„Hätte ihm nichts bieten können“
Aus Geldnot: Frau (31) entscheidet sich für Abtreibung – doch die Krankenkasse zahlt nichts
von Madeline Jäger
„Ich stehe leider vor einer Abtreibung“, mit diesen Worten hat sich eine verzweifelte 31-Jährige bei RTL gemeldet. Aus Geldnot sieht sich die Frau gezwungen, ihre Schwangerschaft abzubrechen. Krankenversichert ist sie bei der Barmer, doch die beteiligt sich nicht an den Kosten für den Schwangerschaftsabbruch, die in ihrem Fall bei 660 Euro liegen.
RTL hat nachgefragt, warum die Frau keine finanzielle Hilfe von ihrer Krankenkasse bekommt.
„Schon für mich selbst zu wenig Geld“
Als Janina K. (Name von der Redaktion geändert) erfährt, dass sie schwanger ist, stellt sich nach kurzer Freude schnell Verzweiflung ein. Schweren Herzens entscheidet sie sich für eine Abtreibung. Aus Angst vor Stigmatisierung möchte sie ihren richtigen Namen nicht öffentlich im Internet preisgeben. Bisher habe es in ihrem Leben keine Entscheidung gegeben, die ihr noch schwerer gefallen sei – doch aus Geldnot sah die 31-Jährige keine Möglichkeit, ihre Schwangerschaft nicht abzubrechen.
Nachdem sie jahrelang in der Produktion einer Firma auch körperlich hart gearbeitet hat, musste sie sich nach einem Bandscheibenvorfall beruflich zu einem Bürojob hin komplett umorientieren. „Ich musste da raus. Jetzt mache ich seit einem Jahr eine Umschulung zur Sport- und Fitnesskauffrau und verdiene lediglich 1.900 Euro brutto – das ist in den aktuellen Zeiten schon für mich selbst zu wenig“, schildert K. Allein ihre Mietkosten würden bei 740 Euro liegen.
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Frau (31): „Wir wollten Kinder, es ist uns schwergefallen“
Zusammen mit ihrem Lebensgefährten hätte sie daher die Entscheidung getroffen, die Schwangerschaft zu beenden. „Wir wollten Kinder, es ist uns schwergefallen, diese Entscheidung zu treffen. Doch wir hätten dem Baby nichts bieten können“, sagt Janina K. unter Tränen.
Ihr Gesamteinkommen sei aktuell einfach zu niedrig. Die Elternzeit hätte sie während der Umschulung nicht nehmen können. Auch mit den 65 Prozent des Nettoeinkommens ihres Lebensgefährten hätten sie sich laut Janina K. keine Familie leisten können.
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Abtreibung: Frau (31) lässt Eingriff aus Geldnot durchführen – doch die Krankenkasse zahlt nichts
Den operativen Eingriff ließ Janina K. in ihrer zehnten Schwangerschaftswoche am 17. Mai 2023 bei ihrem Frauenarzt operativ und unter Vollnarkose durchführen. Vorab informierte sie sich bei ihrer Krankenkasse darüber, ob sie zumindest einen Teil der Kosten übernehmen würde. Doch das wurde bislang abgelehnt.
„Ich muss 660 Euro selbst zahlen, da die Krankenkasse nur bis zu einem Einkommen bis 1.325 Euro unterstützt. Ich bin etwa 300 Euro darüber, aber komme so schon nicht über die Runden“, kritisiert K.
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Im Fall von Janina K. handelt es sich nach deutscher Rechtslage um einen sogenannten „rechtswidrigen, aber straffreien Schwangerschaftsabbruch“. Dann sind für die Kostenübernahme des Schwangerschaftsabbruchs und zum Beispiel für eine Narkose die Bundesländer zuständig.
- Dementsprechend prüfen die Kassen die Kostenübernahme des Abbruchs nach Einkommensgrenzen.
- Wird eine Bedürftigkeit anerkannt, stellen die Kassen einen entsprechenden Berechtigungsschein aus, den die betroffenen Frauen bei ihrem Arzt vorlegen.
- Daraufhin rechnet der Arzt die Kosten des Abbruchs direkt mit der jeweiligen Kasse ab.
- Danach erstattet das Bundesland der Kasse die angefallenen Kosten für den Abbruch.
Auf RTL-Anfrage erklärt ein Pressesprecher der Krankenkasse den Grund für den abgelehnten Antrag bei Frau K.
Barmer prüft Antrag erneut, lehnt Kostenübernahme jedoch ab
Die Barmer äußert sich auf RTL-Anfrage wie folgt: „Bei Frau K.* haben wir geprüft, ob ihr zugemutet werden kann, die Mittel für den Abbruch aufgrund des ihr zur Verfügung stehenden Einkommens selbst aufzubringen. Hierbei wurde die allgemeine Netto-Einkommensgrenze von 1.325 Euro zugrunde gelegt. Berücksichtigt wurde zudem der maximal mögliche Höchstbetrag von 388 Euro für Kosten der Unterkunft“, so der Sprecher.
Und ergänzt: „Für Frau K.* wurde demnach als maßgebliche Einkommensgrenze der Betrag von 1.713 Euro ermittelt. Die uns von Frau K.* nachgewiesenen persönlichen Einkünfte liegen mit rund 1.900 Euro darüber“, erklärt der Pressesprecher Thorsten Jakob dazu.
„Natürlich ist uns bewusst, dass es aufgrund ihres Einkommens nicht leicht für sie ist, die Kosten des Schwangerschaftsabbruchs selbst zu tragen. Im Ergebnis unserer erneuten Prüfung muss es allerdings bei der Entscheidung bleiben. Hier sind uns leider die Hände gebunden“, so der Sprecher abschließend.
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„pro familia“ fordert grundsätzlich Übernahme der Kosten bei Schwangerschaftsabbruch
Wer sich in Deutschland für einen Schwangerschaftsabbruch entscheidet, muss sich vorab bei einer Beratungsstelle aufklären lassen, zum Beispiel bei „pro familia“ – das hat auch Frau K. getan. Der Bundesverband fordert, dass sich hinsichtlich der Kostenübernahme bei Abtreibungen in Deutschland einiges ändert.
„pro familia fordert grundsätzlich, dass der Schwangerschaftsabbruch (auch der telemedizinisch begleitete medikamentöse Schwangerschaftsabbruch) in das Gesundheitssystem integriert und die Kostenübernahme durch die gesetzlichen Krankenversicherungen für alle sichergestellt wird“, so Pressesprecherin Regine Wlassitschau.
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Wenn die Krankenkasse nichts zahlt
Doch wie wirkt sich die aktuelle Regel der Krankenkassen generell auf die betroffenen Frauen aus? Dazu hat RTL beim Verein „Doctors for Choice Germany e.V.“ nachgehört.
„Wir haben sehr häufig mit Frauen zu tun, die eigentlich einen Abbruch unter Vollnarkose wünschen, sich dann aber aus Geldmangel für einen Abbruch in örtlicher Betäubung oder mit der medikamentösen Methode entscheiden, weil sie da nicht noch die Anästhesie zahlen müssen. Ebenso gibt es immer wieder Frauen, die mehrere Wochen schieben, weil sie ihr Gehalt noch nicht haben und deswegen deutlich später zum Abbruch kommen. Das alles wird sich nicht lösen lassen, in dem die Einkommensgrenze angehoben wird, sondern nur dadurch, dass der Abbruch Kassenleistung wird, fordert die Frauenärztin Kristina Hänel.
Auch Janina K. würde sich eine solche Kostenübernahme der Krankenkasse wünschen – wenigstens beim ersten Schwangerschaftsabbruch. Denn für die 31-Jährige wird es keine zweite Abtreibung geben, das steht für sie absolut fest.