Belogen und gekündigtWirecard-Mitarbeiter packt aus: "Das ist schon Wahnsinn!"

Spätestens Ende November ist Schluss bei Wirecard: Fynn Rittersberger hat bereits die Kündigung erhalten – genau wie über 700 weitere Mitarbeiter des Skandalunternehmens Wirecard. Im Video erzählt der Wirecard-Mitarbeiter exklusiv, wie er den Skandal rund um den ehemaligen Dax-Konzern erlebt hat.

Ex-Dax-Konzern hat 2,8 Milliarden Euro Schulden

Nach außen hat sich Wirecard als ein fantastisch laufendes Unternehmen gegeben. Tatsächlich aber ist der Schuldenberg gigantisch: Der inzwischen insolvente Zahlungsdienstleister Wirecard hat offenbar jahrelang immer höhere Verluste angehäuft und ist mit 2,8 Milliarden Euro überschuldet. Das geht aus dem Gutachten von Insolvenzverwalter hervor, das "Süddeutscher Zeitung", WDR und "Handelsblatt" vorliegt. Nur wenige der weltweit über 50 Firmen des Konzerns haben demnach "überhaupt eigene Einnahmen" vorzuweisen.

Wirecard hatte Ende Juni Insolvenz angemeldet. Zuvor musste das Unternehmen einräumen, dass in der Bilanz aufgeführte Gelder von 1,9 Milliarden Euro, die vermeintlich auf asiatischen Bankkonten lagern sollten, nicht auffindbar seien. Die Staatsanwaltschaft München I ermittelt in dem Fall und geht von gewerbsmäßigem Bandenbetrug aus.

Wirecard-Mitarbeiter haben nichts geahnt

Aber wer wusste bei Wirecard Bescheid? RTL hat Fynn Rittersberger getroffen. Erst am Donnerstag hat er die schriftliche Kündigung erhalten, in spätestens drei Monaten ist er seinen Job los. Freigestellt ist er jetzt schon. Lange hat er nicht geahnt, für was für ein Unternehmen er da arbeitet. Die Tatsache, dass Wirecard der erste Dax-Konzern ist, der Insolvenz anmelden musste, macht ihn immer noch fassungslos: „Das ist schon Wahnsinn!“

Gerüchte über Unregelmäßigkeiten bei Wirecard hat es bereits schon länger gegeben. Doch den Berichten der britischen Zeitung Financial Times, die sich später als wahr herausstellen sollten, wollten die Mitarbeiter zunächst keinen Glauben schenken. „Wir konnten uns gar nicht vorstellen, dass irgendwas nicht stimmt“, so Rittersberger. Immerhin hatte sogar die deutsche Finanzaufsichtsbehörde Bafin gegen zwei Reporter der Zeitung Strafanzeige gestellt. Die britische Zeitung soll zwielichtigen Börsenspekulanten geholfen haben, an fallenden Aktienkursen von Wirecard zu verdienen, so der Vorwurf. Im Nachhinein eine irre Unterstellung.

Das erste Mal stutzig wurde Fynn Rittersberger, als er von der Freistellung von Jan Marsalek hörte. Der ehemalige Wirecard-Vorstand war für das Asiengeschäft zuständig und ist seit Wochen auf der Flucht. Danach ging alles ganz schnell: Ein paar Tage später musste Wirecard-Chef Markus Braun seinen Rücktritt erklären. „Da hat man gemerkt: Da passt jetzt nichts mehr“, so Rittersberger. Nach diesen Ereignissen „herrschte einfach nur noch Ungewissheit.“

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"Keiner wusste genau, wie es weitergeht"

Die letzten Wochen bei Wirecard waren „sehr chaotisch“. Alle neue Information haben die Mitarbeiter über die Medien erhalten. „Auch unsere Führungskräfte wussten nicht viel mehr. Keiner wusste genau, wie es weitergeht“, erzählt Rittersberger gegenüber RTL. Selbst die Kunden habe man nicht mehr ordentlich bedienen können, ein „unangenehmes Gefühl.“

Selber vorwerfen will er sich nichts. Immerhin hätten auch die Analysten der großen Banken und die Wirtschaftsprüfer von EY nicht durchgeblickt – und im Gegensatz zu den normalen Wirecard-Mitarbeitern haben die Wirtschaftsprüfer die Zahlen vorliegen gehabt.

Rückblickend sei es trotzdem eine gute Zeit gewesen, so Rittersberger. Wirecard sei ein „innovatives Unternehmen, das viel in der Zukunft gelebt hat und viele Dinge auch gut gemacht hat.“ Er hofft, dass alle Beteiligten aus dem Fall Wirecard lernen – damit es nie wieder zu einem solch spektakulären Betrugsfall kommt.