Er führte sogar eine Liste
Arzt soll mehr als 80 Frauen betäubt und vergewaltigt haben - viele Opfer noch immer nicht informiert

Seine Opfer waren ihm hilflos ausgeliefert. Assistenzarzt Philipp G. soll rund 30 seiner Patientinnen im Evangelischen Klinikum Bielefeld-Bethel erst betäubt und dann vergewaltigt haben. Auch in seinem privaten Umfeld habe er Frauen sediert und missbraucht. Geschätzte Zahl der Opfer: im dreistelligen Bereich. Im September 2020 wurde der Mann festgenommen. Recherchen des ARD-Magazins „kontraste“ und der Tageszeitung „Kölner Stadt-Anzeiger“ deckten jetzt auf: Viele von G.s Opfern wurden bis heute wohl nicht darüber informiert, dass sie missbraucht wurden.
Bielefeld: Opferzahl vermutlich im dreistelligen Bereich
Die Frauen sollen kurz vor dem MRT absichtlich mit falschen Medikamenten behandelt worden sein. Daraufhin hätten die Vergewaltigungen stattgefunden. Der Fall war damals ins Rollen gekommen, weil eine Patientin klagte. Dabei sei es um drei mutmaßliche Vergewaltigungen im Juli und September 2019 gegangen, so die Ermittler. Eine weitere Frau sei zweimal sexuell missbraucht worden. Assistenzarzt Philipp G. konnte zwischen Februar 2019 und April 2020 wohl 29 Patientinnen betäuben und vergewaltigen, das berichtet „tagesschau.de“.
Während der Wohnungsdurchsuchung des Assistenzarztes im Jahr 2020 fanden die Ermittler jedoch eine Liste mit fast 80 Namen von potenziellen Opfern, so das ARD-Magazin „kontraste“. Es musste also noch weitere Vergewaltigungen außerhalb der Bielefelder Klinik gegeben haben, von denen die Ermittle zuvor nichts gewusst hatten. Bei der Durchsuchung seien auch Videoaufnahmen und Dateien gefunden worden, die darauf schließen ließen, dass sich die Zahl der Opfer im dreistelligen Bereich bewege.
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Ermittlungen vorübergehend eingestellt
Erschreckend: Als sich der Verdächtige wenig später in der Untersuchungshaft das Leben nahm, wurden die Ermittlungen eingestellt, das geht aus dem Bericht hervor. Seine Opfer seien daraufhin nicht weiter darüber informiert worden, dass sie womöglich betäubt und vergewaltigt worden waren. Das soll hauptsächlich Frauen betreffen, die außerhalb der Bielefelder Klinik zu seinem Opfer wurden.
Erst ein Jahr später sei der Fall auf Geheiß von NRW-Justizminister Peter Biesenbach erneut aufgerollt un der Staatsanwaltschaft Duisburg übergeben worden. Im Zuge dessen wurde dann mit weiteren Frauen gesprochen.
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Von Täter mit Geschlechtskrankheit angesteckt worden?
Eine von diesen Frauen ist Jasmin K. Sie erfuhr erst kürzlich, dass sie wohl von Philipp G. vergewaltigt worden ist, das berichtet „kontraste“. Seit zwei Jahren kämpfe sie mit der Geschlechtskrankheit „Mycoplasma genitalium“. Sie habe Zysten an der Gebärmutter – womöglich müsse sie komplett entfernt werden. Die gleiche Krankheit wurde bei der Obduktion von Philipp G. festgestellt. Der Verdacht, dass er sie damit ansteckte, liegt nahe. Doch informiert wurde die Frau von den Ermittlern erst jetzt. „Ich kreide das der Staatsanwaltschaft Bielefeld an, weil wenn sie mich früher informiert hätten, dann hätte ich diese ganzen Schmerzen fast zwei Jahre nicht gehabt“, sagt sie.
"Entscheidung, Frauen nicht zu informieren, war falsch"
Der ehemalige Justizminister Peter Biesenbach räumt mittlerweile Fehler beim Umgang mit den Betroffenen ein. „Die Entscheidung, die Betroffenen nicht zu informieren, war von Anfang an falsch. Und als sich dann auch noch die Geschlechtskrankheit herausstellte, war sie sogar evident rechtswidrig“, sagte er im Interview mit „kontraste“.
Mittlerweile werde auch gegen Verantwortliche der Bethel-Klinik ermittelt, heißt es. Dazu teilte die Bethel-Klinik auf Kontraste-Anfrage mit, dass man seit Bekanntwerden des Verfahrens vollumfänglich mit den Behörden kooperiert habe. Oberste Priorität habe die Hilfe für die Opfer, dafür habe man unter anderem einen Unterstützungsfonds eingerichtet.
Alle Betroffene aus Klinik informiert
Die Staatsanwaltschaft Duisburg bestätigte, dass mittlerweile alle 29 Opfer aus dem Klinikum Bethel informiert seien. Laut „interner Vermerke“ der Ermittler, die „kontraste“ und dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ vorliegen würden, gehe man davon aus, dass Philipp G. seit 2014 Frauen sedierte und missbrauchte. Genau diese Opfer wissen noch immer nich darpber Bescheid, was ihnen womöglich widerfahren ist. "Die Prüfung, ob es auch außerhalb des Klinikums zu Straftaten des Verstorbenen gekommen ist, dauert noch an. Damit ist derzeit noch unklar, ob und ggf. wie viele weitere möglicherweise Geschädigte/Opfer es gibt“, sagte die Staatsanwaltschaft Duisburg den Medien. (lbr)
Hilfe bei Depressionen oder Suizidgedanken
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