Anwältin: Schüler haben neues Gutachten vom Taschengeld bezahlt Manfred Genditzki saß 13 Jahre unschuldig im Gefängnis

von Ulrich Vonstein und Monika Krause

Was haben die Atomkatastrophe von Fukushima, der deutsche WM-Titel im Fußball und der Tod von Helmut Kohl gemeinsam? Manfred Genditzki hat jedes dieser historischen Ereignisse im Gefängnis erlebt, obwohl er eigentlich ein freier Mann hätte sein müssen. Das ist durch das Urteil des Landgerichts München I im Prozess um den sogenannten „Badewannen-Mord“ seit heute offiziell.

Richterin: „Es gibt keine Anhaltspunkte für ein Tötungsdelikt“

„Jetzt ist es so weit Herr Genditzki, jetzt haben sie den Urteilstenor, auf den sie über 13 Jahre lang gewartet haben“, sagte Richterin Elisabeth Ehrl am Schlusstag des Prozesses.

Genditzkis Töchter und seine Schwestern brachen nach dem Urteil in Tränen aus, lagen sich weinend in den Armen. Der Freigesprochene selbst „wirkt, als könne er es nicht glauben“, berichtet RTL-Reporterin Monika Krause aus dem Gerichtssaal..

Der Fall beschäftigt die bayrische Justiz seit Jahren. Es geht um den Tod einer alten Frau in einer Badewanne im oberbayerischen Rottach-Egern. Bis heute ist ungeklärt, ob es überhaupt ein Verbrechen gab oder die Dame nicht vielmehr durch einen tragischen Unfall ums Leben kam.

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Der heute 63-jährige Genditzki war Hausmeister in der Wohnanlage der Getöteten. 2010 verurteilte ihn das Landgericht München zu lebenslanger Haft. Nach Überzeugung des Schwurgerichts hatte er die Seniorin im Oktober 2008 in deren Wohnung nach einem Streit auf den Kopf geschlagen und dann in der Badewanne ertränkt. Manfred Genditzki hat diese Vorwürfe immer bestritten.

Seine Anwältin Regina Rick sammelt Geld, gibt damit neue Gutachten in Auftrag. Und die erklären alles ganz anders: Mit großer Wahrscheinlichkeit sei die Seniorin selbst in ihre volle Badewanne gestürzt, sagen sie. „Dass Privatleute für die Fehler so einer Justiz geradestehen müssen, das ist doch ein Unding. Da haben Schüler 30 Euro von ihrem Taschengeld sich abgeknapst um diese Gutachten bezahlen zu können“, erklärt Rick am Freitag. Mit Erfolg.

Denn der Tatablauf hat sich nach Ansicht des Gerichts nicht bestätigt. Die alte Dame neigte zu Stürzen, so die Richterin. Für sie steht fest: Die Frau ist durch einen Unfall ums Leben gekommen! „Es gibt keine Anhaltspunkte für ein Tötungsdelikt“ sagte sie.

„Hat überhaupt eine Tat stattgefunden?“

Manfred Genditzki saß 4.915 Tage zu Unrecht in Haft. „Das ist eine Tragödie, die sich kaum in Worte fassen lasst“, so Gerichtssprecher Laurent Lafleur.

Nach jahrelangem Kampf um ein Wiederaufnahmeverfahren war im April ein neuer Prozess gestartet. In dem neuen Verfahren entlasteten Gutachter den inhaftierten Mann. Laut einem biomechanischen Gutachten könnte die Seniorin in die Wanne gestürzt sein, sich den Kopf angeschlagen haben und ertrunken sein.

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Laut einem anderen Gutachten starb die alte Frau mit sehr großer Wahrscheinlichkeit deutlich nach dem seinerzeit von der Staatsanwaltschaft angenommenen Tatzeitraum. „Hat überhaupt eine Tat stattgefunden?“ - das sei die entscheidende Frage, hatte Staatsanwalt Michael Schönauer in seinem Schlussplädoyer gesagt.

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Anwältin: „Wenn ich nach über 20 Jahren Strafverteidigung noch ein Herz hätte, würde es manchmal brechen“

Genditzki
Manfred Genditzki mit seiner Tochter nach der Haftenrlassung
SpiegelTV

Genditzkis Verteidigerin Regina Rick sagte kurz vor dem Urteil, sie sei „erschöpft“, der Fall sei „ein jahrelanger Marathon“ für sie gewesen. Sie habe „vom ersten Moment an seine Unschuld geglaubt. Das ging ja damals schon aus den Akten hervor“. Weiter sagte sie: „Man verliert schon ein wenig die professionelle Distanz. Wenn ich nach über 20 Jahren Strafverteidigung noch ein Herz hätte, würde es manchmal brechen“, so die Juristin. „Was dieser Mann durchgemacht hat, tut mir leid.“

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Manfred Genditzki steht eine Haftentschädigung von 368.400 Euro (75 euro pro Hafttag) zu. 13 Jahre geraubte Freiheit kann er sich davon nicht zurückkaufen. (mit Material von dpa)