Sie wehren sich per Online-Appell, offenem Brief und Foto-PostingEs wird eng: Intensivmediziner schlagen Alarm auf allen Kanälen

Hohe Inzidenzen, belegte Krankenhausbetten auf den Intensivstationen: Die vierte Corona-Welle rollt aktuell über Deutschland. Hinzu kommt Pflegepersonal in Not und die saisonalen Infekte. Kein Wunder also, dass die (Intensiv-)Mediziner in Alarmbereitschaft sind. Deswegen betonen sie jetzt erneut: Die Lage ist ernst! Auf allen Kanälen wollen sie verdeutlichen: Es muss gehandelt werden – und zwar sofort, an mehreren Baustellen. Warum aber nicht nur das Coronavirus eine Rolle spielt.
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1. Problem: Strafzahlungen, weil die Pflegepersonaluntergrenze nicht eingehalten werden kann
Der ärztliche Direktor und Pandemiebeauftragte des Klinikums Fürth, Dr. Manfred Wagner, richtet sich vor kurzem via Instagram an Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und die Bevölkerung. Der Grund: Kliniken werden durch Strafzahlungen aktuell dafür bestraft, dass sie die Versorgung ihrer Patienten aufrechterhalten, so heißt es in dem Video. Daher die Forderung der Mediziner: Die Strafzahlungen für die Pflegepersonaluntergrenzen sollten von der Politik sofort ausgesetzt werden.
Vor etwa einem Jahr habe Dr. Wagner schon mal unter dem Hashtag #teilenstattklatschen darauf aufmerksam machen wollen, dass die Kliniken nicht ohne finanzielle Absicherung in den Corona-Herbst gehen können. Ein Jahr später hat sich die Lage wenig verändert: Erneut steigen die Zahlen, erneut sind die Intensivstationen in äußerst prekären finanziellen Lagen. „Hier im Großraum Nürnberg-Fürth-Erlangen sind die Kliniken und die Intensivstationen voll“, sagt der Mediziner. Das liege nicht nur an Corona, sondern auch an den saisonal-typischen Infekten und anderen Gründen.
Das Problem: „Eigentlich ist die Aufnahmekapazität in der Klinik dadurch begrenzt, wie viel Pflegepersonal wir haben. Und da gibt’s dann sogenannte Pflegepersonaluntergrenzen (PPUG), ein sinnvolles Instrument, weil man damit die Qualität der Pflege und eine würdige Behandlung von Patienten sicherstellen will.“ Dr. Wagner erklärt, die Zahl beschreibe quasi, wie viele Patienten aufgenommen werden dürfen bei der Anzahl der vorhandenen Pflegekräfte. Daraus resultierend seien die Kapazitäten begrenzt, „weil wir alle wissen: Es gibt einen Pflegemangel.“ Der Pflegenotstand wird immer deutlicher.
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"Wie krank ist eigentlich unser Gesundheitssystem?"

Aktuell kommen mehr Patienten hinzu, die die Kliniken aufgrund dieser Untergrenze eigentlich gar nicht aufnehmen dürften. „Auf dem Rücken der Mitarbeiter“ werde ihnen selbstverständlich geholfen – nur dafür würden die Mitarbeiter nicht nur nicht belohnt – sondern sogar bestraft. „Weil wenn wir diese PPUG verletzen, müssen wir Strafzahlungen zahlen“, heißt es im Posting weiter. Dr. Wagners Appell an Jens Spahn und die zukünftige Bundesregierung: „Sorgt endlich dafür, dass die Bedingungen für unsere Pflegekräfte so sind, dass wir wieder genug Leute in diesen wunderschönen Beruf bekommen!“ Das sei ein langfristiges, aber sehr wichtiges Ziel.
„Aber jetzt sofort brauchen wir unbedingt die Aussetzung der Strafzahlungen für die Pflegepersonaluntergrenzen, damit wir zumindest finanziell sicher weiter arbeiten können. Es darf nicht sein, dass wir in einer kritischen Situation über unsere Belastungsgrenze gehen und dafür noch bestraft werden.“
Abschaffen der PPUG bringt jedoch andere Probleme mit sich
In einem weiteren Instagram-Video greift der Fürther Mediziner ein weiteres Problem auf: „Wenn man jetzt die Strafzahlungen aussetzt, dann besteht die Gefahr, dass die Kliniken quasi wieder Volldampf fahren und das zu Lasten der Pflege.“ Die Patienten kommen trotzdem, Möglichkeiten sie auf andere Krankenhäuser zu verteilen, gibt es – zumindest im Großraum Nürnberg-Fürth-Erlangen – nicht. „Wir werden also deswegen in die Überbelegung gehen müssen, weil wir gar keine andere Option haben“, betont Dr. Wagner.
Strafzahlungen würden – laut seiner Aussage – die Kliniken in finanzielle Nöte bringen, was wiederum erneuten, vermehrten Druck auf Mitarbeitende erhöhe. Ein Teufelskreis – vor allem weil das Aussetzen der Strafzahlungen kaschieren könnte, in welcher Not die Kliniken wirklich sind, wie es auch schon im letzten Jahr der Fall war. „Eine schwierige Situation, aber es einfach so laufen zu lassen, zerreibt im Moment die Kliniken“, das merke der Pandemiebeauftragte am eigenen Leib. Er sei sich der Tatsache bewusst, dass man nicht so schnell eine Lösung finden könnte, er wolle aber vor allem betonen, wie abstrus es ist, dass es Strafen dafür gibt, dass die medizinsiche Versorgung aufrecht erhalten wird. Denn im Endeffekt gehen sie nicht nur einfach ihrem Job nach, sie retten dabei auch Menschenleben.
2. Problem: Intensive Behandlung und Betreuung von Covid-19-Patienten
Auch ein Intensivmediziner aus Großbritannien, Dr. David Frocester, nutzt Social Media, um zu alarmieren. Er hat vor kurzem auf seinem Twitter-Kanal ein Bild hochgeladen, auf dem unzählige Medikamente und Präparaten zu sehen sind, die ein einzelner Covid-19-Patient auf der Intensivstation täglich verabreicht bekommt. Dass da Aufwand und Arbeit für das Pflegepersonal hinter steckt, lässt sich erschließen.
3. Problem: Andere Patienten auf der Intensivstation kommen zu kurz

Der Berufsverband Deutscher Anästhesisten (BDA) und die Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie & Intensivmedizin (DGAI) richtet sich ebenfalls mit eindringlichen Worten an den Gesundheitsminister, jedoch nicht per Instagram und Co., sondern in einem offenen Brief. „Handeln Sie bitte jetzt schnell und umfassend, um eine Priorisierung in der Patientenversorgung noch zu verhindern“, heißt es in dem Appell. In vielen Landkreisen sei „die Akutversorgung der Bevölkerung gefährdet und die Erfüllung unseres Versorgungsauftrags vor allem bei den Non-Covid Patient*innen nicht mehr gewährleistet.“ Weil immer mehr Covid-19-Patienten intensivmedizinisch behandelt werden, seien die Ärzte kaum mehr in der Lage, Patienten mit Schlaganfällen, Herzinfarkten oder Ähnlichem adäquat zu behandeln.
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4. Problem: Wenig Personal - Tendenz sinkend
In dem offenen Brief erwähnen der BDA und die DGAI außerdem das große Problem rund um den Personalmangel. Nicht nur immer mehr Pflegekräfte, sondern auch immer mehr Ärzte werden dem Bereich der Intensivmedizin abtrünnig, „weil die Belastungen nach fast 2 Jahren aufreibender Arbeit an vorderster Front der Pandemie teilweise unerträglich geworden sind.“ Und diejenigen, die noch da sind? Die „steuern sehenden Auges auf eine massive Überlastunssituation zu, die dieses Problem erheblich verschärfen wird“.
Ihre Forderungen lauten unter anderem wie folgt:
Verbindliche 2G-Regelung für alle Bereiche des öffentlichen Lebens – gerade auch bei Großveranstaltungen
Strikte Kontakteinschränkungen, wo die 2G-Regel nicht gewährleistet werden kann
Flächendeckende Impfangebote
Booster-Impfungen für alle
Examinierte Krankenpfleger in den Beruf zurückholen
Mehrere Brände gleichzeitig löschen
Diese alarmierenden Worte und Warnungen der Intensivmediziner verdeutlichen wieder einmal: Es muss sich etwas ändern. Trotzdem wird ebenfalls erneut klar, dass das gar nicht mal so einfach ist. Inwiefern die Probleme also behoben und Hindernisse aus der Welt geschafft werden können, wird sich erst noch zeigen. (vdü)
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