Nach Bluttat in der Schweiz

14-Jährige tötet Freundin (15) – drei Tage gemeinnützige Arbeit drohen als Strafe

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Gedenken an die getötete Mandy: Ein Teddybär liegt neben Blumen und Kerzen an einem Waldrand bei Berikon
KEYSTONE/Michael Buholzer

Drei Tage Strafarbeit für die Tötung eines Menschen?
Mandy wurde nur 15 Jahre alt, die Teenagerin wurde erstochen. Von Annina, einer 14-Jährigen, von der sie dachte, sie sei ihre Freundin. Das Verbrechen erregt in der Schweiz große Aufmerksamkeit, die Konsequenz daraus fast noch mehr. Denn möglicherweise muss die Täterin dafür nicht ins Gefängnis. Laut der Zeitung „Blick“ kommt die mit gerade mal drei Tagen Strafarbeit davon, ihren Eltern drohen maximal 10.600 Euro „Genugtuungszahlung“.

Experten verteidigen vergleichsweise milde Strafe

Grund für die vergleichsweise milde Strafe ist das Schweizer Jugendstrafrecht. Dessen Schwerpunkt liegt nicht auf Bestrafung, sondern Resozialisierung. Während Erwachsene in der Schweiz bei einem vorsätzlichen Tötungsdelikt mindestens fünf Jahre ins Gefängnis müssen, liegt die Höchstdauer des Strafvollzugs im Jugendrecht bei einem Jahr. Das allerdings nur, wenn die Täterin oder der Täter bereits 15 Jahre alt ist. Bei Jüngeren wie Annina werden hingegen Schutzmaßnahmen wie Therapien oder Unterbringung in einem Heim angeordnet.

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Die Tat ereignete sich in einem Waldgebiet (Luftaufnahme)
KEYSTONE/Michael Buholzer

Während die Zeitung die Frage aufwirft, „Sind wir zu lasch?“, verteidigen Experten das Vorgehen in unserem Nachbarland. „Es ist ein Tötungsdelikt geschehen, das uns alle hoch emotionalisiert hat. Emotionen sind aber ein schlechter Ratgeber für die Bewertung von Gesetzen“, so der Züricher Kriminologe Dirk Baier dem Bericht zufolge.

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Der Jurist Patrick Killer pflichtet ihm bei. „Viele schwere Taten werden von Ersttätern begangen, oft im Rahmen von schweren Belastungssituationen. Wir müssen früher ansetzen, mit Prävention, Therapie und sozialer Betreuung“, argumentiert er demnach. Baier verweist darauf, dass Fälle wie der von Annina höchst selten seien, lediglich vier in den vergangenen 15 Jahren, sagt er.

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Betroffene empfinden andere Maßnahmen „strenger als ein Jugendgefängnis“

Junge Straftäter wieder in die Gesellschaft zu integrieren, sei den Experten zufolge eine „hochkomplexer Prozess“. Mit gravierenden Auswirkungen, die unterschiedliche Maßnahmen zur Folge haben können. So sei auch „jahrelange Fremdunterbringung in einer geschlossenen Einrichtung“ nicht ausgeschlossen, so Baier. Killer ergänzt, dass die Unterbringung in einer derartigen Einrichtung bis zum 25. Lebensjahr möglich sei. „Das ist faktisch wie Gefängnis, nur mit Fokus auf Therapie, Schulung, Ausbildung“, sagt er. Seiner Erfahrung nach empfänden viele Jugendliche empfinden das „strenger als ein Jugendgefängnis“, weil sie sich mit sich selbst auseinandersetzen müssten und ihre Strafe „nicht einfach absitzen“ könnten.

Annina wird Schweizer Medien zufolge derzeit in einer geschlossenen psychiatrischen Abteilung behandelt. Wie lange sie dort bleibt und wann es möglicherweise zu einem Prozess kommt, ist nicht klar.

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Für die Schweizer Experten steht fest, dass das Land im Vergleich besser dastehe als die Nachbarn Deutschland und Österreich. „Das Jugendstrafrecht hier ist erfolgreicher und – speziell bei den 10- bis 14-Jährigen – auch strenger“, findet Killer. In der Schweiz sei man bereits ab zehn Jahren strafmündig, „pro Kopf kommt es in der Schweiz zu deutlich weniger schweren Straftaten von Jugendlichen unter 15 Jahren“, sagt er.

„Ich wollte jemanden umbringen“

Der Fall hatte die Menschen in der Schweiz entsetzt und schockiert. Annina war am 11 Mai in einem Wald bei Berikon im Kanton Aargau blutend auf Spaziergänger getroffen und hatte um Hilfe gebeten. Daraufhin informierten sie Rettungskräfte, die in der Nähe die schwer verletzte Mandy fanden. Jede Hilfe kam zu spät, die 15-Jährige starb noch vor Ort.

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Blick auf die 5.000-Einwohner-Gemeinde Berikon im Schweizer Kanton Aargau
KEYSTONE/Michael Buholzer

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Medienberichten zufolge hat die 14-Jährige ihre Tat gestanden. „Ich wollte jemanden umbringen. Ich habe keinen Ausweg mehr gefunden“, zitiert der „Blick“ aus dem Polizei-Protokoll ihrer Befragung. Bei der Tat habe sie an „nichts“ weiter gedacht. Sie habe aus „Wut“ gehandelt, sei schon länger wütend gewesen, am meisten auf sich selbst. Sie habe nicht mehr zur Schule gehen, ihr Leben „so nicht mehr weiterführen wollen“.

Schockierende Taten junger Menschen in Deutschland

Auch in Deutschland erregen Verbrechen unter Minderjährigen immer wieder die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit, besonders wenn die Täter jünger als 14 Jahre alt und somit nicht strafmündig sind. Vor zwei Jahren wurde die 12 Jahre alte Luise aus Freudenberg von zwei gleichaltrigen Mädchen umgebracht.

Erst vor wenigen Wochen stach in Berlin ein 13-Jähriger an einer Grundschule den ein Jahr jüngeren Maximilian nieder und verletzt ihn schwer. Immer wieder stellt sich nach Verbrechen wie diesen oder dem Mord an dem kleinen Joel aus Pragsdorf die Frage nach dem „Warum“. Auch wenn die Antwort darauf unbefriedigend ist: DIE eine Antwort darauf gibt es nicht, sagt der bekannte Sozialpädagoge Thomas Sonnenburg.

Hilfe bei Suizidgedanken

Habt Ihr suizidale Gedanken oder haben Sie diese bei einem Angehörigen/Bekannten festgestellt? Hilfe bietet die Telefonseelsorge: Anonyme Beratung erhält man rund um die Uhr unter den kostenlosen Nummern 0800 / 111 0 111 und 0800 / 111 0 222. Auch eine Beratung über das Internet ist möglich unter telefonseelsorge.de.