Weiteres Opfer im Missbrauchsprozess in Frankreich

Ehemann ließ betäubte Sandrine (53) vergewaltigen, doch sie liebt ihn noch immer!

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Mitangeklagte sprechen am 2. September mit einer Anwältin (r.) im Gerichtsgebäude.
von Sabrina Suberg und Sebastian Stöckmann

„Ich habe noch Gefühle für ihn.”
Im Prozess um den jahrelangen Missbrauch in Mazan (Frankreich) sagt die 53-jährige Sandrine (Name geändert, d. Red.) als Zeugin aus. Nicht nur der Hauptangeklagte Dominique P. soll sie bewusstlos vergewaltigt haben. Auch ihr Mann JP M. soll sie betäubt und anderen Männern zum Missbrauch überlassen haben. So, wie es Dominique P. mit seiner Frau Gisèle gemacht haben soll. Doch Sandrine scheint für ihren Peiniger eher Mitleid als Hass zu empfinden – und will sich trotz der entsetzlichen Taten nicht von ihm trennen.

Sandrine und ihr Mann sprachen nie über Sex

Mit festen, kurzen Schritten betritt Sandrine am späten Mittwochnachmittag (11. September) den Gerichtssaal im französischen Avignon. Sie ist elegant gekleidet, trägt ein Halstuch und kurze Haare. Die 53-Jährige berichtet von einer tollen, langen Beziehung, die sie mit JP M. gehabt habe. „Und dann das. Ich verstehe es nicht”, sagt sie mit weinerlicher Stimme.

JP M. sieht aus der Box zu. Er ist hager, hat graue, kurze Haare. Sein Blick wirkt leer. Seit 1997 sind die beiden verheiratet und haben fünf Kinder, wie Sandrine Beamten erzählte. „Wir lebten in normalen Verhältnissen”, sagt sie im Prozess. Um absurde Sexpraktiken habe ihr Mann sie nie gebeten. Er habe auch nie über Sex geredet und sei eher prüde gewesen. Man merkt, dass sich JP M. unwohl fühlt, als er dies hört.

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Missbrauchsprozess in Avignon: Plötzlich war ein fremder Mann im Raum

Dann berichtet Sandrine über den Moment, in dem ihr klar wurde, dass etwas nicht stimmt. „Einmal bin ich aufgewacht, und da sah ich jemanden im Raum. Mein Mann war auch da. Der Mann verschwand sofort. Er sagte mir, er habe meine Unterwäsche fotografieren wollen. Ich habe ihm kein Wort geglaubt – es war so eine haarsträubende Geschichte.”

Dieser Vorfall habe das Verhältnis zu ihrem Mann zerstört. „Es war vorher so schön – warum hat er das mir und meinen Kindern angetan? Ich verstehe es nicht.” Sandrine muss beinahe weinen. Aus ihren Worten klingt kein Hass – eher Unverständnis. „Er war so ein toller Mann. Ich kann diese schönen Jahre nicht vergessen”, erinnert sie sich wehmütig. „Wir waren so glücklich, und ich verstehe nicht, wie wir hier landen konnten.”
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Gisèle P. in Mazan mit Medikamenten betäubt und vergewaltigt

Hauptangeklagter im Prozess ist Dominique P. Er soll seine damalige Frau Gisèle P. im französischen Dorf Mazan immer wieder mit Medikamenten betäubt haben. Dann soll sie vor seinen Augen von fremden Männern vergewaltigt worden sein. Die Taten sollen sich innerhalb von knapp zehn Jahren abgespielt haben. Wegen des mutmaßlichen Missbrauchs sind 50 weitere Männer angeklagt. Ihnen drohen bis zu 20 Jahre Haft.

Dominique Pélicot (72) lud Männer ein, um seine Frau Gisèle (72) zu vergewaltigen.
Dominique P. soll Männer eingeladen haben, seine Frau Gisèle zu vergewaltigen.
Privat

JP M.s Taten geschahen offenbar unter Anleitung von Dominique P. Dieser soll JP M. Tabletten überreicht und erklärt haben, wie er seine Frau betäubt habe. Bei der Durchsuchung von P.s Festplatten und Computern wurden 20.000 gelöschte Bilder wiederhergestellt. Darunter: Bilder von Sandrine, die in bewusstlosem Zustand Sex hatte. Die Ermittler konnten auf den Aufnahmen zwölf Vergewaltigungen ausmachen. Auf drei Bildern ist zu sehen, wie Dominique die bewusstlose Frau vergewaltigt.

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Prozess in Frankreich: Missbrauchsopfer ist mit Tatverdächtigem noch verheiratet

Sandrine fiel aus allen Wolken, als die Ermittler ihr die Taten ihres Mannes zeigten. Doch trotz des Horrors ist sie noch immer mit ihm verheiratet, zeigt sogar so etwas wie Verständnis. „Ich habe noch Gefühle für ihn, er ist der Vater meiner fünf Kinder”, sagt Sandrine. Und erklärt, JP M. habe in seiner Kindheit „so viel Schreckliches gesehen”. Anzeigen wollte sie ihn nicht.

Und auch nicht verlassen. „Was soll ich den Kindern sagen: Dass ihr Vater im Gefängnis sitzt, weil er Mama vergewaltigt hat?” Sandrine muss weinen. Auf Anfrage schaut sie zu JP M. rüber. Er blickt auf den Boden. Nach rund 45 Minuten ist die Befragung zu Ende. Zum Abschluss sagt Sandrine über ihren Mann: „Ich hoffe, dass er eines Tages rauskommt und seine Kinder sehen kann.”