RTL-Reporter sprach mit Christian B.

Wie ich den Maddie-Verdächtigen im Knast erlebt habe

von Ulrich Oppold

Wer ist der Mann, der Maddie ermordet haben soll?
Als Reporter bin ich zur Zeit in Portugal - begleite die Suche nach möglichen Spuren von Maddie McCann. Und dabei geht es um ihn, Christian B. - und die Frage, ob die Ermittler ihm einen Mord nachweisen können. Im Februar durfte ich B. gegenüber sitzen, durfte versuchen, in ihn hinein zuschauen.

Christian B. lebte in Praia da Luz

Wir fahren auf einer Schotterstraße hinaus aus Praia da Luz, dem Küstenstädtchen an der Algarve, das nun schon seit 18 Jahren mit dem spektakulärsten Kriminalfall Europas in Verbindung gebracht wird.

Auf einer Anhöhe etwa drei Kilometer außerhalb liegt der Bungalow, eingewachsen von Palmen und Büschen, wo Christian B. fast zehn Jahre lang gelebt hat. Auch zum Zeitpunkt, als Madeleine McCann am 3. Mai 2007 spurlos verschwand.

Als ich vor dem kleinen Häuschen in den Hügeln stehe, stelle ich mir vor, wie der Hauptverdächtige im Fall Madeleine McCann dort gelebt hat, und ich muss an meine Begegnung mit Christian B. denken, den ich im Februar in der JVA Sehnde östlich von Hannover besucht habe. Vor unserem Treffen hatte mir der prominente Häftling persönlich nach einem Briefwechsel eine Besuchserlaubnis der Justizbehörde geschickt.

Maddie-Verdächtiger sitzt wegen Vergewaltigung einer älteren Frau im Knast

In einem Besucherraum zusammen mit anderen Häftlingen begrüßte mich Christian B. freundlich mit festem Händedruck. Er trug einen grünen Hoody, darunter ein blaues Sweatshirt und graue Jeans. Die Haare gepflegt nach hinten gekämmt, wirkte er auf mich intelligent und gut vorbereitet. Christian B. wusste offenbar genau, was er sagen wollte – und vor allem, was nicht.

Wegen Vergewaltigung einer älteren Frau an der portugiesischen Algarve sitzt er derzeit eine siebenjährige Haftstrafe ab. Im Oktober vergangenen Jahres wurde er wegen drei weiterer Vergewaltigungsfälle und zwei Fällen von Kindesmissbrauch freigesprochen.

„Ich hatte abgesehen von meinen Verteidigern in all den Jahren noch keinen Besuch”, sagte mir Christian B. „Was verschafft mir die Ehre?”, fragte ich ihn. „Ich finde Sie sympathisch, wenn ich Sie und Ihre Beträge im Fernsehen sehe.” Der prominente Häftling meidet den Kontakt zu seinen Mitgefangenen aus gutem Grund, wie er mir in einem Brief schrieb:

„Ich bin zum ersten Mal während meiner gesamten, langjährigen Haftzeit von einem Mitgefangenen tätlich angegriffen worden. Dabei wurde mir wenigstens eine Rippe angebrochen. Als einzige Sicherungsmaßnahme bleibt mir deshalb, wirklich für 24 Stunden täglich in der Gefängniszelle zu bleiben, keinen Schritt heraus zu machen, also auch nicht, um Mahlzeiten zu holen.”

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Christian B. beteuert weiterhin seien Unschuld

„Jeder kennt mich hier im Knast, ich werde beschimpft, gemobbt und bedroht”, sagte mir Christian B. Er hat keinerlei Freunde im Gefängnis, auch keine Freunde außerhalb. „Ich habe in den letzten Jahren sogar meine Mimik verloren, weil ich so wenig spreche, vielleicht drei bis zehn Worte am Tag”, sagte Christian B., der viel liest in seiner rund acht Quadratmeter großen Einzelzelle. „Keine Krimis, lieber Sachbücher, die Biografie von Katharina der Großen hat mir gut gefallen. Ich hatte eine ähnliche Kindheit und Jugend”, sagte er mir. Gelegentlich sieht er fern, vor allem Informationsprogramme, aber weniger die Privatsender. „Die haben zu viel Werbung, und ich kann mir sowieso nichts kaufen.”

„Ich bin unschuldig”, sagte mir Christian B. mehrfach in unserem Gespräch. Er bestreitet die Vergewaltigung einer 72-jährigen Amerikanerin 2005 im portugiesischen Praia da Luz, für die er 2019 rechtskräftig verurteilt wurde. Ein Haar auf der Bettdecke des Vergewaltigungsopfers stimmte laut BKA-Gutachten mit der DNA von Christian B. überein. Trotzdem beteuert er seine Unschuld, auch in einem Brief an mich nach unserem Treffen.

Christian B. machte auf mich den Eindruck, dass er seine kriminelle Vergangenheit komplett verdrängt hat. Meine Frage nach Reue wollte er gar nicht beantworten. „Das ist jetzt wieder so eine journalistische Frage”, meinte er nur. Ich hatte das Gefühl, da saß ein Mann vor mir, der sich keinerlei Schuld bewusst ist. Und es kam mir vor, als habe sich Christian B. in den Jahren im Gefängnis eine völlige neue „saubere” Identität zugelegt.

Staatsanwalt Hans-Christian Wolters verdächtigt Christian B., Madeleine McCann entführt und ermordet zu haben. Ein Gerichtsgutachter beschreibt ihn als einen „Psychopathen mit pädophilen Neigungen”. Der psychiatrische Sachverständige sieht ihn in „in der absoluten Topliga der Gefährlichkeit”.

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Verdächtiger will sich zum Fall Madeleine McCann nicht äußern

Zum Fall Maddie hatte ich Christian B vor meinem Besuch einen Brief mit mehreren Fragen geschickt, die er bei unserem Treffen aber nicht beantworten wollte. Gleich zu Beginn machte er mir klar, dass er sich zum Fall Madeleine McCann gar nicht äußern wolle.

Inzwischen hat Christian B. mit Hilfe seiner Verteidiger eine vorzeitige Haftentlassung beantragt, darüber entscheidet demnächst ein Richter. Er rechnet nicht damit, schon bald freigelassen zu werden. Aber sollte es so weit kommen, müsse er untertauchen. „Ich freue mich auf ein ordentliches Steak mit einem Bier.”

Spätestens im September – nach der Beleidigung von Justizbeamten vielleicht erst Ende des Jahres – wird Christian B. seine Haftstrafe abgesessen haben. Derweil geht die Suche nach Madeleine McCann in Portugal weiter. Die BKA-Ermittler haben die Hoffnung nicht aufgegeben, auch nach 18 Jahren noch belastbare Beweise zu finden, vielleicht sogar die sterblichen Überreste des vermissten Mädchens.

Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit: Jeder Stein wird umgedreht, sie graben und nehmen Bodenproben, suchen mit modernen Bodenradargeräten. Bis Ende des Jahres muss Staatsanwalt Hans-Christian Wolters Anklage in Sachen Madeleine McCann erhoben haben, sonst ist Christian B. ein freier Mann.