Anwältin glaubt an FreispruchJustizskandal? Freigelassener Manfred Genditzki sammelt Überstunden für neuen Mord-Prozess

Manfred Genditzki nach seiner Entlassung mit seiner Anwältin Regina Rick.
Manfred Genditzki nach seiner Entlassung aus der JVA Landsberg mit Anwältin Regina Rick.
Hans Holzhaider, Hans Holzhaider
von Monika Krause

13 Jahre lang saß er möglicherweise unschuldig im Gefängnis. Zwei Mal wurde Manfred Genditzki bereits wegen Mordes an einer älteren Dame verurteilt, obwohl die Beweislage mehr für als gegen ihn spricht. Davon ist seine Anwältin überzeugt, die über zehn Jahre lang für ihren Mandanten gekämpft hat und das fast Unmögliche möglich gemacht hat: Die Wiederaufnahme wurde zugelassen, der Fall wird neu verhandelt.

Genditzki-Anwältin dankt Spendern

Am 26. April geht damit der aufsehenerregende Strafprozess um Manfred Genditzki in die dritte Runde. Der 63-Jährige wird erneut auf der Anklagebank sitzen, 20 Prozesstage sind geplant. Damit sein Arbeitgeber ihn für diese Zeit nicht freistellen muss, sammelt er aktuell fleißig Überstunden.

Eine Woche vor Prozessauftakt berichtet seine Rechtsanwältin Regina Rick vom aktuellen Stand der Dinge. Sie bedankt sich ausdrücklich bei den Spendern, ohne die der Kampf gegen das deutsche Justizsystem in der Form nicht möglich gewesen wäre. Mit den Spendern sind Privatleute, aber auch Schüler gemeint, die zum Teil 30 Euro vom Taschengeld abgezwickt haben. Nur so konnten die teils sehr kostspieligen Gutachten in den vergangenen Jahren finanziert werden.

2010 wurde Genditzki wegen Mordes an einer 87-jährigen Frau verurteilt. Die Seniorin wurde im Oktober 2008 leblos in ihrer Badewanne aufgefunden, ein Unfallgeschehen konnte laut eines damaligen Rechtsmediziners ausgeschlossen werden.

„Er weiß ja, dass er es nicht getan hat“

Rechtsanwältin Regina Rick bei der Pressekonferenz
Rechtsanwältin Regina Rick bei der Pressekonferenz am Mittwoch.
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Aufgrund der neuen und entlastenden Erkenntnisse konnte die Anwältin im vergangenen Jahr die Wiederaufnahme des Verfahrens erreichen. Weil kein dringender Tatverdacht mehr gegen Genditzki bestand, wurde er umgehend aus dem Gefängnis entlassen. Seitdem lenkt er sich vor allem mit seiner Arbeit in einer Naturkäserei ab.

„Für Herrn Genditzki war die Arbeit ja immer sehr wichtig, auch im Gefängnis. Die hat ihn aufrecht erhalten“, so seine Anwältin. Er sei ein sehr strukturierter, fleißiger Mann und bereite sich auf den Prozess vor allem dadurch vor, dass er Überstunden macht und den Urlaub aufspart, damit er die 20 Verhandlungstage anwesend sein kann. Freistellen lassen wollte sich Genditzki nicht, da er schließlich das Geld für seine Familie verdienen müsse, die wirtschaftlich schon genug gelitten habe.

Eine tiefergehende Vorbereitung auf den Prozess sei für den Angeklagten nicht erforderlich, sagt Regina Rick: „Er weiß ja, dass er es nicht getan hat.“

Lesetipp: Manfred Genditzki über sein Leben nach über 13 Jahren Gefängnis

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Ein Fehler im System

RTL-Reporterin Monika Krause bei der Pressekonferenz.
RTL-Reporterin Monika Krause im Gespräch mit Regina Rick.
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Der Weg bis hierhin war lang, Wiederaufnahmeverfahren sind im deutschen Justizsystem eine Seltenheit. Nachdem der Antrag auf Zulassung der Wiederaufnahme erst abgelehnt wurde, legte die Anwältin sofortige Beschwerde ein. Das Oberlandesgericht München verpflichtete die Strafkammer dazu, sich die Sache doch genauer anzuschauen. Jetzt ist dieselbe Strafkammer für die anstehende Hauptverhandlung zuständig.

Genau hier sieht die Anwältin einen systemischen Fehler: Ist die Meinung der Beteiligten damit nicht schon festgefahren? Auf die Frage, ob diese Tatsache der Anwältin nicht Bauchschmerzen bereitet, betont Rick, dass sie ein gutes Gefühl habe: „Ich hatte den Eindruck, dass diese Richter zuhören und genau prüfen und wissen wollten. Ich hoffe, das bleibt auch so.“

Für die neue Hauptverhandlung sind 20 Verhandlungstage angesetzt – mehr als in den bisherigen Prozessen. Das Verfahren wird komplett neu aufgerollt, die alte Mordanklage wird verlesen und alle bisherigen Zeugen werden erneut angehört. Dieses Mal soll der Prozess allerdings ein anderes Ende finden.

„Das ist meine Überzeugung, dass es keine Möglichkeit mehr gibt, wie und wann Herr Genditzki das noch getan haben soll, was ihm vorgeworfen wurde und immer noch wird.“

Der Anwältin und ihrem Mandanten stehe ein langes und anstrengendes Verfahren bevor. Nach zehn Jahren des Kampfes müssen sie nochmal weiterkämpfen und von vorne anfangen, so Rick.

Möglicher Justizirrtum: Alibi vorhanden, Motiv fehlt

Genditzki, der damals in der Wohnanlage als Hausmeister tätig war und sich lange Zeit fürsorglich um die ältere Frau kümmerte, stand nach ihrem Tod plötzlich unter Mordverdacht. Obwohl weder ein Tatmotiv noch DNA-Spuren vorlagen, zeigte sich das Gericht von seiner Schuld überzeugt und verkündet schließlich im Mai 2010 das Mordurteil.

Ein Urteil, dass durch die neuen Gutachten so wohl nicht mehr gestützt werden kann. So konnte unter anderem der Todeszeitpunkt der älteren Dame genauer berechnet werden. Zu diesem Zeitpunkt soll der Angeklagte allerdings ein Alibi haben. „Im Übrigen hat er kein Motiv“, so Regina Rick.

Sollte Manfred Genditzki, wie von seiner Anwältin erwartet, freigesprochen werden, steht ihm für die Zeit im Gefängnis eine finanzielle Entschädigung zu. Pro Tag werden 75 Euro gezahlt, hinzu kommen Entschädigungen für materielle Schäden, wie den Verdienstausfall. Weil Genditzki fast 5.000 Tage in Haft war, würde das eine Summe von etwa 368.000 Euro ergeben.

Ein kleiner, aber auch schwacher Trost. Immerhin kann er die wertvolle Lebenszeit, die ihm genommen wurde, nie wieder aufholen.