Plakat-Protest gegen Putin

Nach Protest im russischen TV: Was wurde aus Marina Owsjannikowa?

Marina Owsjannikowa
Im März wurde die russische TV-Journalistin mit ihrer Protestaktion gegen den Angriffskrieg auf die Ukraine weltberühmt.
dpa, deutsche presse agentur

Mit einem selbstgebastelten Schild im russischen Staatsfernsehen – diese Bilder der russischen TV-Mitarbeiterin Marina Owsjannikowa gingen um die Welt. Owsjannikowa trat mit dem Schild mit der Aufschrift „No war“ live in einer Hauptnachrichtensendung auf, um gegen Russlands Angriffskrieg in der Ukraine zu protestieren. Eine Aktion, die viel Mut erfordert hat, denn in Russland wird nicht öffentlich von einem Krieg gegen die Ukraine gesprochen.

Seit der mutigen Protestaktion ist mittlerweile fast ein Jahr vergangen. Wie ist es Owsjannikowa seit dem ergangen? Eines kann man schon vorwegnehmen: In Russland ist die Journalistin nicht mehr erwünscht.

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Owsjannikowa wurde 14 Stunden verhört

Owsjannikowa war zum Zeitpunkt der Livesendung Mitarbeiterin des staatlichen TV-Senders „Kanal Eins“. Während der Nachrichtensendung stellte sie sich hinter die Moderatorin mit einem selbstgebastelten Plakat, auf dem sie zum Ende des Kriegs in der Ukraine aufruft und vor Propaganda warnt. „Stoppt den Krieg. Glaubt der Propaganda nicht. Hier werdet ihr belogen“, war auf dem Schild zu lesen.

Kurz darauf war Owsjannikowa einige Stunden verschwunden, nach eigenen Aussagen soll sie 14 Stunden verhört worden sein. Die Strafe für den Protest fiel zu diesem Zeitpunkt noch recht glimpflich aus: lediglich eine Geldstrafe von umgerechnet 256 Euro wurde der TV-Mitarbeiterin auferlegt. Doch der 43-jährigen Mutter von zwei Kindern drohte viel Schlimmeres. Eine Haftstrafe von bis zu 15 Jahren für die Verbreitung von Informationen, die nicht der Linie des Kremls entsprechen. Doch in Haft befindet sich Owsjannikowa auch heute nicht. Der „Spiegel“ hat ein Interview mit ihr per Videochat geführt. Ihr aktueller Aufenthaltsort: Frankreich.

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Owsjannikowa lässt Russland hinter sich: "Mein Anwalt warnte: wenn Flucht, dann jetzt."

Warum ausgerechnet Frankreich? „Das hängt mit Reporter ohne Grenzen zusammen, die hier in Paris ihren Hauptsitz haben. Sie haben bei unserer Rettung eine große Rolle gespielt,“ erklärt Owsjannikowa im Interview mit dem „Spiegel“. Sie sei damals aus dem Hausarrest in Russland geflohen. Die Aussicht auf den kurz bevorstehenden Prozess, sowie die wahrscheinliche lange Haftstrafe bewegten Owsjannikowa schließlich doch dazu, aus Russland zu fliehen – obwohl sie das erst eigentlich nicht tun wollte. „Mein Anwalt warnte: wenn Flucht, dann jetzt, das sei meine letzte Chance. Ich hatte also die Wahl, ins Gefängnis zu gehen oder wegzulaufen.“

Trotz elektronischer Fußfessel gelang Owsjannikowa die Flucht aus Russland. Sieben Autos waren unterwegs, um die Spuren der Journalistin bis zu Grenze zu verwischen, erklärt sie. Eine Aktion, die letzten Endes geglückt ist. „Die genaue Route kann ich aus Sicherheitsgründen nicht nennen, aber sagen wir es so: Seit ich geflohen bin, halte ich mich in der Europäischen Union auf.“

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Familie nennt Owsjannikowa "Verräterin"

Marina Owsjannikowa verlässt mit ihrem Anwalt am Dienstagabend das Gerichtsgebäude.
Marina Owsjannikowa verlässt mit ihrem Anwalt das Gerichtsgebäude.
Reuters

Zurückgelassen hat Owsjannikowa ihre Mutter, ihren Sohn, ihre Heimat und viel mehr. Nur mit ihrer Tochter ist sie geflohen. Ein russisches Gericht hat ihr sogar die Rechte als Mutter eingeschränkt, ein Schritt, der in Russland sonst nur bei schwer drogenabhängigen Personen vorgenommen wird. Selbst ihre eigene Mutter bezeichnet Owsjannikowa als „Verbrecherin“. „Meine Mutter ist genauso alt wie Putin, sie will wie alle Älteren die Sowjetunion wiederherstellen. Und mein Sohn unterstützt seinen Vater, nennt mich immer noch eine Verräterin an seiner Familie, seinem Heimatland. Ich kann mich darüber nicht mehr aufregen, meine Gesundheit ist schon genug belastet.“

Aber auch in Frankreich ist das Leben für sie nicht ohne Gefahren: „Auch hier in Paris bewege ich mich auf der Straße nur mit Käppi auf dem Kopf. Das wird nun aufhören, wir haben politisches Asyl beantragt. Ich kann mich nicht ewig verstecken.“

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Bereut die Journalistin ihren Protest?

Anerkennung für ihre Protestaktion bekommt Owsjannikowa fast aus der ganzen Welt. Natürlich nicht aus Russland, aber auch nicht aus der Ukraine. Für einen journalistischen Bericht war Owsjannikowa Ende Mai vergangenen Jahres in die Ukraine gereist. Ein Fehler, wie sich hinterher herausgestellt hat: „Heute weiß ich, dass kein Mensch mit einem russischen Pass in die Ukraine fahren sollte, während russische Truppen die Ukraine beschießen. Und eine russische Journalistin, die für einen russischen Propagandasender gearbeitet hat, schon gar nicht.“

Vom eigenen Land, von der Ukraine und von der eigenen Familie nicht verstanden – bereut Owsjannikowa manchmal ihren Protest? Nein. Es sei zwar ein sehr schwieriges und dramatisches Jahr für sie gewesen, „aber das, was ich erleben musste, ist gering im Vergleich zu dem Leid, das den Ukrainern widerfahren ist. Wenn Sie mich fragen, ob ich wieder wie im März protestieren würde: Ja, ich werde nicht mehr schweigen, sondern alles tun, um diesen Krieg zu kritisieren.“ (khe)

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