DIW-Ökonomen rechnen vor: So schaffen wir den Winter ohne russisches Gas

"Die deutsche Bundesregierung ist sehr pessimistisch"

30.03.2022, Berlin: Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, verlässt in seinem Ministerium eine Pressekonferenz zur Energiesicherheit in Deutschland. Die Bundesregierung bereitet sich vor dem Hintergrund des russischen Kriegs gegen die Ukraine auf eine erhebliche Verschlechterung der Gasversorgung vor. Habeck rief deswegen die Frühwarnstufe des Notfallplans Gas aus. Die Versorgungssicherheit sei weiter gewährleistet. Foto: Kay Nietfeld/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Debatte über Energiesicherheit in Deutschland
nie cul, dpa, Kay Nietfeld

Laut einer aktuellen Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) könnte Deutschland bereits diesen Winter ohne russische Gas-Importe auskommen. Führende Ökonomen widersprechen damit der Aussage von Bundeswirtschaftsminister Habeck (Grüne), wonach Deutschland noch bis Mitte 2024 brauche, um von Russlands Gas unabhängig zu werden.
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Studie widerspricht Gas-Plänen der Bundesregierung

In der Debatte um die Energiesicherheit in Deutschland gibt es neue Berechnungen, die bereits in diesem Jahr eine Unabhängigkeit vom russischen Erdgas vorhersagen. Laut der DIW-Studie müssten dafür zwei Bedingungen erfüllt sein.

„Wenn Einsparpotenziale maximal genutzt und gleichzeitig die Lieferungen aus anderen Erdgaslieferländern so weit wie technisch möglich ausgeweitet werden, ist die deutsche Versorgung mit Erdgas auch ohne russische Importe im laufenden Jahr und im kommenden Winter 2022/23 gesichert“, heißt es in einer Erklärung des Instituts. Bundeswirtschaftsminister Habeck rechnet bislang nicht vor Mitte 2024 mit einem Ende der russischen Gaslieferungen.

Der Anteil russischer Lieferungen beim Gas ist nach jüngsten Angaben der Bundesregierung inzwischen auf gut 40 Prozent gesunken – nach zuvor etwa 55 Prozent. Das DIW hat verschiedene Szenarien durchgerechnet, wie es ohne diese Lieferungen gehen könnte.

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"Deutliches Wachstumspotenzial" bei Flüssiggas aus Norwegen und den Niederlanden

Um schon 2022 unabhängig von russischen Erdgas-Importen zu werden, müsse Deutschland verstärkt auf andere Anbieter setzen. Hier erkennt das Institut „deutliche Wachstumspotenziale“.

Demnach könnte mehr Flüssiggas aus Norwegen und den Niederlanden sowie über Terminals der Nachbarländer bezogen werden. Zudem könnten schwimmende Terminals für Flüssigerdgas an der deutschen Küste genutzt werden. Deutschland könne über virtuellen Handel auch mit Terminals in Südeuropa verbunden werden.

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"Bau von festen Terminals in Deutschland nicht sinnvoll"

Der Bau von festen LNG-Terminals in Deutschland sei jedoch nicht sinnvoll, betonte das Institut. Ihr Bau dauere zu lange, zudem sinke mittelfristig der Erdgasbedarf.

Damit stellen sich die DIW-Experten gegen die Pläne der Bundesregierung, die den Bau des ersten deutschen Flüssiggas-Terminals in Brunsbüttel in Schleswig-Holstein mit Milliardenmitteln unterstützt.

Erdgasverbrauch muss gesenkt werden

„Bei einem Wegfall der bisherigen Erdgasimporte aus Russland wird es notwendig sein, den Erdgasverbrauch zu senken“, begründet das DIW notwendige, große Einsparungen. Demnach seien somit 18 bis 26 Prozent weniger Erdgasverbrauch möglich.

Privathaushalte sollen etwa weniger stark heizen als gewohnt und weniger Warmwasser verbrauchen, die Industrie Wärme mit Strom, Kohle oder Biomasse erzeugen. Die Wirtschaftsforscher gehen davon aus, dass die Industrie ihren Erdgasverbrauch um bis zu einem Drittel senken kann. Dabei würde die Produktion allerdings vorübergehend deutlich sinken. Für stark betroffene Unternehmen und einkommensschwache Haushalte müsse es finanzielle Hilfen geben, hieß es. Am Freitag hat die Bundesregierung ein milliardenschweres Wirtschaftspaket vorgestellt.

Energieexpertin: "Wir können mehr"

„Wenn das deutsche Energiesystem schnell angepasst wird, könnte im Lauf des Jahres 2022 der Wegfall russischer Erdgasexporte kompensiert und die Energieversorgung im kommenden Winter gesichert werden“, fasst das Institut zusammen. Dafür sei es auch notwendig, die deutschen Erdgasspeicher wie geplant vor Beginn der Heizperiode zu 80 bis 90 Prozent aufzufüllen.

Die Energieexpertin Claudia Kemfert ist eine der Verfasserinnen der DIW-Studie. „Wir denken, dass die deutsche Bundesregierung sehr pessimistisch ist. Wir haben sehr intensiv alle Daten und alle Pipelines überprüft und festgestellt: Wir können mehr“, so die Ökonomin gegenüber RTL/ntv. (dpa/tho)

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