„Ich kann froh sein, dass keiner gestorben ist“
Krankenpfleger arbeitet sechs (!) Stunden allein in der Notaufnahme - und schmeißt hin

Personalmangel, zu viele Patienten, zu wenig Ärzte: Die Lage in deutschen Kliniken ist seit langem angespannt. Ein Krankenpfleger aus Niedersachsen zieht jetzt die Reißleine, sagt deutlich: „Ich kann nicht mehr.“ Nach einem besonders anstrengenden Arbeitstag, an dem sogar Patienten in Gefahr gewesen seien, habe er sich dazu entschlossen, am Mittwoch (21. Dezember) seine Kündigung einzureichen – nachdem er sechs (!) Stunden lang als einzige Pflegekraft in der Notaufnahme gearbeitet hatte.
Keine Unterstützung, untragbare Zustände: F. reicht seine Kündigung ein und gibt seinen Job als Krankenpfleger auf
Eigentlich liebt Detlef F.* seinen Job: „Ich sehe gerne die Erfolgserlebnisse, wenn ich dazu beigetragen habe, dass es Menschen wieder besser geht. Teilweise erfreue ich mich noch an Ereignissen von vor drei Jahren, als einem gesagt wurde: ‘Sie haben mir geholfen!’ So etwas hält einen eigentlich im Beruf. Aber nicht mehr unter diesen Voraussetzungen“, sagt der seit 2016 examinierte Krankenpfleger aus Niedersachsen im Gespräch mit RTL.
Am 21. Dezember entschließt er sich zur Kündigung: „Ich mache das nicht mehr mit. Ich weiß gar nicht, ob ich überhaupt nochmal im medizinischen Bereich arbeiten werde.“
Doch was ist passiert? Eigentlich beginnt sein Tag wie jeder andere, um sechs Uhr morgens kommt F. ganz normal zur Arbeit. „Der Nachtdienst war zu dem Zeitpunkt auch schon total platt. Ich habe dann gesagt bekommen: ‘Du bist heute morgen alleine, die Kollegin ist krank.’ Es kam raus, dass sie aber bereits seit fünf Tagen krank ist und man das wusste. Wieso wurde sich nicht um Ersatz gekümmert?“
Für F. ist klar: Die untragbaren Zustände scheinen nicht relevant genug. „Ich habe dann direkt eine Gefährdungsanzeige geschrieben, dass ich für den Tag die Verantwortung ablehne. Die habe ich zur Geschäftsführung, Pflegedienstleitung und zum Betriebsrat gefaxt“, erzählt er. Im gleichen Moment habe er sich zudem gefragt: Warum tust du dir das eigentlich noch an? „Ich habe dann meine Kündigung geschrieben und sie direkt hinterhergeschickt.“
F.s Tag beginnt: „Ich kann froh sein, dass keiner gestorben ist"
Doch dann geht der Tag erst richtig los. Er ist alleine mit einer Teamassistentin in Einarbeitung. Insgesamt sechs Stunden arbeitet F. in der Notaufnahme, sein bitteres Fazit: „Ich kann froh sein, dass keiner gestorben ist.“ Denn: Eigentlich hat er mehr Rückendeckung erwartet. „Ein Arzt war zu Dienstbeginn mit mir da, um 8 Uhr haben dann die regulären Ärzte angefangen und ihren Tagesablauf angefangen. Normalerweise haben wir aber noch mindestens eine weitere Teamassistentin, die vorne die Patienten annimmt. Und dann sollten eigentlich drei examinierte Pflegekräfte im Dienst sein, die für verschiedene Bereiche zuständig sind.“
Zum Glück habe er Unterstützung von den Ärzten erhalten, die ihm allesamt sagten: Mach das, was du kannst. „Aber ganz ehrlich: Mehr wäre ohnehin nicht gegangen. Ich kann mich ja nicht teilen. Und am Ende passieren Fehler und ich bin daran schuld“, sagt F.
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Auch was sein Kollege ihm schildert, schockiert F.
Was er erlebt und was er von seinem diensthabendem Arzt, der an diesem Tag einen 24-Stunden-Dienst hinter sich hatte, geschildert bekommen habe, sei „einfach nur skandalös“ gewesen: „Unser Arzt war auch die ganze Nacht alleine und für das komplette Haus zuständig. Auf der Intensivstation gab es eine Reanimation, in der Notaufnahme kamen Patienten mit Herzinfarkt an, obwohl das Haus dafür eigentlich abgemeldet ist. Aber die Patienten müssen ja irgendwohin! Der Rettungsdienst weiß auch nicht mehr, wohin er noch fahren soll und sagt: ‘Wenn alle Kliniken rot sind, sind sie für uns grün.’ Sie fahren an, auch wenn eigentlich gar nichts mehr geht.“
Der Internist habe sich um die Patienten gekümmert, habe Zugänge gelegt oder Blut abgenommen. Rein rechtlich sei das allerdings äußerst problematisch gewesen: „Eigentlich darf er seinen Bereich nicht verlassen. Ist er weg, ist die Intensivstation – auch wenn Pfleger da sind – rein rechtlich nicht besetzt.“ Doch es gibt Patienten zu versorgen, die man nicht unbehandelt lassen kann. „Das hat mich schon sprachlos gemacht.
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Der examinierte Krankenpfleger sei zudem schockiert darüber, was die desolaten Zustände nicht nur für sie als Pfleger, sondern auch für die Patienten bedeuten: „Stellen Sie sich vor, Sie haben einen Herzinfarkt, kommen ins Krankenhaus und hören dann nachts, um drei oder vier Uhr: ‘Wir haben keinen Internisten da. Sie müssen bis 8 Uhr warten.’ Das ist die traurige Wahrheit, die wir hier in Deutschland momentan haben.“
F. sagt, dass dies für ihn ganz klar Patientengefährdung sei. Die Umstände nehmen ihn mit: „Es ist einfach nur traurig, wenn man eine demente Frau mit Schenkelhalsfraktur fünf Stunden lang im Flur liegen lassen muss, sie jammert, weil sie Schmerzmittel braucht, man aber nicht helfen kann, weil die Kapazitäten fehlen. Das ist doch kein Zustand!“
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Gekündigt habe der Krankenpfleger nun zum Ende Februar 2023. „Es ist nicht zehn nach zwölf, sondern viertel nach zwölf. Die Regierung muss endlich etwas tun, damit sich was ändert.“ Laut F. sei es vor allem von Nöten, mehr niedergelassene Ärzte einzustellen. „Seit Jahren bröckelt das System und es werden einem viel zu viele Steine in den Weg gelegt.“
Und was dem Krankenpfleger ebenfalls auf dem Herzen liegt: „Die Leute müssten mehr geschult werden: Wofür ist die 112? Wann sollte ich zum Hausarzt gehen, wann direkt in die Notaufnahme? Aufklärung hat ja auch im Rahmen der Corona-Kampagne geklappt.“ Am Ende seiner Schicht habe er nämlich die Krönung erlebt, so erzählt er: „Da kam ein Patient rein mit einer Erkältung. Das war das i-Tüpfelchen vor dem Feierabend.“
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*Name von der Redaktion geändert