Vize-Bürgermeister von Mariupol im RTL-Interview: Die Situation in der Hafenstadt ist hart!
"Es sind 50 bis 100 Luftangriffe pro Tag"
Die Hafenstadt Mariupol ist vom Beschuss der russischen Armee mit am stärksten betroffen. „Die Situation in Mariupol ist sehr schwer“, erklärt der Vize-Bürgermeister Sergej Orlov im RTL-Interview. Die Stadt werde von russischen Truppen blockiert und permanent bombardiert. „Nach unserer Einschätzung sind es 50 bis 100 Luftangriffe pro Tag, so Orlov. Die Luftangriffe haben viel Zerstörung und Leid gebracht, doch Russland sei nun noch einen Schritt weiter gegangen. Das Interview sehen Sie im Video.
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Die Stadtverwaltung wirft Russland vor, unschuldige Zivilisten als Zwangsarbeiter zu deportieren
„Seit vier Tagen hat Russland begonnen, Kriegsschiffe zu benutzen, um die Stadt mit Raketen zu beschießen. Russland ist in einigen Gebieten Mariupols einmarschiert und nun gibt es viele Straßenschlachten in der Stadt und im Zentrum der Stadt. Es herrscht Krieg“. Die Situation verändere sich. Die ukrainische Armee versuche, die Stadt zu verteidigen, aber es gebe immer mehr Kämpfe, so Orlov.
Auch die Sorge der Menschen in Mariupol vor Deportationen nach Russland ist groß, erklärt Orlov im RTL-Interview. „Derzeit ist es so, dass einige Außenbezirke von Mariupol von russischen Truppen besetzt sind und kontrolliert werden. Sie bringen ukrainische Zivilisten aus Mariupol dann in diese kontrollierten Gebiete.“
Der Vize-Bürgermeister führte dazu aus: „Die Menschen haben keine andere Wahl und wissen nicht, wohin es dann für sie geht. Ihnen wird von den russischen Truppen eine Richtung vorgegeben, danach haben sie nur 15 Minuten Zeit. Einige von ihnen erreichen dann Busse, die sie angeblich evakuieren soll. Doch eigentlich werden sie deportiert bzw. abgeschoben.“ Auch Orlov selbst kenne viele Leute, denen genau das passiert sei.
Einigen Betroffenen wird vorgeschlagen, dann nach Sibirien oder in andere ostrussische Gebiete zu gehen, um dort zu arbeiten. Doch die Menschen können dann über Jahre Russland nicht mehr verlassen. Sie müssen alle ihre ukrainischen Dokumente abgeben.
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"Ich bin mir sicher, dass die Menschen in Mariupol bis zur letzten Kugel kämpfen!"

Für Orlov sei aber klar, Mariupol und damit auch die Ukraine aufzugeben, sei keine Option. Wie lange die Menschen vor Ort in Mariupol noch durchhalten, wisse er nicht, aber er macht deutlich: „Ich bin kein Kriegsspezialist. Aber ich bin mir sicher, dass sie bis zur letzten Kugel kämpfen. Ich weiß nicht wie genau wie lange noch.“
Mariupol sei nicht nur Symbol des Widerstands, sondern auch der Traurigkeit, ein Symbol des Todes und des Völkermordes, so Orlov. Aber auf jeden Fall auch ein Symbol des Widerstandes, denn „alle Ukrainer überall auf der Welt wissen, dass Mariupol tapfer ist“.
Doch der Kampf sei nicht einfach. „Wir wissen, dass zehn Prozent der gesamten russischen Armee derzeit in Mariupol angreifen. Es ist also ein großes Aufgebot an Armee und Fahrzeugen“. Dazu kämen die ständigen Bombardierungen, der Beschuss, die Raketen. „Ich kann mir also nicht vorstellen, wie es möglich ist, die Stadt in einem solchen Zustand zu besiegen, deshalb ist sie ein Zeichen des Widerstandes und gleichzeitig auch des Horrors“, so der Vize-Bürgermeister weiter.
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„Menschen schmelzen Schnee, um etwas Wasser zu finden"
Die Stadt sei „ohne Nahrung, ohne Wasser, ohne Strom, sanitäres System, so Orlov. „Unser Versorgungssystem in der städtischen Infrastruktur war das erste Ziel des russischen Beschusses. So zerstörten sie zunächst die Stromversorgung, die Pumpen und Wärmekessel.“ Die Stadt sei zurückversetzt in vergangene Zeitalter.
„Menschen schmelzen Schnee, um etwas Wasser zu finden. Wir haben in der aktuellen Situation noch nicht mal die Möglichkeit, unsere Toten in eigenen Gräbern zu begraben. Russland erlaubt es nicht, Leichen außerhalb der Stadt zu beerdigen, sondern nur in Massengräbern in der Stadt“, erklärt der Vize-Bürgermeister Mariupols.
Dazu käme, dass Russland jede Möglichkeit verbiete, humanitäre Probleme zu lösen. Medikamente, Lebensmittel, Wasser für Zivilisten zu transportieren und Menschen offiziell zu evakuieren, sei nicht möglich.
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Orlov: "Ein Monat grausamer Krieg, wir werden aber weiter dafür kämpfen, Ukrainer zu sein!"
Klar sei auch, betonte der Vize-Bürgermeister: Die russische Armee treffe mit ihren Angriffen auch die russische Seite, denn in Mariupol seien zwischen 40 und 45 Prozent der Bewohner ethnische Russen. Aktuell seien noch geschätzt zwischen 150.000 bis 200.000 Bürger in der Hafenstadt.
Nun tobte schon ein Monat ein schrecklicher Krieg in Mariupol, so Orlov. „Vor einem Monat waren wir eine friedliche Stadt. Wir haben viele Anstrengungen unternommen, um in der Stadt für das Wohlergehen unserer Bürger zu sorgen – und wir waren glücklich und stolz, Ukrainer zu sein und stolz darauf, Bürger von Mariupol zu sein“. Orlov machte deutlich: „Wir werden dafür kämpfen, Ukrainer zu sein. Wir werden für Unabhängigkeit, für Freiheit und für Demokratie kämpfen.“
Für die Unterstützung der EU, USA und Großbritannien sei Orlov in dieser Situation sehr dankbar. Klar sei aber auch, dass sie mehr Waffen bräuchten, um ihr eigenes und das Leben ihrer Frauen und Kinder zu schützen, so der Vize-Bürgermeister.
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