Die kleine Leni hat eine Hirn-Fehlbildung

"Mein Kind ist kein Monster!" Mutter über den Alltag mit schwerkranker Tochter (4)

Mama Janina Kaufmann und ihre kleine Tochter Leni Sophie.
Mama Janina Kaufmann und ihre kleine Tochter Leni Sophie. Das Mädchen wurde 2019 mit der seltenen Krankheit Lissenzephalie diagnostiziert.
Instagram/leni_sweetheart

von Jessica Bürger

„Schläfert eure Kinder doch ein!“ Dieser Kommentar über zwei behinderte Kinder in England sorgte vor wenigen Tagen für Entsetzen. Eines der Kinder hat Lissenzephalie, eine Krankheit, bei der das Gehirn keine Gehirnwindungen hat. Die Folgen sind eine geistige und körperliche Behinderung und eine geringe Lebenserwartung.

Auch Janina Kaufmann aus Geesthacht bei Hamburg liest von von den beiden Kindern in England und wendet sich daraufhin an RTL. Ihre Tochter Leni Sophie habe ebenfalls Lissenzephalie. Und sie stellt klar: „Mein Kind ist kein Monster!“

Mutter Janina Kaufmann ist von Anfang an um die kleine Leni besorgt

„Hier stimmt was nicht.“ Dieser Gedanke geistert Janina Kaufmann immer wieder durch den Kopf, als sie ihre neugeborene Tochter Leni Sophie in den Armen hält. Leni tut sich mit dem Trinken schwer und kann nicht gestillt werden, nimmt dadurch kaum zu und schreit den Tag über ununterbrochen. „Sie hatte auch einen relativ kleinen Kopf“, erinnert sich Kaufmann im Gespräch mit RTL, „aber darüber hat sich keiner Gedanken gemacht.“ Selbst als bei ihrer Tochter Zuckungen in den Beinen und den Augen auftreten, halten die Ärzte es noch für einen Wachstumsschub. Doch spätestens jetzt steht für Kaufmann fest: Leni muss ins Krankenhaus.

Und ihr „komisches Gefühl“, wie Kaufmann es beschreibt, trügt die junge Mutter nicht. „Die haben in der Notaufnahme sofort erkannt, dass Leni epileptische Anfälle hat“, sagt sie. Das Mädchen bekommt sofort Medikamente und später ein MRT. Die Diagnose reißt Kaufmann und ihrem Ehemann Benjaminden Boden unter den Füßen weg: Lissenzephalie. Das Gehirn ihrer erst vier Monate alten Tochter ist glatt, hat keine Gehirnwindungen, heißt es von den Ärzten. „Man erzählte uns, dass Leni blind und taub sei, niemals werde sprechen und laufen können und emotional nicht kontaktierbar sei“, so Kaufmann. Mit etwas Glück werde Leni drei Jahre alt.

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„Ich habe das gar nicht begriffen.“ Sie habe erst einmal googlen müssen, was Lissenzephalie sei, weil niemand ihr nähere Auskünfte gegeben habe. „Plötzlich hatten wir ein schwerbehindertes Kind!“ Die Diagnose und die Aussage der Ärzte, ihr Kind werde nicht sehr lange leben, stürzen das Ehepaar in ein „Loch“, Kaufmann selbst gesteht, sie habe um Leni richtig getrauert. „Man hat ja eine gewisse Vorstellung vom Leben mit seinem Kind, wenn man schwanger ist“, erklärt sie. Diese Träume zerplatzen dann mit einem Mal. „Man trauert um ein Kind, das noch da ist, aber nicht so, wie man es sich vorgestellt hat.“ Im ersten Jahr habe sie die ganze Zeit geglaubt: „Die stirbt gleich.“

Was genau ist Lissenzephalie?

Prof. Dr. Christoph Kleinschnitz klärt über die seltene Krankheit Lissenzephalie auf.
Prof. Dr. Christoph Kleinschnitz klärt über die seltene Krankheit Lissenzephalie auf.
MARTIN KAISER, Martin Kaiser / Medienzentrum UK Essen, Medienzentrum UK Essen

„Lissenzephalie ist eine Entwicklungsstörung der Gehirnrinde“, erklärt Prof. Dr. Christoph Kleinschnitz vom Uniklinikum Essen im RTL-Interview. Übersetzt bedeute es „flaches Gehirn“ und sei eine der schwersten Arten von Missbildung, die die Gehirnrinde betreffe. „Die Rinde ist das Elementarste unseres Gehirns, dort sitzen die allermeisten Nervenzellen“, so Kleinschnitz. Dortige Missbildungen seien Ursachen schwerer geistiger Entwicklungsstörungen und Epilepsie, wie eben bei der Lissenzephalie.

Genaue Zahlen zu der Erkrankung gibt es leider kaum. Die Krankheit sei früher häufig falsch identifiziert worden, sagt Kleinschnitz. Dann sei eher ein „Sauerstoffmangel bei der Geburt“ diagnostiziert worden. „Ich gehe von zehn Betroffenen pro einer Millionen Kinder aus“, so Kleinschnitz. Das belegen auch Studien aus Holland und den USA.

In 80 Prozent der Erkrankungen sei eine genetische Störung die Ursache, manchmal können aber auch virale Infektionen während der Schwangerschaft oder Durchblutungsstörungen Grund der Störung sein. Wenn die Krankheit nicht bereits während der Schwangerschaft diagnostiziert werde, – zum Beispiel durch einen Ultraschall, – dann spätestens durch eine Sonografie oder einem MRT nach der Geburt, wenn das Kind die ersten Symptome zeige. „Dazu gehören epileptische Anfälle, eine Trinkschwäche oder Probleme bei der Atmung“, so Kleinschnitz. Und tatsächlich sei die Lebenserwartung von Kindern mit Lissenzephalie nicht sehr hoch. Die Kinder werden maximal zehn Jahre alt, sagt er, je nachdem, wie ausgeprägt die Krankheit sei.

Kleinschnitz betont: „Es ist eine schwerste, neurologische Krankheit ohne ursachliche Therapie.“ Eltern benötigen definitiv psychologische Unterstützung und sollten eine genetische Beratung in Betracht ziehen - vor allem, wenn sie noch weitere Kinder bekommen wollen.

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Der Alltag der Kaufmanns ist "rappelvoll"

Leni Sophie
Die kleine Leni Sophie hat Lissenzephalie. Ihre Mutter versucht auf Instagram über die Krankheit ihrer Tochter aufzuklären.
Instagram/leni_sweetheart

Doch Leni zeigt ihrer Mama, dass sie Kampfgeist besitzt und „nicht gleich stirbt“, wie Kaufmann es befürchtet hat. Seit diesem Schicksalstag im August 2019 sind mittlerweile nämlich über drei Jahre vergangen – und Leni lebt noch immer. Sie ist nicht taub, wie der Arzt damals behauptet hat und auch emotional kann die 4-Jährige sich ausdrücken. „Leni lacht viel und zeigt mir ständig, was sie blöd findet“, sagt Kaufmann. Sie habe Kinder mit der gleichen Erkrankung gesehen, die durchaus Wörter sprechen und etwas laufen können. Das kann Leni zwar beides nicht, das hält sie aber nicht davon ab, neuerdings auch den Kindergarten zu besuchen, wo sie sich richtig wohlfühlt. Kaufmann ist begeistert, wie Leni in der Gruppe integriert wird, überall mit hinfahren kann und draußen mit ihren Freunden spielt. Als das Mädchen vor Kurzem an dem RS-Virus erkrankt und nicht in den Kindergarten kann, fordern ihre Freunde sogar ein Freundebuch ein. „Sie meinten, Leni müssen ihre Freunde ja auch sehen können, wenn sie nicht in den Kindergarten kommen kann“, erzählt Kaufmann.

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Das ist die eine Seite von Lenis Geschichte, die andere Seite wiederum beinhaltet vor allem viele Therapien und Stolpersteine, mit denen die Familie auch nicht gerechnet hat. Zum Beispiel, dass Leni, seit sie anderthalb ist, über eine Magensonde ernährt werden muss. Und der Alltag allgemein sei „rappelvoll“, wie Kaufmann sagt. „Man kann nie ausschlafen, die Medikamente müssen ja pünktlich gegeben werden“, erzählt sie, „und aktuell vergisst sie nachts manchmal zu atmen.“ Dann schlage der Überwachungsmonitor Alarm, der unter anderem Lenis Herzfrequenz und den Sauerstoffgehalt in ihrem Blut überwacht. Wenn der Pflegedienst ihrer Tochter nicht da ist, schauen dann Mama oder Papa nach Leni.

Das Mädchen bekommt außerdem Logopädie und Physiotherapie, übt seine Mundmotorik und sein Sehvermögen. Die Augen seien anatomisch in Ordnung, so Kaufmann, doch die Weiterleitung der Reize funktioniere nicht. Um das zu verbessern, muss Leni ihre Nerven trainieren.

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Böse Kommentare: Leni solle früh sterben, damit die Kaufmanns sich nicht an sie gewöhnen

Wenn so viele Termine auf der Tagesordnung stehen, bleibt für ein soziales Leben der Eltern jedoch wenig Zeit. Da Leni immer wieder epileptische Anfälle hat, muss sie ständig unter Beobachtung stehen. Dazu gehört auch der sogenannte „Kinderintensivpflegedienst. Der passt auf, dass Leni sich nicht verschluckt, gibt ihr Medikamente und hilft bei epileptischen Anfällen und anderen Notfällen. Er begleitet Leni außerdem zum Kindergarten und passt nachts auf sie auf.

„Dann können wir auch mal essen gehen“, sagt Kaufmann. Ansonsten kommen Freunde eben zu ihnen. Und Kaufmann ist ehrlich: „Es ist schwer für eine Ehe, wenn sich alles nur um das Kind dreht.“ Der Tag sei einfach sehr eingeschränkt. Aktuell sei es so, dass einer von ihnen auf Leni aufpasse und der andere etwas unternimmt, sagt Kaufmann.

So geschockt Kaufmanns Familie und Freunde über Lenis Diagnose jedoch auch waren, so viel Verständnis bringen sie der Familie entgegen. Natürlich haben sie akzeptieren müssen, dass manche Bekanntschaften auseinandergehen, so Kaufmann. „Aber deren Leben geht in die eine Richtung, unseres in eine andere Richtung weiter.“ Solch böse Kommentare, wie das Ehepaar aus England ertragen muss, hat sie allerdings nie erfahren. „Wir haben einen doofen Kommentar damals gehört“, erinnert Kaufmann sich. „Man würde uns wünschen, dass das Kind früh sterben wird, damit wir uns nicht an es gewöhnen.“ Das sei aber auch schon alles gewesen. Viel öfter werden sie angepöbelt, wenn Menschen denken, sie blockieren einen Behindertenparkplatz. „Es sieht eben etwas komisch aus, wenn zwei gesunde Erwachsene aussteigen.“

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"Jedes Kind schreibt eben seine eigene Geschichte"

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Mama Janina, Töchterchen Leni Sophie und Papa Benjamin. Lenis Eltern versuchen der Vierjährigen "ein schönes Leben zu bescheren".
Instagram/leni_sweetheart

Viel schwerer sei, dass es kaum Betroffene mit L. gibt und die, die es gibt, weit von den Kaufmanns entfernt leben. Der Kontakt sei meist nur über WhatsApp und Telefon möglich. „Manchmal weint Leni und wir wissen nicht wieso. Da fühle ich mich hilflos und wütend und wenn ich dann jemanden hätte, mit dem ich reden kann, wäre toll.“

Ein Ort, an dem sie Unterstützung erfährt, ist Lenis Instagram Account. Den hat ihr Vater am Tag ihrer Diagnose angelegt. „Wir hatten keine Kraft, jedem Einzelnen zu erzählen, was mit Leni los ist“, erinnert sich Kaufmann. Auf Instagram haben es sich alle einfach durchlesen können. Was jedoch für Familie und Freunde gedacht gewesen ist, wird nach und nach immer größer – mittlerweile hat der Account über 2.000 Follower. Viele davon machen genau das Gleiche durch wie Kaufmanns, die Betroffenen unterstützen sich und spenden sich Trost. „Das war anfangs wie eine Therapie für mich“, sagt Kaufmann.

Mittlerweile dient der Account aber auch der Transparenz. „Wir wollen offen mit Lenis Krankheiten umgehen, auch mit den Problemen, mit denen wir uns konfrontiert sehen“, so Kaufmann. Deshalb sind dort nicht nur die mutmachenden Posts von Lenis erstem Kita-Tag zu sehen, sondern auch Leni in der Klinik während ihrer RSV-Erkrankung. Es gibt Beiträge von der überquellenden Medikamenten-Schublade und dem piepsenden Vitamonitor, genauso wie von einer lachenden Leni und ihrer Mama. „Mein Kind ist kein Monster“, sagt Kaufmann. Ja, sie brauche viel Aufmerksamkeit, aber: „Wir versuchen das Beste daraus zu machen und bescheren ihr ein schönes Leben. Jedes Kind schreibt eben seine eigene Geschichte.“ So auch Leni, auch wenn ihre Geschichte nun anders verläuft, als ihre Mutter anfangs geglaubt hat.

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