Bundestag verabschiedet neues Gesetz für ZuwandererChance auf langfristigen Aufenthalt: Aber was heißt eigentlich "gut integriert"?

Ein Flüchtling im Sprachkurs
Gute Kenntnisse der deutschen Sprache oder ein fester Job - ab wann gelten Zugewanderte als "gut integriert"?
deutsche presse agentur
von Kathrin Hetzel und Esther Kusch

Mehr als 136.000 Menschen sollen vom neuen „Chancen-Aufenthaltsrecht“, das die Bundesregierung Anfang des Monats beschlossen hat, profitieren. Konkret bedeutet das: Wer mehr als fünf Jahre in Deutschland lebt und gut integriert ist, soll bessere Chancen bekommen, auch langfristig in Deutschland bleiben zu können.
Nachzuweisen, dass man schon fünf Jahre in Deutschland ist, scheint einfach, aber was bedeutet in diesem Zusammenhang eigentlich „gut integriert“? Diese Frage ist auch auf den RTL-Socialmedia-Kanälen immer wieder gestellt worden. Alle Fragen und Antworten zu dem Thema deshalb hier zusammengefasst.
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Was steht in dem neuen Gesetz?

Wolfgang Kumm
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hat den Entwurf für das sogenannte Chancen-Aufenthaltsrecht vorgelegt.
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Am 2. Dezember hat der Bundestag das sogenannte „Chancen-Aufenthaltsrecht“ beschlossen. Diese Punkte umfasst das neue Gesetz:

  • Wer zum Stichtag 31. Oktober 2022 fünf Jahre im Land lebt und „gut integriert“ ist, soll 18 Monate Zeit bekommen, um die Voraussetzungen für einen langfristigen Aufenthalt zu erfüllen.

  • Voraussetzungen sind dafür laut Bundesregierung: gute Deutschkenntnisse, die Sicherung des eigenen Lebensunterhalts, nicht straffällig geworden zu sein, Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung, Nachweis einer Erwerbstätigkeit, Erwerb eines Identitätsnachweises

  • Ausnahmen für Kinder und Jugendliche: gut integrierte Jugendliche können bereits nach 3 Jahren Aufenthalt (bis zum 27. Lebensjahr) eine solche Aufenthaltserlaubnis erhalten

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Was bedeutet "gut integriert"?

Auffällig: Bei dem Gesetz sind immer wieder die Worte „gut integriert“ zu lesen. Eine genaue Definition wird dabei über die oben genannten Punkte hinaus aber nicht gegeben und scheint auf den ersten Blick ein eher dehnbarer Begriff zu sein.

Die Bundeszentrale für politische Bildung definiert das Wort „Integration“ bzw. „integriert“ als Beschreibung für Menschen, die sich „in das Leben ihrer neuen Heimat eingliedern und von der Mehrheitsgesellschaft nicht als Fremde ausgegrenzt werden.“ Allerdings bedeutet Eingliederung hier nicht Anpassung. Das heißt Zuwanderer müssen ihre eigene kulturelle Herkunft – also Religion, Muttersprache, Sitten und Gebräuche – nicht vollkommen aufgeben.

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Expertin erklärt: Das sind die Merkmale einer guten Integration

Susanne Rabe-Rahman vom Caritasverband der Stadt Köln weitet den Begriff auf RTL-Anfrage noch mit mehr Beispielen aus. Für sie gilt als „gut integriert“, wer folgende Eigenschaften nachweisen kann:

  • grundlegende Deutschkenntnisse

  • Teilhabe und Förderung für Kinder

  • Ausbildungsmöglichkeiten oder Arbeit

  • Förderung von guten Kontakten in die Umgebung (Nachbarschaft, ehrenamtliche Initiativen)

  • möglichst eine eigene Wohnung

  • Kenntnisse über das Funktionieren unserer Gesellschaft

Generell begrüßt Rabe-Rahman das neue Chancen-Aufenthaltsrecht der Bundesregierung: „Menschen, die lange in Deutschland leben, brauchen Chancen – in ihrem Sinne und im Sinne unserer Gesellschaft.“ Probleme sieht sie bei der relativ kurzen Zeit von 1,5 Jahren, die es vor allem benachteiligten Menschen schwer machen wird, alle nötigen Voraussetzungen für das Aufenthaltsrecht zu erfüllen: „Wir müssen ihnen mehr Zeit geben.“

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Experte erklärt: Wer für uns "gut integriert" ist, bestimmen wir immer wieder neu

Für Migrationsforscher Prof. Dr. Jochen Oltmer von der Universität Osnabrück fällt eine klare Definition allerdings nicht so leicht. Auf RTL-Anfrage erklärt er, dass es in der Migrationsforschung für das Wort „integriert“ keine einheitlichen Auffassungen oder feste Faktoren gebe.

Das Problem ist Folgendes: „Eingewanderte würden sich einer Zielgesellschaft anpassen. Allein durch die Einwanderung verändert sich aber die Zielgesellschaft, weshalb es sich um einen Prozess handelt, der auf Gegenseitigkeit beruht.“

Das bedeutet also unsere Gesellschaft definiert immer wieder neu, was für uns gut oder eben schlecht integriert bedeutet. Oltmer erklärt: „Wir können zum Beispiel beobachten, dass Menschen die deutsche Sprache perfekt beherrschen, einen deutschen Pass haben und ökonomisch auf eigenen Füßen stehen, aber dennoch nicht als zugehörig (und damit als integriert) gelten, weil sie als muslimisch eingeordnet werden oder ein Kopftuch tragen.“

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Was muss verbessert werden, um Zuwanderern die Integration zu erleichtern?

 Flüchtlingsunterkunft in der Messehalle 9 Neue große Flüchtlingsunterkunf in der Messehalle 9 auf dem Messegelände in Hannover *** Refugee accommodation in exhibition hall 9 New large refugee accommodation in exhibition hall 9 on the Hannover exhibition grounds Copyright: xBerndxGüntherx
Geflüchtete werden häufig monatelang in solchen Unterkünften untergebracht. Das erschwert die Integration, findet eine Expertin des Caritas-Verbandes.
www.imago-images.de, IMAGO/Bernd Günther, IMAGO/Bernd Günther

Susanne Rabe-Rahman vom Caritasverband der Stadt Köln sieht in der Integrationsarbeit in Deutschland aber noch einige Baustellen. Auf RTL-Anfrage erklärt sie, was sich in Zukunft aus Ihrer Sicht verbessern muss, um Zuwanderern die Integration zu erleichtern.

  • unterschiedliche Gruppen von Geflüchteten müssen gleich behandelt werden

  • qualifizierte Sprachförder- und Lernangebote von Anfang an

  • keine mehrmonatige Unterbringung in isolierten Gemeinschaftsunterkünften mehr

  • hohe Sensibilisierung und gute Unterstützung im gesundheitlichen Bereich

  • Antidiskriminierungsarbeit und Prävention gegen Machtmissbrauch

  • längerfristige Ausstellung von Duldungen und Aufenthaltspapieren

  • größeren Fokus und Hilfe für sozial benachteiligte Gruppen

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