Vielen Müttern hilft ein Sternenkind-Tattoo bei der Trauerbewältigung Tattoo nach der Fehlgeburt! Eine Erinnerung, die unter die Haut geht

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Das Tattoo erinnert Lena Ehling an ihre Fehlgeburt.
Federico Gambarini/dpa

„Es fühlt sich gut an, eine schlimme Erfahrung in etwas Schönes zu verwandeln.“
Punkt für Punkt sticht die Tätowiernadel ein Vergissmeinnicht unter Lena Ehlings Haut. Das fein gezeichnete, handtellergroßer Blumen-Tattoo, das auf ihrem rechten Unterarm entsteht, erzählt ein Stück eigene Familiengeschichte: Ehling erlitt vor mehreren Jahren eine Fehlgeburt. Dass ihr „Sternchen“, wie sie es nennt, unvergessen ist, will sie sichtbar machen.

Sie hat sich „schon beim zweiten Strich auf dem Schwangerschaftstest als Mama gefühlt“

Sie ist damit nicht allein, wie Tätowierer und Trauerberatungsstellen berichten: Sternenkinder-Tattoos können hilfreich bei der Trauer- und Erinnerungsarbeit sein. „Es fühlt sich gut an, eine schlimme Erfahrung in etwas Schönes zu verwandeln“, sagt die 35-Jährige aus Ochtrup im Münsterland und blickt lächelnd auf das Bild auf ihrem Unterarm. Etwas mehr als sechs Jahre ist es her, dass ihr die Frauenärztin bei einer Untersuchung mitteilte, dass das Herz ihres Kindes nicht mehr schlage.

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Lena Ehling (r) lässt sich von Tattooartist Kyra Hilbig ein Tattoo stechen.
Foto: Federico Gambarini/dpa

Sie war in der zwölften Woche ihrer ersten Schwangerschaft, hatte sich gemeinsam mit ihrem Mann sehr auf das Kind gefreut: „Klar weiß man, dass so etwas passieren kann, aber ich hatte mich schon beim zweiten Strich auf dem Schwangerschaftstest als Mama gefühlt.“

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Da sei zunächst eine große Leere gewesen. Es folgten Schuldgefühle, das Gefühl nicht richtig zu funktionieren, als sie zunächst nicht wieder wie gewünscht schwanger wurde. „Ich habe mich damit sehr allein gefühlt“, sagt sie rückblickend.

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Trauer-Tattos für Experten bekanntes Phänomen

Nach Schätzungen des Familienministeriums ereignen sich in Deutschland jährlich etwa 90.000 Fehlgeburten – die allermeisten passieren vor der zwölften Woche, nicht selten auch unbemerkt. Etwa 6.000 Fehlgeburten erleiden Frauen zwischen der 13. und der 24. Schwangerschaftswoche. Kinder, die danach im Mutterleib sterben oder bereits ein Gewicht von mindestens 500 Gramm erreicht haben, werden vom Statistischen Bundesamt als Totgeburten erfasst: In den vergangenen Jahren betraf das jeweils rund 3.000 Kinder.

„Wie schwer Eltern trauern, hängt aber nicht von der Schwangerschaftswoche oder dem Gewicht ab. Das ist ganz individuell“, sagt Melanie Wiedemann von der Bethanien Sternenkinderambulanz in Wuppertal. Sie und ihr Team begleiten trauernde Familien nach einer Fehl- oder Totgeburt. Dabei sei es ein wichtiger Teil ihrer Arbeit, Erinnerungen an das ungeborene Leben zu schaffen. „Immer häufiger äußern Eltern dann den Wunsch, sich ein Tattoo stechen zu lassen, um eine Verbindung herzustellen und sichtbar zu machen“, sagt Wiedemann.

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Dass Menschen sich in einer Trauersituation – sei es beim Verlust eines geliebten Menschen, Tieres oder eben Sternenkindes – ein Tattoo stechen lassen, ist nach Auskunft der Trauerforscherin Heidi Müller seit vielen Jahren ein durchaus gängiges Phänomen – sogar wissenschaftlich untersucht. „In Befragungen gaben Menschen häufig an, dass sie eine Verbindung zu dem gestorbenen Lebewesen aufrecht halten möchten“, berichtet Müller.

Tattoo als Appell gegen Sprachlosigkeit

Gerade bei Kindern, die noch im Mutterleib gestorben seien, könne ein Symbol unter der Haut das Erinnern erleichtern – auch im Gespräch mit anderen. Anderen geht es laut Müller um die konkrete Schmerzerfahrung beim Stechen des Tattoos: „Einige sagen, dass dieser Schmerz der Nadel kontrollierbarer, greifbarer sei als diese gefühlt unkontrollierbare Agonie der Trauer.“

Je sichtbarer das Tattoo für Außenstehende sei, desto eher sei es ein niedrigschwelliger Anlass ins Gespräch zu kommen – „und zwar ganz leichtgängig, quasi durch die Hintertür und notfalls vom Thema Verlust wieder zurück zum Tattoo selbst“, sagt Müller.

Ähnlich ist es bei Ehling: Durch ihre eigene Erfahrung habe sie sich mit vielen Frauen unterhalten, die selbst eine Fehlgeburt erlebt hätten. „Zu wissen, da sind noch mehr, nimmt nicht den Schmerz, aber es hat geholfen, die Schuld nicht mehr bei mir zu suchen.“ Ein Tattoo wie das ihre ist damit auch ein Appell gegen eine gewisse Sprachlosigkeit: „Ich glaube, wir müssen das Thema viel offener behandeln“.

„Das war ja auch schon eine kleine Seele, die dazugehört“

Auch Tätowiererin Kyra Hilbig, die Ehling auf der großen Dortmunder Messe Tattoo-Convention für ihr neues Tattoo ausgesucht hat, stach schon mehrfach Kundinnen bleibende Erinnerungen an Sternenkinder unter die Haut. So individuell der Umgang sei, so vielfältig seien die Motive: Daten, Namen, Symbole wie Geburtsblumen, Engel, Schmetterlinge, Sternschnuppen. Exemplarisch zeigt sie Fotos von Engelsflügeln, die sie gestochen hat, zwei winzige Fußabdrücke des Totgeborenen bilden den Körper des Engelchens.

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Ziemlich genau neun Monate nach Ehlings erster Schwangerschaft klappte es erneut. Inzwischen ist sie Mutter zweier Töchter: Den Schriftzug „Mädchenmama“ ließ sie sich deshalb schon vor Längerem auf den Unterarm Arm stechen – eines von zahlreichen Tattoos, die sie trägt.

Genau darunter wächst nun das Blumenbild mit kleinem Schmetterling für ihr „Sternchen“: „Denn das war ja auch schon eine kleine Seele, die dazugehört.“ (Florentine Dame, dpa)