"Müssen aufhören mit Stützrädern zu fahren"
FDP für Ende der Corona-Isolationspflicht: Ist das nicht zu riskant? Experte klärt auf
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von Vera Dünnwald
Während Experten bislang kein Ende der Corona-Sommerwelle sehen und auch Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) bereits vor einer schlimmen Entwicklung im Herbst warnte, scheinen die FDP-Politiker gelassener zu sein. Sie haben sich für ein Ende der Corona-Isolationspflicht ausgesprochen. „Aus meiner Sicht ist es sowohl epidemiologisch als auch aus Gründen der Eigenverantwortung überfällig, den Menschen diese Entscheidung wieder zu überlassen – so, wie es andere europäische Länder schon längst getan haben“, sagte FDP-Vize Wolfgang Kubicki den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Aber ist das nicht in Anbetracht der aktuellen Lage zu riskant? Wir haben Allgemeinmediziner und Medizinjournalist Dr. Christoph Specht gefragt.
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Für und Wider: Das sind die Stimmen zur Isolationspflicht-Debatte
Zur Debatte rund um das Ende der Isolationspflicht äußerte sich FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai ähnlich. Er warnte vor Personalausfällen: „Wir werden in systemrelevanten Bereichen vor enormen Herausforderungen stehen, wenn wir massenhaft positiv Getestete ohne Symptome in die Isolation schicken“, sagte er der „Rheinischen Post“.
Andreas Gassen, der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, hat sich gegenüber RTL ebenfalls für eine Aufhebung der alten Corona-Isolations- und Quarantänepflichten ausgesprochen: „Ich glaube, es ist an der Zeit, dass wir Corona mehr wie eine normale Infektionskrankheit bewerten.“ Dass Leute zu Hause bleiben, belaste die Infrastrukturen. „Nichts funktioniert mehr, weil hunderttausend Menschen mit positivem Test und ohne Symptome zu Hause bleiben.“
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Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) machte bereits am Wochenende klar, dass er nichts von dem Vorschlag hält. „Infizierte müssen zu Hause bleiben. Sonst steigen nicht nur die Fallzahlen noch mehr, sondern der Arbeitsplatz selbst wird zum Sicherheitsrisiko“, schrieb er auf Twitter. Derzeit gilt für die allgemeine Bevölkerung, dass die vorgeschriebene Isolation für Corona-Infizierte nach fünf Tagen enden kann – mit einem „dringend empfohlenen“ negativen Test zum Abschluss.
Und wie schätzt Dr. Specht die Lage als Mediziner ein? „Man hat es hier mit unterschiedlichen Betrachtsungsweisen zu tun: Die eine Seite will alles verhindern, was nur geht, um so das Optimum in einer Sache zu erreichen. Die andere Seite hingegen fokussiert sich auf viele verschiedene Ziele.“ Er vergleicht die Situation mit Stützrädern an einem Fahrrad: „Wir haben uns an Dinge wie die Isolationspflicht gewöhnt. Seitdem halten wir es nicht mehr für möglich, ohne sie klarzukommen. Das ist wie als wären wir die ganze Zeit mit Stützrädern gefahren. Man fühlt sich sicher, denn das Fahrrad kann ja nicht umfallen. Aber eigentlich geht es auch ohne.“
Auch Dr. Specht warnt vor einer Überlastung der Infrastruktur
Damit meint er, dass wir uns von folgender Ansicht verabschieden müssen: „Wenn jemand infiziert ist, kann er einen anderen infizieren. Das wollen wir verhindern, deswegen soll die Person nirgendwohin gehen. Das ist an sich logisch.“ Aber: Man müsse viele Ziele aufeinander abstimmen. Denn: Einerseits sollen sich möglichst wenige Menschen infizieren, andererseits sollen aber auch unser Sozialsystem und die Infrastruktur funktionieren. Dr. Specht sagt im RTL-Interview – und schließt sich damit Gassen an: „Wenn viele Menschen aufgrund von Isolation oder gar Quarantäne – also ‘nur’ als Kontaktperson geltend – zu Hause bleiben, dann haben wir ein Problem, weil Menschen nicht versorgt werden.“
Das Universitätsklinikum Frankfurt lässt mittlerweile positiv auf das Coronavirus getestete Mitarbeiter arbeiten. Vorausgesetzt sie haben sich fünf Tage lang isoliert und mindestens zwei Tage lang keinerlei Krankheitssymptome. Begründet werde das, so Specht, mit der Tatsache, dass es vor oder im Krankenhaus ohnehin selten Übertragungen gegeben habe. Diese fänden nach wie vor eher im Privaten statt. Und: „Krankenhaus-Mitarbeiter kommen aus dem medizinischen Bereich und wissen daher ganz genau, wie sie sich verhalten müssen, wie sie zum Beispiel eine Maske richtig zu tragen haben. Dementsprechend können sie sich auch so verhalten, dass sie niemanden anstecken“, erklärt Dr. Specht.
Selbstverständlich solle natürlich jeder zu Hause bleiben, der krank ist, sagt der Mediziner.
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Auch ein Blick ins Ausland zeigt, dass „das Fahren ohne Stützräder“ funktionieren kann. Specht erzählt: „Dänemark hat damit angefangen, bestimmte Maßnahmen komplett aufzuheben und auch in Spanien gibt es das nicht mehr, gesunde Leute zu Hause zu lassen. Infiziert zu sein heißt nicht, dass man krank ist. Ein Kranker hat Symptome.“ Am Anfang sei eine Isolation vollkommen richtig gewesen, „aber inzwischen haben wir eine ganz hohe Durchseuchung – entweder durch Kontakt mit dem Virus oder dem Antigen dank der Impfung. Er halte daher die Aufhebung der Isolationspflicht ebenfalls für sinnvoll.
„Das Virus, wie es gerade zirkuliert, ist hochansteckend, und die Leute infizieren sich, egal wie oft sie geimpft wurden oder sich zuvor infiziert haben. Wer jetzt noch nicht infiziert ist, wird sich selbstverständlich noch infizieren. Das können wir gar nicht vermeiden“, so der Mediziner. Diese Ausgangssituation habe das Ausland erkannt, ebenso wie die Tatsache, dass auch die Zahlen im Herbst und Winter wieder steigen werden. „Das wird dann aber alleine schon daran liegen, dass wir wieder mehr testen werden, zum Beispiel an Schulen.“ (dpa)
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