Betäubt und von Fremden vergewaltigt

„Ich lag wie tot auf dem Bett!” Mutige Gisèle bricht ihr Schweigen

von Sabrina Suberg und Sebastian Stöckmann

Im Gericht blickt sie ihren Peinigern direkt in die Augen.
Am vierten Tag des erschütternden Missbrauchsprozesses in Avignon sagt Gisèle P. als Zeugin aus. Ihr Mann Dominique (72) soll Gisèle P. jahrelang nachts betäubt und anderen Männern überlassen haben.

Dominique P. und 50 weitere Männer wegen Missbrauchs vor Gericht

Mit rotem Kleid, weißer Jacke und Sonnenbrille betritt Gisèle P. am Donnerstagmorgen den Gerichtssaal in der südfranzösischen Stadt. Auch ihre drei Kinder sind zum Prozess gekommen. Gleich zu Beginn der Verhandlung wird Gisèle P. in den Zeugenstand gerufen. Sie steht aufrecht und wirkt gefasst, spricht flüssig und mit fester Stimme. Ihren Mann nennt sie „Monsieur P.”.

Der 72-Jährige steht mit 50 mutmaßlichen Mittätern vor Gericht. Seine Frau bekam von dem, was sich nachts in ihrem Schlafzimmer abspielte, nichts mit. Dominique P. setzte sie offenbar unter Medikamente und lud dutzende fremde Männer in sein Schlafzimmer ein. Sie sollen Gisèle P. wieder und wieder vergewaltigt haben – rund zehn Jahre lang. Sie klagte zwar über Gedächtnislücken, große Müdigkeit und gynäkologische Probleme, erfuhr aber erst später von der Polizei, was geschehen war.

Polizei zeigte Gisèle P. Bilder der Vergewaltigungen

Missbrauch Frankreich
Gisèle P. sagt am vierten Prozesstag als Zeugin aus.
AP

Im Prozess schildert Gisèle P. den Moment, in dem ihre Welt plötzlich nicht mehr war wie zuvor – nach 50 Jahren Ehe: Sie begleitet ihren Mann zur Polizei, weil der Frauen unter den Rock gefilmt haben soll. „Eine Formalität” ist der Termin für Gisèle P. eigentlich. Dann wird sie allein in ein Zimmer gerufen.

„Dort hat mir ein Polizist Bilder gezeigt”, berichtet Gisèle P. „Bilder von mir mit Männern, die ich nicht kenne. Bilder von Vergewaltigungen. Ich lag wie tot auf dem Bett.” Sie bricht fast zusammen. „Ich konnte mir die Bilder nicht weiter ansehen und habe mich geweigert, die Videos zu schauen. Ich wollte nur nach Hause.” Gisèle P.s Stimme ist noch immer deutlich. Sie wirkt stark, schildert die Geschehnisse strukturiert.
Lese-Tipp: Vergewaltiger mussten sich in der Küche ausziehen und ihre Hände aufwärmen

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Mazan: Medikamente waren in Socken versteckt

Die dreifache Mutter weiß nicht, wie sie das alles ihren Kindern beibringen soll. Auch, dass sich ihr Vater im Polizeigewahrsam befindet. Ihrer Tochter erzählt sie am Telefon davon. „Sie hat geschrien wie ein Tier.” Ihre beiden Söhne reagieren anders. „’Halte durch!’, haben sie mir gesagt. Meine Kinder hatten Angst um mich, haben die ganze Zeit angerufen.”

In ihrem Haus im französischen Dorf Mazan findet Gisèle P. Medikamente; sie sind in Socken versteckt. „Horrorhaus” nennt sie den Ort der unfassbaren Taten. Sie weiß, dass sie dort nicht bleiben kann. „Ich habe meine zwei Koffer gepackt und das Haus verlassen. Das war alles, was mir nach 50 Jahren Beziehung blieb.”

Das Haus verkauft Gisèle P. „für einen Spottpreis” und zieht zu ihren Kindern. „Das ist schrecklich, man kommt sich wie ein Kind vor”, sagt sie. „Aber ich konnte nicht in Mazan bleiben.”

Prozess in Avignon soll vier Monate dauern

Eine Psychologin unterstützt Gisèle P. dabei, das Erlebte zu verarbeiten. Auch ein kleiner Hund gibt ihr Kraft; sie erwähnt ihn während ihrer Aussage häufig. Auch wenn der jahrelange Horror Spuren hinterlassen hat – Aufgeben kommt für die dreifache Mutter nicht in Frage: „Ich bin wie ein Boxer, der hinfällt und wieder aufsteht.”

Gisèle P. hat sich inzwischen von ihrem Mann scheiden lassen. Den Angeklagten drohen bis zu 20 Jahre Haft. Der Prozess gegen die 51 Männer ist auf vier Monate terminiert. Vor Gericht erschienen am Donnerstag nur 50 von ihnen; einer der Tatverdächtigen ist noch auf der Flucht.