen Hormonen gut eingestellt und fit sind, können die Therapie ohne zeitliche Begrenzung fortführen. Selbstverständlich sollten regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen stattfinden.
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Schluss mit der Panikmache!
Ich persönlich frage mich tatsächlich, warum das Thema „Hormonersatztherapie“ so leidenschaftlich-emotional und wenig faktenbasiert diskutiert wird. Überraschenderweise wird diese Diskussion ganz häufig von Männern angeführt, die lautstark behaupten, dass die Wechseljahre, da eben eine ganz natürliche Lebensphase, keine Therapie benötigen.
Na klar, sie durchleben diese Phase auch nicht in der Form, wie Frauen es tun. Merkwürdigerweise habe ich während meiner gesamten beruflichen Laufbahn nicht annähernd erlebt, dass Frauen von Männern in diesem Ausmaß vor hormonellen Verhütungsmitteln gewarnt werden. Hier ist es nach wie vor eher eine Selbstverständlichkeit, dass, quasi mit Beginn der Pubertät, eine Pille empfohlen wird.
Das gibt mir zu denken.