Führen Selbstisolation und Kontaktverbot zu Rückfällen und neuen Erkrankungen?Coronavirus: Was wir gegen die aktuelle psychische Belastung tun können
Der Kampf gegen das neuartige Coronavirus Sars-CoV-2 zwingt die Menschen und Familien in Deutschland durch soziale Distanzierung weitgehend in die Selbstisolation. Viele können diese Anforderung gut stemmen, für andere, vor allem, wenn sie alleine leben, ist es eine Riesenherausforderung. Noch härter aber trifft es Menschen, die unter einer depressiven Erkrankung leiden. Lena ist von Depression betroffen. Sie hat uns erzählt, wie sie mit der jetzigen Situation umgeht. Im Video erklärt Psychiater Ulrich Hegerl, wie wir am besten mit der aktuellen psychischen Belastung umgehen können.
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Depression ist eine Volkskrankheit
Eine Depression ist eine ernste Erkrankung. Sie beeinflusst Denken, Fühlen und Handeln der Betroffenen massiv. Sie geht mit Störungen von Körperfunktionen einher, verursacht erhebliches Leiden. In den letzten Jahren ist das, auch durch den Tod von Fußballprofi Robert Enke, immer mehr im Bewusstsein der Bevölkerung angekommen. Depression ist sogar ein Volksleiden: Laut Robert-Koch-Institut litten zwischen 2013 und 2015 mehr als neun Prozent der Bevölkerung in Deutschland unter depressiven Symptomen. Wird die Depression nicht behandelt, kann sie schlimmstenfalls mit einem Selbstmord des Betroffenen enden.
In der Krise fehlen die Hoffnung und die Energie
Die jetzt mit dem Coronavirus verbundenen Ängste, Sorgen und Einschränkungen stellen für an Depression erkrankte Menschen eine besonders große Belastung dar, bestätigt uns Psychiatrie-Professor Ulrich Hegerl, Vorsitzender der Stiftung Deutsche Depressionshilfe. Denn: In einer Depression werde alles Negative im Leben vergrößert wahrgenommen und ins Zentrum gerückt, so auch die Sorgen und Ängste wegen des Coronavirus. "In der Depression fehlt zudem die Hoffnung und Energie, sich auf die drastischen Veränderungen im Alltag einzustellen."
Deswegen sei während einer depressiven Episode eine feste Tagesstruktur wichtig, damit die Betroffenen sich nicht tagsüber ins Bett zurückziehen und grübeln. "Die kann durch Homeoffice oder Quarantäne verloren gehen", so Hegerls Befürchtung. Denn der depressive Mensch würde am liebsten den ganzen Tag im Bett verbringen. Grübeleien und Antriebslosigkeit verstärken sich. Und das verschlimmert die Symptomatik immer mehr.
Es ist ein Balanceakt
Auch Lena fürchtet nach ihrer erfolgreichen Behandlung in der jetzigen Situation einen Rückfall. "Ich bin definitiv auf der Hut", erzählt sie uns. "Bei mir besteht, wenn ich lange am Stück zu Hause bin, schnell die Gefahr, alles aus dem Bett heraus zu tun." Deswegen hält sie sich strikt an ihren Tagesfahrplan: Wecker um sieben Uhr, aufstehen, duschen, frühstücken und dann ab an den Schreibtisch zum Homeoffice. Eine Runde vor die Tür, abends Verabredungen über Skype.
"Allerdings ist das natürlich alles sehr stupide und jeden Tag dasselbe", berichtet sie. "Das macht es schwerer für mich durchzuhalten und nicht einfach der Depression nachzugeben und im Bett zu bleiben. Die Situation verleitet einfach so sehr dazu, aber auf der anderen Seite ist Routine einfach so wichtig gerade. Das ist wirklich ein Balanceakt. Und wenn Langeweile aufkommt, dann muss ich mich mit etwas beschäftigen, sonst werden meine Gedanken zu laut."
Psychotherapeuten bieten Videosprechstunden an
Lena will sich gar nicht ausmalen, wie es gewesen wäre, wenn diese Krise zu der Zeit vor ihrer Behandlung gekommen wäre. "Wahrscheinlich hätte ich mich in keinster Weise getraut, Hilfe in Anspruch zu nehmen oder sie überhaupt zu suchen", sagt sie uns. "Isolation war eines meiner größten Probleme während meiner schlimmsten Krise. Die derzeitige Situation hätte das bei mir sicher noch verstärkt und ich wäre den Weg des Hilfesuchens dadurch nicht mehr gegangen."
Doch Hilfe können sich Betroffene durchaus auch in Zeiten von Selbstisolation und Ausgangsbeschränkungen suchen. Denn der Weg zum Haus- oder Facharzt ist ja erlaubt. Stiftungschef Hegerl weist darauf hin, dass viele Psychotherapeuten inzwischen Videosprechstunden anbieten. "Zur Unterstützung haben wir darüber hinaus ein digitales, kostenfreies Hilfsangebot freigeschaltet, das iFightDepression-Programm", sagt er. "Betroffene können darin wie in einer Psychotherapie lernen, besser mit der Erkrankung umzugehen."
Qualität der Versorgung depressiv Erkrankter sinkt
Müssen wir jetzt befürchten, dass in der Krise mehr Menschen an Depressionen erkranken? "Ich gehe davon aus, dass dies nicht in größerem Maße der Fall sein wird, auch wenn viele Menschen das vielleicht glauben", sagt uns der Psychiater. 90 Prozent der Menschen sehen eine Depression vor allem als Folge schwieriger Lebensumstände an. Sie sei jedoch eine eigenständige Erkrankung - mehr als eine Reaktion auf die Bitternisse des Lebens.
"Was mir dagegen Sorgen macht ist, dass psychiatrische Ambulanzen geschlossen haben, Psychotherapiestunden und Treffen von Selbsthilfegruppen ausfallen oder stationäre Aufenthalte verschoben werden, das heißt die Qualität der Versorgung depressiv Erkrankter sinkt." Die Folge könne vermehrtes Leid und eine Zunahme der Suizide und Suizidversuche sein.
Anlaufstellen für Betroffene im Überblick:
Hausärzte, Psychiater oder psychiatrische Kliniken sind weiterhin geöffnet und können vor allem in akuten Krisen weiterhin aufgesucht werden
Psychotherapeuten dürfen Video-Sprechstunden anbieten und mit der Kasse abrechnen – Betroffene sollen bei ihrem Therapeuten fragen, ob das möglich ist
Fachlich moderiertes Online-Forum zum Erfahrungsaustausch
Deutschlandweites Info-Telefon Depression 0800/33 44 5 33 (kostenfrei)
Telefonseelsorge 0800/111 0 111 oder 0800/111 0 222 (kostenfei)
Der „stern“ startet Telefonseelsorge
Die Telefonseelsorge ist mit ihrem ehrenamtlichen Personal am Limit. Psychotherapeuten werden selbst krank oder müssen sich in Video-Begegnungen erst noch einarbeiten. Zwar werden bei Therapeuten wegen Absagen immer wieder auch Termine für eine Krisen-Intervention frei. Manchmal rücken da aber auch sofort Diejenigen von der Warteliste nach.
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