„Ich bin unschuldig, das war’s!“

Angeblicher Badewannen-Mord: Saß ER 13 Jahre unschuldig im Gefängnis?

03.07.2023, Bayern, München: Manfred Genditzki (l) steht vor Prozessbeginn im Wiederaufnahmeverfahren um den sogenannten Badewannen-Mordfall zusammen mit seinen Anwälten Regina Rick (M) und Klaus Wittmann im Gerichtssaal. Das Landgericht München II hatte Genditzki 2010 wegen Mordes zu einer lebenslangen Gefängnisstrafe verurteilt. Er wurde im August 2022 nach 4912 Tagen aus der Haft entlassen, weil es erhebliche Zweifel daran gibt, dass er den Mord tatsächlich begangen hat. Foto: Sven Hoppe/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Wie jeden Prozesstag trägt Manfred Genditzki ein weißes Hemd - die Farbe der Unschuld?
shp, dpa, Sven Hoppe
von Monika Krause

Aufatmen im Gerichtssaal: Der Staatsanwalt fordert im Verfahren um Manfred Genditzki einen Freispruch. Die Erleichterung im Zuschauerraum, in dem auch die Ehefrau und Angehörige des Angeklagten sitzen, ist regelrecht spürbar.
Der heute 63-Jährige saß über 13 Jahre lang im Gefängnis - für einen Mord, den es wohl nie gab.

Zweifel daran, ob es überhaupt eine Straftat gab

In der mittlerweile dritten Hauptverhandlung um den sogenannten „Badewannen-Mord“ von Rottach-Egern fordert die Staatsanwaltschaft in ihrem Schlussvortrag, den Angeklagten freizusprechen. Außerdem soll Genditzki finanziell entschädigt werden für die Zeit, die er in Untersuchungs- und Strafhaft verbrachte – ganze 4912 Tage.

In seinem Plädoyer betonte der Staatsanwalt, dass es nicht um die Frage gehe, ob Genditzki wirklich der Täter war, sondern ob „überhaupt eine Tat stattgefunden“ hat. Anders als in den ersten beiden Prozessen wäre man heute dank neuer Technologien auf einem ganz anderen Wissensstand. Heute weiß man, dass ein Sturzgeschehen als sehr wahrscheinlich gilt.

Damaliger Gutachter: „Das ist kein Sturzgeschehen“

Manfred Genditzki rückte nach dem Tod einer 87-jährigen Frau im Jahr 2008 schnell in den Fokus der Ermittler. Aus Sicht der Beamten sprachen damals viele Indizien für ihn als Täter. Handfeste Beweise gab es allerdings keine. Ein Gutachter, der damals zum vermeintlichen Tatort gerufen wurde, fand vorerst keine zwingenden Anhaltspunkte für die Mitwirkung fremder Hand, ein Sturzgeschehen konnte nicht ausgeschlossen werden.

Nur einige Wochen später bestellte ihn eine Kriminalbeamtin erneut ein. Dieses Mal zeigte sich der Gutachter plötzlich überzeugt: „Das ist kein Sturzgeschehen“, zitiert ihn die Beamtin vor drei Wochen bei ihrer Zeugenaussage. Der Gutachter soll sich absolut sicher gewesen sein, sonst hätte man nicht wegen eines Tötungsdeliktes ermittelt.

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Doch wie kam es zu dieser Überzeugung? Der Gutachter schaute sich die Badewanne genauer an und machte selbst einige „Sturzversuche“. Natürlich nicht mit voller Wucht, so die Beamtin, da es dabei zu Hämatomen oder ähnlichem hätte kommen können. Dass sich die verstorbene Dame damals bei einem solchen Sturz entsprechende Verletzungen am Kopf hätte zuziehen können, wurde allerdings ausgeschlossen.

Heute werden solche „Sturzversuche“ glücklicherweise von der Technik übernommen. Eine punktgenaue Computersimulation der Uni Stuttgart zeigt, dass es sehr wohl möglich ist, dass die ältere Dame selbstverschuldet in die Wanne gefallen ist. Zudem lässt sich anhand eines thermodynamischen Verfahrens der Todeszeitpunkt auf einen späteren Zeitpunkt festlegen, zu dem der Angeklagte ein Alibi hat.

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„Sie wollte nicht in die Badewanne“

Eine Frage, die im Laufe des Prozesses immer wieder aufploppte: Wieso wollte die verstorbene Dame überhaupt in die Badewanne? Laut Zeugenaussagen hätte sie wohl nie freiwillig ein Vollbad genommen. Ein alleiniger Einstieg in die Badewanne wäre für die gebrechliche Dame wohl auch zu gefährlich gewesen. Damals aus Sicht der Polizei ein Indiz dafür, dass eine fremde Hand im Spiel gewesen sein muss.

Aber geht es überhaupt darum, ob sie baden wollte? Immerhin war das Todesopfer zum Auffindezeitpunkt voll bekleidet. Zudem nahm die Dame gerne Fußbäder und wollte dafür möglicherweise Wasser einlassen. Oder wollte sie – das solle eine ihrer Angewohnheiten gewesen sein – dreckige Wäsche einweichen? Dafür würde zumindest ein Wäschekorb sprechen, der damals im Flur ihrer Wohnung stand.

Überprüft wurde diese Wäsche von den damaligen Kriminalbeamten allerdings nicht. Nur einer von vielen Fehlern, den die Ermittler im Jahr 2009 machten. Fehler, die Genditzki bis heute ausbaden muss.

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„Es gibt nur eine Wahrheit“

Manfred Genditzki nach seiner Entlassung mit seiner Anwältin Regina Rick.
August 2022: Manfred Genditzki nach seiner Entlassung aus der JVA Landsberg mit Anwältin Regina Rick.
Hans Holzhaider, Hans Holzhaider

Verteidigerin Regina Rick kämpft seit Jahren für die Unschuld ihres Mandanten. Dass sie den Fall überhaupt bis zur Wiederaufnahme gebracht hat, ist hinsichtlich der strengen Regularien des deutschen Justizsystems bemerkenswert.

„Man hat eine Realität geschaffen, die es nie gab!“, sagt sie in ihrem Plädoyer über die damaligen Ermittlungen. Sie erwarte einen lupenfreien Freispruch für ihren Mandanten. „Es gibt nur eine Wahrheit: Herr Genditzki war es nicht.“

Diesen Worten schließt sich auch Genditzki selbst an und nutzt seine letzten Worte vor Gericht, um Danke zu sagen. Zuerst bedankt er sich bei der Strafkammer, die ihm zum ersten Mal zeigte, dass sich doch jemand für die Wahrheit interessiere. Danach bedankt er sich bei seiner Ehefrau, seinen Kindern und Geschwistern, die alle so lange durchgehalten haben. Auch bei seinen beiden Verteidigern bedankt er sich, besonders bei Frau Rick. „Ich bin unschuldig, das war’s“, fügt er zum Schluss hinzu.

Am Freitag soll das Urteil verkündet werden.