Erst Corona und jetzt auch noch die Inflation!

Paritätischer Wohlfahrtsverband schlägt Alarm: Neuer Höchststand von Armut

Daniel Karmann
Die soziale Ungleichheit wächst aus Sicht des Paritätischen Wohlfahrtverbandes.
deutsche presse agentur

Wenn am Ende des Geldes noch viel zu viel Monat übrig ist, um sich was Ordentliches zu essen zu kaufen, wenn man jederzeit Angst hat, dass etwas Wichtiges wie die Waschmaschine kaputt geht, weil man sich keine Neue kaufen kann, wenn man in den Spiegel schaut und sich nicht leiden kann, weil man sich schon lange keinen Frisör mehr leisten kann – das alles zeigt die Facetten von Armut in Deutschland.
Und die soziale Ungleichheit wächst aus Sicht des Paritätischen Wohlfahrtverbandes. Corona hat es schon deutlich verschärft und die aktuellen Inflationszahlen tun ihr übriges. Die Inflationszahlen sind im Juni im Vergleich zum Vormonat Mai zwar leicht zurückgegangen, die Rate liegt aber immer noch bei 7,6 Prozent, das hat das Statistische Bundesamt mitgeteilt. Im Mai hatte die Inflationsrate bei 7,9 Prozent gelegen.

„Die Befunde sind erschütternd"

29.06.2022, Berlin: Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer vom Paritätischen Gesamtverband, stellt im Haus der Bundespressekonferenz den Paritätischen Armutsbericht für das Jahr 2021 vor. Foto: Jörg Carstensen/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
„Die Befunde sind erschütternd, die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie schlagen inzwischen voll durch“, sagte Hauptgeschäftsführer Ulrich Schneider
car htf, dpa, Jörg Carstensen

Die Armutsgefährdungsquote erreichte mit 16,6 Prozent im vergangenen Jahr einen neuen Höchststand, teilte der Verband bei der Vorstellung des „Armutsbericht 2022“ mit. Demnach leben 13,8 Millionen Menschen in Deutschland unterhalb der entsprechenden Grenze – 600.000 mehr als vor der Pandemie.

Angesichts der aktuell hohen Inflationsrate rechnet der Verband mit einer weiteren Verschärfung der Lage und fordert von der Bundesregierung ein zielgerichtetes Entlastungspaket für einkommensarme Haushalte. „Die Befunde sind erschütternd, die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie schlagen inzwischen voll durch“, sagte Hauptgeschäftsführer Ulrich Schneider. Noch nie habe sich die Armut in jüngerer Zeit so rasant ausgebreitet wie in der Pandemie.

Es sind wie in den Vorjahren auch schon Alleinerziehende, Familien mit mehr als drei Kindern oder Nicht-Erwerbstätige mit niedrigem Bildungsniveau überproportional stark von Armut betroffen. „Die Armut unter Kindern und Jugendlichen hat mit 20,8 Prozent wie die Armut allgemein eine neue traurige Rekordmarke erreicht. Gleiches gilt für ältere Menschen (17,4 Prozent) und Rentner*innen (17,9 Prozent), darunter vor allem Frauen. Altersarmut ist überwiegend weiblich“, heißt es im Bericht. Auffällig sei, dass unter den Erwerbstätigen in der Pandemie vergleichsweise mehr Selbständige als abhängig Beschäftigte unter die Armutsgrenze gerutscht sind.

Der Bericht beruht auf Zahlen des Statistischen Bundesamts. Armut wird in wohlhabenden Ländern wie Deutschland nicht über direkte Not wie Hunger oder Obdachlosigkeit definiert. Im Zentrum steht vielmehr die Frage, ob das Haushaltseinkommen für gesellschaftliche Teilhabe reicht. Die Armutsgefährdungsquote gibt dabei den Anteil der Bevölkerung an, der mit weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens auskommen muss.

SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert: "Es darf nicht sein, dass irgendwem das Gas abgedreht wird"

SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert verspricht, dass die nächsten Entlastungen gezielt bei Menschen ankommen, die es wirklich brauchen. Es werde jetzt auch darum gehen, dass es zu einem Verbot von Energiesperren kommt. "Es darf nicht sein, dass im nächsten Winter, wenn die Energie so teuer wird, dass irgendwem der Strom oder das Gas abgedreht wird, nur weil man ein oder zwei Abschläge nicht zahlen konnte." Das ganze Interview im Video.

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Diese Entlastungspakete hat die Regierung auf den Weg gebracht

Die Bundesregierung hat in diesem Jahr bereits einige Entlastungspakete auf den Weg gebracht, darunter ein Kinderbonus, der nun im Juli ausgezahlt wird, das 9-Euro-Ticket oder aber auch die 300-Euro-Energiepauschale, die im September ausgezahlt wird. Ebenfalls im Juli wird ein zusätzlicher Kindersofortzuschlag für ärmere Haushalte ausgezahlt.

Lese-Tipp: Alle Entlastungen, die noch im Sommer kommen, hier im Überblick

Auch die Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro soll Armut entgegenwirken. Der Paritätische Wohlfahrtsverband fürchtet allerdings: „Der im Oktober auf 12 Euro ansteigende Mindestlohn wird angesichts der Tatsache, dass von ihm zwar rund 6,2 Millionen Erwerbstätige, aber darunter nur 1,4 Millionen Vollzeitbeschäftigte profitieren werden, voraussichtlich nur sehr begrenzten Einfluss auf die Armutsentwicklung haben.“

Weitere Entlastungsmaßnahmen für Bürgerinnen und Bürger, wie zum Beispiel die von Olaf Scholz vorgeschlagene steuerfreie Einmalzahlung, könnten noch folgen. Die Opposition sieht das kritisch. „Ob die Idee wirklich gut ist, muss man in der Ausprägung sehen“, so CDU-Chef Friedrich Merz im RTL/ntv-Frühstart. „Und wenn der Staat den Versuch unternehme, wenigstens Teile der Nachteile der Inflation auszugleichen, „dann sollte er nicht einzelne Gruppen unserer Gesellschaft einfach vergessen, wie zum Beispiel Rentner und Studenten, die dann im gleichen Umfang Anspruch darauf hätten, entlastet zu werden“, so Merz weiter. (eku, mit dpa)

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