Lehrer-Kollegin stirbt, Schüler schwer verletzt
Prozessbeginn zu Berliner Amokfahrt - Schulleiter: "Ich kann diese Emotionen nicht noch einmal durchleben"
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von Alexandra Pitronik und Gunda Möller
Ein Auto kracht in eine Menschenmenge und die Welt hält den Atem an: Am 8. Juni 2022 fährt ein 29-Jähriger mit seinem Kleinwagen in eine Fußgängergruppe auf dem Berliner Ku’damm. Die Gruppe ist eine Schulklasse aus Bad Arolsen (Hessen) auf Abschlussfahrt in der Hauptstadt. Elf der Schüler und ein Lehrer werden zum Teil lebensgefährlich verletzt; eine 51-jährige Lehrerin stirbt durch den Aufprall. Seit dem 7. Februar steht der mutmaßliche Täter vor Gericht.
Abschlussfahrt endet mit Katastrophe
Noch einmal gemeinsam die Stadt Berlin entdecken, ihren Schulabschluss feiern, bevor es ins Berufsleben geht: Die Schüler der Kaulbach-Schule hatten sich auf eine unbeschwerte Zeit gefreut – bis ihr Ausflug in einer Katastrophe endete. „Es war ein ganz normaler Tag“, erinnert sich Schulleiter Axel Wölke. Er kommt gerade aus dem Unterricht, als ihn die Nachricht einer Amokfahrt in Berlin erreicht. Eine schlimme Nachricht, die wohl niemanden kalt lässt.
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Doch dann wird die ganze Dimension klar: Wölkers Schüler sind betroffen, eine Kollegin ist an den Folgen der Fahrt gestorben. „Ab da war Funktionieren angesagt“, beschreibt Axel Wölker im RTL-Interview.
Schulleiter: Dafür gibt es kein Lehrbuch
Man kann sich nur schwer vorstellen, was dann an der Schule ablief. „Wir mussten in der Not zurechtkommen“, so Wölker. „Da gibt es kein Lehrbuch für.“ Bei den Erinnerungen an diesen schlimmen Tag muss der Schulleiter tief durchatmen, man merkt ihm die Betroffenheit auch nach über einem halben Jahr noch deutlich an.
Der Verlust der Kollegin trifft ihn besonders hart: „Ich kann diese Emotionen nicht noch einmal durchleben, es war unfassbar. Ging gar nicht“, berichtet er im RTL-Interview mit brüchiger Stimme.
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Amokfahrt weckt schlimme Erinnerungen an Korbacher Rosenmontagszug
Den Schülern und Eltern beibringen, dass ihre Mitschüler und Kinder betroffen waren, ist eine Mammutaufgabe für die Kaulbach-Schule. Der Landkreis Waldeck-Frankenberg unterstützt und setzt sofort alle Hebel in Bewegung, dass die Eltern zu ihren Kindern nach Berlin transportiert werden.
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Und die Ereignisse wecken schlimme Erinnerungen: Erst 2020 war ein Autofahrer in die Menschenmenge beim Rosenmontagszug in Volkmarsen, einer Nachbargemeinde, gefahren und hatte dabei mehrere Menschen verletzt. „’Nicht schon wieder’ war mein erster Gedanke“, berichtet Landrat Jürgen van der Horst im RTL-Interview. „Heftig“ sei die Nachricht von einem erneuten Unglück von Menschen aus seinem Landkreis bei ihm angekommen. „Amokfahrten haben Schule gemacht, sind im Alltag angekommen“, stellt der parteilose Politiker fest. Es sei „völlig verrückt“, welche Auswirkungen solche Ereignisse zum Beispiel auf Volksfeste hätten, überall wären nun Absperrungen nötig.
Prozess: Schuldunfähigkeit des mutmaßlichen Täters erwartet
Der Fahrer, der den Menschen in van der Horsts Umfeld so große Schmerzen bereitet hat, steht seit dem 7. Februar nun wegen Mord und versuchten Mord sowie gefährliche Körperverletzung vor Gericht. Zum Prozessauftakt erklärte der Verteidiger des 29-jährigen Deutsch-Armenier, dass sein Mandant sich zunächst zu den Vorwürfen nicht äußern würde. Ein vorläufiges psychiatrisches Gutachten legt nach Angaben der Staatsanwaltschaft die Schuldunfähigkeit des mutmaßlichen Täters nahe. Er wird voraussichtlich in ein psychiatrische Krankenhaus eingewiesen und weiter zu den Vorfällen schweigen, so die Erwartungen im Vorfeld.
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Richter will betroffene Jugendliche nicht belasten
Landrat Landrat Jürgen van der Horst respektiere den Rechtsstaat, aber: „Es ist dramatisch, dass sich jemand ins Auto setzt und Menschen heimtückisch überfährt. Und dann erzählt er nicht, warum er es getan hat – das ist schon bitter!“ Es gäbe vermutlich keine Antworten zu dem „Warum?“ und dennoch erhoffe er sich, dass die Betroffenen durch den Prozess mit den schrecklichen Ereignissen zumindest ein bisschen besser abschließen können.
Um die betroffenen Jugendlichen nicht zusätzlich zu belasten, sollen laut vorsitzendem Richter am Berliner Gericht frühere Zeugenaussagen verlesen werden. Er wolle so den jungen Leuten „hier Raum geben, ohne sie in diesen Raum zu zwingen“, erklärte Groß. Elf Opfer sind laut Gericht auch als Nebenkläger an dem Verfahren beteiligt.
Urteil am 21. April erwartet
Am ersten Prozesstag wurde zunächst ein Sachverständiger zum Verlauf des Vorfalls gehört. Am zweiten Prozesstag am 17. Februar plant die zuständige 22. Strafkammer, den schwer verletzten Lehrer aus Hessen als Zeugen zu vernehmen. Bislang hat das Gericht insgesamt zwölf Verhandlungstage geplant. Das Urteil könnte demnach am 21. April gesprochen werden.