Politikwissenschaftler spricht von einmaligen Vorgang in der Geschichte der BRD

Anne Spiegels Entschuldigung - Experte: "Dieses Statement ist ein Dreifach-Scheitern"

Sichtlich angeschlagen tritt Familienministerin Spiegel vor die Presse, um ihren Urlaub nach der Flutkatastrophe zu erklären. Sie räumt persönliche Fehler und falsche Angaben ein. Ihre Begründung, dass sie wenige Tage nach der Flutkatastrophe in einen vierwöchigen Urlaub startete: Ihre Familie habe den Urlaub gebraucht, weil „mein Mann nicht mehr konnte.“ Zu Forderungen nach ihrem Rücktritt äußert sie sich nicht.
Es ist schon ein bemerkenswertes Statement, das auch die Frage aufwirft: Wie gefordert und überfordert sind unsere Politiker? Und es wirft zudem die Frage auf: Wenn die Situation so war, wie sie Spiegel schildert: Warum nimmt sie dann noch ein Bundesamt an, was ganz sicher noch mehr Stress und noch mehr Belastung mit sich bringt?

Von Lucke: Spiegel werde in Kürze zurücktreten müssen

Der Politikwissenschaftler Albrecht von Lucke spricht im RTL/ntv-Interview von einem historisch einzigartigem Dokument, was es so seiner Meinung nach in der Geschichte der Bundesrepublik noch nicht gegeben habe. Es sei ein Zeugnis des Dreifach-Scheiterns – einen baldigen Rücktritt Spiegels hält er für unvermeidlich.

„Es ist zunächst einmal ein zutiefst privates Drama, dass sich hier eine Frau völlig überfordert hat und übrigens schon seit 2019, wie sie schildert.“ Spiegels Mann erlitt in diesem Jahr einen Schlaganfall. Das zweite Scheitern von Anne Spiegel beginnt laut Lucke mit diesem Zeitpunkt. „Das Absurde und da beginnt das Zweite, das völlige politische Scheitern: Diese Tatsache einer totalen privaten Überforderung hat Frau Spiegel nicht davon abgehalten, politisch gleich drei Ämter zu übernehmen, nämlich neben dem schon hinreichend wichtigen Familienministerium in Rheinland-Pfalz, das Klima-Ministerium, das Umweltministerium also, das dann in der Krise fundamental in die Verantwortung geriet. Und nebendran noch die Spitzenkandidatur zu den damaligen Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz.“ Das habe dazu geführt, dass sie auch jetzt in ihrem neuen Amt als Ministerin in der Familienpolitik offensichtlich nicht in der Lage sei, das Amt zu führen.

Und der dritte Fehler nach Ansicht des Politikwissenschaftlers ist, dass sich Spiegel selbst in dieser Situation nicht zu einem Rücktritt durchringt. „Wenn man in einer solchen Situation die einzige Chance hat, einzusehen, dass man sich maximal überfordert hat, dann hätte man die Möglichkeit, hätte sie die Möglichkeit gehabt, einen guten Abgang zu finden, alles zu erklären, auch eine Größe zu zeigen.“, so Lucke.

Insofern hält er den Rücktritt in kürzester Zeit für zwingend. „Der Druck wird maximal wachsen. Sie wird in Kürze von ihrem Amt zurücktreten müssen.“

"Es war zu viel. Das hat uns als Familie über die Grenze gebracht“

Spiegel hatte am Sonntagabend in ihrer emotionalen Erklärung detailliert ihre privaten Beweggründe für einen vierwöchigen Urlaub während der Flutkatastrophe dargelegt. Sie räumte ein, sich selbst mit einer Häufung von Ämtern überfordert zu haben. Zuerst habe sie sich entschlossen, neben ihrem Amt als Familienministerin in Rheinland-Pfalz die Spitzenkandidatur für die Landtagswahl zu übernehmen. Als Fehler bezeichnete sie, dass sie dann ab Januar 2021 auch noch das Umweltministerium geschäftsführend übernommen habe, mit dem sie dann später mitverantwortlich für die Bewältigung der Flutkatastrophe wurde. „Ich habe diese Aufgabe sehr ernst genommen, und es war zu viel. Das hat uns als Familie über die Grenze gebracht“, räumte Spiegel ein.

Die Entscheidung für den Urlaub sei eine schwere Abwägung zwischen ihrer Verantwortung als Ministerin und der Verantwortung als Mutter mit vier kleinen Kindern gewesen, die nicht gut durch die Corona-Pandemie gekommen seien. Während ihres Urlaubs sei sie immer erreichbar gewesen, habe Telefonate geführt und sich informiert. „Wenn es irgendeinen Anlass gegeben hätte, den Urlaub abzubrechen, dann hätte ich das sofort getan“, sagte Spiegel.

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Falsche Angaben zur Teilnahme an Kabinettssitzungen

Die Familienministerin musste aber Angaben korrigieren, die sie am Samstag gegenüber der „Bild am Sonntag“ gemacht hatte. Anders als ursprünglich mitgeteilt, habe sie sich nicht aus dem Urlaub zu den Kabinettssitzungen zugeschaltet. Die Sitzungen seien zwar in ihrem Kalender verzeichnet gewesen. Eine Überprüfung der Kabinettsprotokolle habe aber am Sonntag ergeben, dass sie nicht teilgenommen habe. (eku, mit dpa)

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