Krieg in der UkraineRusslands Oligarchen: Wer sind sie und welchen Einfluss haben sie auf Putin?

FILE PHOTO: Russia's President Vladimir Putin (L) and Russian tycoon Oleg Deripaska attend a signing ceremony after talks with the Chinese delegation at the Kremlin in Moscow March 22, 2013. REUTERS/Sergei Karpukhin/File Photo
Putin im Gespräch mit Oleg Deripaska (Archivbild)
/FW1F/Simon Newman, REUTERS, Sergei Karpukhin
von Tobias Elsaesser

Nach dem Einmarsch in die Ukraine haben die USA, die EU und viele andere Länder Sanktionen gegen Russland verhängt. Diese richten sich nicht nur gegen Politiker und Unternehmen, sondern auch gegen reiche und mächtige Einzelpersonen, die sogenannten Oligarchen. Die Intention dabei: Indem ihre Vermögenswerte in den USA und Europa beschlagnahmt oder eingefroren werden, sollen sie dazu bewegt werden, Druck auf den russischen Präsidenten auszuüben, damit er den Krieg beendet.
Doch wer und was sind diese Oligarchen, wie kamen sie an ihr gigantisches Vermögen und ihren Einfluss in Politik und Wirtschaft. Und haben sie überhaupt die Macht, Putin zum Einlenken zu bewegen?
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Was ist Oligarchie?

Schon griechische Staatstheoretiker und Philosophen wie Platon, Aristotelis und Polybios beschäftigten mit der Staatsform der Oligarchie. Das Wort geht auf das altgriechische ὀλιγαρχία (oligarchia) zurück, setzt sich zusammen aus den Worten ὀλίγοι (oligoi „wenige“) und ἀρχή (archē „Herrschaft, Führung“) und bedeutet somit „Herrschaft weniger“. Es beschreibt ursprünglich die Entartung der Aristokratie. Während Aristokratie ursprünglich die Herrschaft einiger Befähigter zum Wohle des Volkes beschreibt, bedeutet Oligarchie die Herrschaft zum Eigennutz. In der modernen Zeit beschreibt das Wort eine Elite, die aufgrund ihrer Position oder ihres Amtes Macht und Einfluss ausüben, wie zum Beispiel Industriemanager, Großaktionäre, hohe Militärs oder Verleger.

Oligarchen in Russland

Die Bedeutung, die das Wort „Oligarch“ heute hat, bekam es mit der wirtschaftlichen Entwicklung in Russland nach dem Zerfall der Sowjetunion in den Jahren 1990 und 1991. Innerhalb sehr kurzer Zeit wurde das sozialistische Wirtschaftssystem der UdSSR durch ein kapitalistisches ersetzt. Nur sehr wenige hatten das notwendige Kapital oder das Wissen, um von dieser Entwicklung zu profitieren. Einige kamen durch den Schmuggel westlicher Waren zu Reichtum, andere nutzten das entstandene wirtschaftliche Chaos, um sich ehemaliges Staatseigentum anzueignen, da über die Besitzverhältnisse häufig Unklarheit herrschte. In kürzester Zeit war es ihnen so möglich, zu großem Reichtum zu gelangen. Zudem profitierten sie von der Korruption innerhalb der neuen Regierungs- und Verwaltungsstrukturen und gewannen so an politischem Einfluss.

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Macht der Oligarchen unter Boris Jelzin

Russian oligarch Roman Berezovsky arrives at the Royal Courts of Justice during a break on the proceedings in London, Britain on 18 January 2012. Russian oligarch Boris Berezovsky accuses fellow tycoon Roman Abramovich of betraying and blackmailing him, as the two former business partners met in a London courtroom in a multibillion dollar lawsuit over an oil deal. Berezovsky's 3.2 billion pound ($5 billion) lawsuit claims Abramovich intimidated him into selling shares in Russian oil company Sibneft at a fraction of their value. Berezovsky is alleging breach of trust and breach of contract.
Mächtig unter Jelzin, vor Putin geflohen: Boris Beresowski, 2012 in London
picture alliance / Photoshot

Auffällig ist, dass einige unter Präsident Boris Jelzin sehr mächtige und einflussreiche Oligarchen unter Wladimir Putin an Bedeutung verloren und regelrecht entmachtet wurden. Die prominentesten Beispiele sind Boris Beresowski und Michail Chodorkowski. Beide hatten in der Ära Jelzin großen Einfluss auf die Politik. Gemeinsam mit fünf weiteren Oligarchen riefen sie zur Präsidentenwahl 1996 die „Sieben-Bankiers-Bande“ ins Leben, die sich zum Ziel setzte, den in Umfragen stark schwächelnden Präsidenten im Amt zu halten – mit viel Geld und wohlwollender Berichterstattung durch die von ihnen kontrollierten Fernsehsender.

Nicht ohne Gegenleistung – nach Jelzins Sieg konnten die Oligarchen stets auf ein offenes Ohr beim Präsidenten zählen und Entscheidungen zu ihren Gunsten beeinflussen. Oder wie es Beresowski in der Arte-Dokumentation „Die Oligarchen: Aufstieg und Fall einer russischen Elite“ von 2005 ausdrückt: „Ich habe es nie bestritten, in Russland ist die profitabelste Investition eine Investition in die Politik. Ich habe nie vorgegeben aus selbstlosen Motiven zu handeln.“

Neue Machtverhältnisse unter Putin

Als Jelzin schließlich am 31.12.1999 im Fernsehen seinen Rücktritt erklärte, waren es wieder diese Sieben, die ihn überzeugten, Wladimir Putin als Nachfolger einzusetzen, womit sie jedoch wider Erwarten ihr Ende besiegelten. Einer der unter Jelzin einflussreichen Oligarchen, Michail Tschernoi, beschreibt in der Dokumentation ein entscheidendes Treffen mit Putin: „Als wir versuchten, Putin Vorschriften zu machen nach dem Motto ‚wir haben Dich an die Macht gebracht‘, da sagte er ‚Leute, vergesst, was gestern war […] jetzt beginnt ein neues Zeitalter.‘“ Den Mächtigsten der „Sieben-Bankiers-Bande“ legte Putin nahe, ihre Beteiligungen an russischen Unternehmen zu verkaufen. Wer das nicht freiwillig tat, wurde gezwungen. Das bekannteste Beispiel ist wohl Michail Chordorkowski, den Putin kurzerhand verhaften ließ.

Laut des Buches „Putins Netz – wie sich der KGB Russland zurückholte und dann den Westen ins Auge fasste“ von Catherine Belton setzte Putin an Stelle von Jelzins Oligarchen auf die sogenannten Silowiki. Leute, die – wie der neue Präsident selbst – eine KGB-Vergangenheit hatten. Diese hatten sich in Putins Sankt Petersburger Zeit bewährt und waren dort durch kriminelle Aktivitäten wie zum Beispiel Schmuggel zu beträchtlichem Reichtum gekommen. Doch auch andere Oligarchen stiegen nun in die erste Liga auf, unter anderem Roman Abramowitsch, der die Firmenbeteiligungen von Beresowski übernahm oder Oleg Deripaska, der die Beteiligungen von Michail Tschernoi erhielt.

Chordokowski: Alles ist auf Putin zugeschnitten

Michail Chodorkowski, ehemaliger Chef des Ölkonzerns Yukos, nimmt am 20.03.2017 an einer Diskussionsrunde zum Thema «Russia in Europe: Yesterday, Today, Tomorrow» in Berlin teil. Der Ex-Yukos-Chef war nach fast zehn Jahren Lagerhaft in Russland begnadigt worden und Ende 2013 nach Westeuropa ausgereist. Foto: Sophia Kembowski/dpa
Michail Chodorkowski auf einer Konferenz in Berlin 2017.
picture alliance / Sophia Kembowski/dpa

Hier wird jedoch ein entscheidender Unterschied deutlich: Während Jelzin in seiner Amtszeit von den Oligarchen profitierte, profitierten viele „neue“ Oligarchen von Putin. So ist das zum Beispiel auch im Falle der Brüder Boris und Arkadi Rotenberg, die so gut wie alle Bauaufträge des Staates ausführen, wie beispielsweise die Krim-Brücke oder diverse Bauprojekte im Zusammenhang mit den Olympischen Winterspielen 2014 in Sotschi. Auch andere, die unter Putin in diese Riege vorstießen - wie Alischer Usmanow, Jewgeni Prigoschin, Igor Setschin oder Kirill Schamalow - sind eher von Putin abhängig als umgekehrt.

Der Professor für Volkswirtschaftslehre an der Uni Bremen, Michael Rochlitz, beschrieb jüngst gegenüber Spiegel TV das Verhältnis zwischen Putin und den Oligarchen folgendermaßen: Noch sei es nicht so weit, „aber es bewegt sich vielleicht ein bisschen in die Richtung von Nordkorea, wo wir auch den großen Führer haben […] da sind dann die Beamten aus der Region und die Wirtschaftsbosse. Die müssen dann mitschreiben, was der große Führer für Ideen hat, und so ähnlich ist das hier fast auch schon.“

„Das ganze System“, so der von Putin zu Fall gebrachte Chordorkowski gegenüber Spiegel TV, „das er (Putin) kreiert hat, ist auf ihn diktatorisch zugeschnitten und steht ausschließlich für ihn.“ Der Westen habe einen großen Fehler gemacht, zu denken, sie hätten es mit einem normalen Staatsmann zu tun, „aber Putin ist kein normaler Staatsmann, er ist ein Gangster und das Schlimmste für einen Gangster ist, wenn er Schwäche zeigt.“

Im Interview mit den Sendern RTL/ntv betonte Chodorkowski allerdings noch einmal wie wichtig die Sanktionen gegen die Oligarchen trotzdem seien, denn ihr Vermögen seien Ressourcen, „an die Putin jederzeit kann und die er verwenden kann für das, was er will.“

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