Das Grauen von Lügde vor Gericht

Missbrauchs-Prozess startet: Zwei Männer - 462 Straftaten

Die Abgründe von Lügde kommen vor Gericht. Ein perfider Fall, der ganz Deutschland entsetzt hat. Das unendliche Leid der Opfer, die Skrupellosigkeit der Täter und das vollkommen unverständliche Behördenversagen werden vor dem Landgericht Detmold ab Mittwoch aufgearbeitet. Dem Hauptangeklagten Dauercamper Andreas V. und einem weiteren Mann werden 462 Straftaten vorgeworfen. Auch einem weiteren Komplizen wird der Prozess gemacht. Die Opfer sollen ebenfalls gehört werden. Die Beweislast ist erdrückend.

Fall Lügde zählt zu den größten Missbrauchsfällen der deutschen Kriminalgeschichte

27.06.2019, Nordrhein-Westfalen, Detmold: Der Angeklagte Andreas V. wird von einem Justizmitarbeiter in den Saal des Landgerichtes geführt. Links sein Anwalt Johannes Salmen. Über viele Jahre hinweg sollen Kinder auf einem Campingplatz im nordrhein-westfälischen Lügde hundertfach schwer sexuell missbraucht worden sein. Drei Männer sind angeklagt. Ein 56-Jähriger aus Lügde und ein 34-Jähriger aus Steinheim sollen den Missbrauch begangen und teilweise gefilmt haben. Ein 49-Jähriger aus dem niedersächsischen Stade soll an Webcam-Übertragungen teilgenommen haben. Foto: Bernd Thissen/dpa-POOL/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Hier wird der Hauptangeklagte, Andreas V., von einem Polizisten in den Gerichtssaal geführt.
bt jat, dpa, Bernd Thissen

Drei Angeklagte, mindestens 40 Opfer, mehr als 1.000 Einzeltaten, der jahrelange Kindesmissbrauch auf dem Campingplatz "Eichwald" im nordrhein-westfälischen Lügde ist in Zahlen kaum zu erfassen. Über mindestens 20 Jahre hinweg wurden die Kinder auf widerlichste Art und Weise von den Männern vergewaltigt und dabei gefilmt. Der Fall Lügde zählt zu den größten Missbrauchsfällen in der deutschen Kriminalgeschichte.

Zum Auftakt des Prozesses wird die Staatsanwaltschaft die Anklagen verlesen. Offen war zunächst, ob der Prozess bereits nach wenigen Minuten unterbrochen wird, um die Öffentlichkeit zum Schutz der Opfer auszuschließen. Neben einigen Medienvertretern ist im Gerichtssaal nur Platz für rund 30 Zuhörer.

Der Prozess um den hundertfachen Missbrauch von Kindern auf einem Campingplatz in Lügde hat begonnen.
Der Prozess um den hundertfachen Missbrauch von Kindern auf einem Campingplatz in Lügde hat begonnen.
RTL

Peter Wüller, der als Anwalt einige der Opfer im Prozess vertritt, sagte der "Rheinischen Post": Sämtliche Kinder schildern die gleichen Taten." Die Übergriffe verliefen nach einem ähnlichen Muster. Es geht um schwersten sexuellen Missbrauch, Vergewaltigungen jeglicher Art, die Opfer sind Jungen und Mädchen." Kinder sollen auch gezwungen worden sein, sich gegenseitig sexuell zu missbrauchen und bei Vergewaltigungen zuzuschauen", sagt Wüller.

Die drei Angeklagten

ARCHIV - 31.01.2019, Nordrhein-Westfalen, Lügde: Blick auf ein Gebäude auf dem Campingplatz Eichwald, das mit Polizeiabsperrband versehen ist. Kinder wurden jahrelang auf dem Campingplatz sexuell missbraucht. Am Donnerstag beginnt in Detmold der Lügde-Prozess. Foto: Guido Kirchner/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
In diesem Campingwagen wurden die Kinder sexuell missbraucht.
gki, dpa, Guido Kirchner
  • Hauptangeklagter Andreas V. (56)

Die Staatsanwaltschaft Detmold wirft dem heute 56-jährigen arbeitslosen Dauercamper fast 300 Straftaten vor. Er soll im Sommer 1998 und von 2008 bis 2018 insgesamt 23 Mädchen teilweise schwere sexuelle Gewalt angetan haben. Zudem wurden fast 900 Bild- und Videodateien bei ihm gefunden, die sexuelle Übergriffe auf Minderjährige zeigen.

  • Mario S. (34) aus Steinheim

Der 34-Jährige ist angeklagt, in 162 Fällen acht Mädchen und neun Jungen missbraucht zu haben, manche schwer. Bei ihm wurden laut Anklage rund 4.800 Bild- und Videodateien mit kinder- und jugendpornografischem Material sichergestellt.

Dem Vorwurf zufolge hatten beide Männer manche Gewalttaten gefilmt. Einige der Kinder wurden Opfer sowohl von Andreas V. als auch von Mario S. Alle Opfer waren minderjährig, die jüngsten sollen im Kindergartenalter gewesen sein.

  • Heiko V. (49) aus Stade (Niedersachsen)

Der dritte Angeklagte soll an mindestens vier Webcam-Übertragungen teilgenommen und teils zu den Taten angestiftet haben. Es wird nicht ausgeschlossen, dass sein Verfahren abgetrennt werden könnte.

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Zehn Prozesstage angesetzt

ARCHIV - 18.01.2016, Nordrhein-Westfalen, Detmold: Das Landgericht in Detmold. Am Donnerstag beginnt im Landgericht der Lügde-Prozess. Foto: Bernd Thissen/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Das Urteil soll bereits am 30. August gesprochen werden.
bth jai, dpa, Bernd Thissen

Zehn Verhandlungstage hat die Vorsitzende Richterin Anke Grudda in dem Prozess angesetzt. Das Urteil soll bereits am 30. August gesprochen werden. Offenbar hofft das Gericht, dass die Angeklagten die Vorwürfe einräumen und die Befragungen der Opfer auf das Kerngeschehen reduziert werden können. Das Gericht hat insgesamt 28 Nebenkläger zugelassen, die von 18 Anwälten vertreten werden. 53 Zeugen wurden geladen.

Ermittlungen in dem Fall dauern an

Parallel dazu dauern Ermittlungen in dem Fall an. Es war es auch zu Polizeipannen gekommen, 150 Datenträger - Beweismittel - aus einem Polizeiraum verschwunden. Jugendämter sollen frühen Hinweisen gegen Andreas V. nicht nachgegangen sein. Auch ein Untersuchungsausschuss im NRW-Landtag soll Fehlverhalten aller befassten Ebenen und Behörden aufklären und sich mit den Polizei und Staatsanwaltschaft, Jugendämtern und dem Umgang der Landesregierung befassen.

Im Interview mit RTL-Reporter Uli Klose äußert sich Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul zu dem Fall. Das Thema Lügde habe ihn belastet, gesteht der Politiker. "Es berührt einen ja auch, es regt einen ja auf, es treibt einen ja ewig um." Im Video erzählt der Innenminister, wie der Fall seine Wahrnehmung, was Kinderpornografie angeht, verändert hat.

Doku zum Missbrauchsskandal jetzt auf TVNOW

In der TVNOW-Doku spricht RTL-Reporter Wolfram Kuhnigk mit einer Mutter, deren Kinder Opfer von Andreas V. wurden. Achtmal musste die Frau mit den Kindern zur Polizei, wo ihr auch davon abgeraten wurde, die Kinder vor Prozessbeginn eine Therapie anfangen zu lassen. Was die Familie seitdem durchgemacht hat – in der TVNOW-Doku.

mo