Weiterleben wie bisher? Das möchte Sandra Tobien nicht mehr. Zu schwerfällt es der 48-Jährigen, ihren Alltag überhaupt noch normal bewältigen zu können.
„Ich kämpfe schon sehr lange mit Übergewicht. Ja, aber jetzt muss was geändert werden."
Denn gesundheitlich geht es ihr immer schlechter.
„Bluthochdruck. Langzeitzucker. Rückenschmerzen. Knieschmerzen. Kurzatmigkeit. Wenn man so viel läuft. Ja."
Ihre Nichten Viviane und Jasmin haben sich bereits im Diako-Krankenhaus in Bremen behandeln lassen. Durch sie wird Sandra darauf aufmerksam. Hier gibt es eine spezielle Adipositas-Chirurgie. Adipositas gilt in Deutschland seit 2020 offiziell als chronische Krankheit, die sich durch eine übermäßige Vermehrung des Fettgewebes im Körper äußert und als Folge starkes Übergewicht auslöst. In Deutschland leiden laut der Bundeszentrale für politische Bildung über 20 Prozent der Bevölkerung an einem adipösen Übergewicht, darunter auch Sandra.
In der Adipositas Klinik wird die Krankheit mithilfe verschiedener Operationsmöglichkeiten therapiert. Die Klinik ist die erste in Bremen, die diese Operationen zur Behandlung von Adipositas zertifiziert durchführen darf.
„Es ist ganz wichtig, dass wir uns bewusst sind, auch als Ärztinnen und Ärzte. Vor allem, weil diese Ignoranz existiert auch in unseren Bereichen sehr viel, dass man sagt, das ist ganz einfach, stell deinen Lebensstil um, so funktioniert es nicht.
In Sandras Familie gibt es mehrere Menschen, die unter Adipositas leiden. Die Krankheit kann zwar nicht direkt vererbt werden, die genetische Veranlagung allerdings schon. Für Sandra ist klar, sie möchte so nicht mehr leben und sich in der Klinik operieren lassen: Für ein neues Lebensgefühl.
Auf Kleider? Schöne Klamotten tragen? Ja, darauf freue ich mich auch. Ja, ich traue es, mich die ganze Zeit keine Kleider mehr zu tragen. Das ist irgendwie nicht gut aus. Ich fühlte mich nicht wohl. Mehr drin. Ja, und das kann ich dann wieder."
Einfach so wird sie aber nicht operiert.
„Dann müssen alle auf die Vorbereitung für eine OP Ernährungsberatung machen. Bewegung. Dann gibt es eine einmalige psychologische Vorstellung. Dann werden Bluttests gemacht, um andere Erkrankungen auszuschließen. Aber wenn das abgeschlossen ist und wenn bestimmte Indikatoren vorliegen, dann operieren wir gut."
Auch in einer Selbsthilfegruppe können sich Betroffene austauschen.
„Selbsthilfegruppen bieten einen Schutz auch. Weil es gibt ganz oft so, dass Personen, die stark übergewichtig sind, in einem Rahmen sein wollen, wo sie geschützt sind, wo eben Leute sind, die sie verstehen, wo Leute sind, die dieselben Probleme haben und sie eben auch unterstützen können."
Sandra hat schließlich alle Voraussetzungen erfüllt und bekommt eine Schlauchmagen-OP genehmigt. Aber wie fühlt sich die 48-Jährige, kurz vor ihrer Operation?
„Ziemlich nervös. Sehr nervös. Das kommt jetzt von Tag zu Tag immer mehr. Aber ich freue mich. Ich freue mich richtig darauf."
Für das Team rund um Elena Junghans sind die Operationen Routine. Über 100 Menschen lassen sich pro Jahr in der Adipositas-Chirurgie operieren, einige davon bekommen wie bei dieser Operation hier einen Magen-Bypass. Sandra Tobien hingegen bekommt einen so genannten Schlauchmagen. Dieser Eingriff deutlich weniger kompliziert.
Bei einer Schlauchmagen-Operation wird unter Vollnarkose der große, bauchige Teil des Magens Stück für Stück abgetrennt. Mithilfe kleiner Metallklammern wird der Magen dann wieder geschlossen. Das abgeschnittene Magenstück wird durch kleine Schnitte in der Bauchdecke aus dem Bauch heraus gezogen. Über eine Magensonde wird dann Flüssigkeit durch den "neuen" Magen gepumpt, um zu überprüfen, ob auch wirklich alles dicht ist.
„Und die Operation funktioniert nicht dadurch, dass das hier klein ist, sondern dadurch, dass hier oben die Hungerhormone produziert werden. Das heißt, wenn der Magen raus ist, haben sie kein Hungergefühl. Also Sie sind schnell satt, weil es hier klein ist. Und die Hungerhormone kommen nicht mehr.
Der Teil des Magens, indem das Hungerhormon gebildet wird, ist nach der Operation also nicht mehr im Körper.
„Es verändert sich nur nicht nur das Gefühl für Hunger und Sättigung, sondern auch Geruchs und Geschmackssinn. Ganz viele Patienten berichten danach, Sie können gar nicht das essen, was sie normalerweise früher gerne gegessen haben. Sie sagen, Das ist so süß, das kann ich überhaupt nicht mehr sehen. Und das Essen verändern sich tatsächlich. Sie essen nicht Salat, nur weil sie wissen, dass es gesund ist.
Sandra hat die Operation gemeistert. Genau eine Woche später treffen wir sie wieder.
„Sie ist sehr gut verlaufen. Ich bin dann aufgewacht. Im Aufwachraum ging es mir aber übel nachher. Ich weiß nicht, ob ich die Narkose nicht abkonnte. Also das war so ein Tag, wo mir so richtig schlecht war. Die Schmerzen waren nicht so schlimm, die erträgt man. Man bekommt Schmerzmittel. Ja, dann bin ich aus dem Zimmer gekommen und ging das abends dann auch mit der Übelkeit wieder ein bisschen besser. Am nächsten Tag gab es dann auch schon erst Brühe. Die tat auch ganz gut. Ja, und am dritten Tag ging es mir eigentlich richtig gut."
Hunger hat die 48-Jährige bisher überhaupt nicht. Die ersten 14 Tage nach der OP darf sie nur Flüssigkeiten zu sich nehmen. Danach startet dann die Breiphase und anschließend hoffentlich auch endlich ein ganz neues Lebensgefühl.