„Diverser” Kommentar

Lieber Diversität als Monotonie – warum Vielfalt gut ist

Tausende demonstrieren in Niedersachsen für Vielfalt und Toleranz.
Menschen und ihre Unterschiede: Alter, Hautfarbe, Geschlecht, Sexualität, Größe, Gewicht, egal
Jörg Carstensen/dpa
von Tobias Elsaesser

Kein Mensch gleicht dem anderen.
Manche Unterschiede sind kleiner, manche größer – Alter, Hautfarbe, Geschlecht, Sexualität, Größe, Gewicht, Nationalität, Religion etc – und doch gibt es zwischen allen eine Gemeinsamkeit: Sie wollen als das Wesen akzeptiert werden, das sie sind.

Menschenwürde ist nicht wirklich selbstverständlich

Unruhige Zeiten, die wir gerade erleben. Es scheint so einiges auf der Kippe zu stehen, was wir uns in den letzten Jahren erarbeitet haben. 80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs erleben wir gerade, wie die sich danach etablierte Weltordnung über den Haufen geworfen wird. Oder wie ein einzelner sie über den Haufen wirft, weil er zufällig die Macht hat, das zu tun. Man kann darüber lamentieren, es toll finden oder versuchen, es zu ignorieren: Es lässt sich gerade nicht ändern. Oder um es mit den Worten Westernhagens zu formulieren: „Die Welt wird sich eh weiterdrehen, und der Klugscheißer-Klub wird es auch nicht verstehen.“ Was man aber verstehen sollte – oder sich bemühen sollte, zu verstehen – ist, dass unter dieser Prämisse etwas völlig kaputt zu gehen droht, das wie selbstverständlich existieren sollte: Menschenwürde.

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Sicher geglaubte Werte werden radikal in Frage gestellt

Diese Würde war nie gleich verteilt. Wie viel jemandem davon zu Teil wurde, hing auch immer davon ab, welches Geschlecht, welche Hautfarbe oder welche sexuelle Orientierung er/sie/divers hatte – nur um einige wenige Beispiele zu nennen. Es gab eine Zeit – noch gar nicht so lang her – in der es so schien, als könnte dieses Missverhältnis ausgeglichen werden.

Die Entwicklungen, die wir in den USA beobachten können, stellen neben der Nachkriegsweltordnung nun aber auch die gesellschaftlichen Werte, über die sich die Mehrheit sich glaubte, radikal in Frage. Wer noch glaubt in einer Welt zu leben, die die Zeit der Aufklärung verinnerlicht hat, sollte sich fragen, ob er sich nicht vielleicht irrt. Vielfalt scheint in der Linie der aktuellen US-Regierung nicht vorgesehen. Es gibt zwei Geschlechter – Mann und Frau. Und die sollen in Familien unter den Elternteilen paritätisch aufgeteilt sein. In Deutschland propagiert die AfD die gleiche Vorstellung. Und dann gibt es da ja noch solche Ideen wie die „Remigration” von Ausländern. Begründet wird dies mit der von der Natur vorgesehenen Ordnung – ausgerechnet.

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Wo ist das Problem?

Es grenzt an Hohn, denn etwas Vielfältigeres als die Natur und die von ihr geschaffene Ordnung gibt es wohl kaum. Ohne die Biodiversität, also die Vielfalt an Lebensformen, hätten wir es damals niemals über die Kaulquappe im Urschlamm hinausgeschafft, hätten niemals Land betreten und wären niemals aufrecht gegangen. Wir wären erst recht nicht in der Lage gewesen, unsere jetzigen körperlichen und geistigen Fähigkeiten zu entwickeln. Und so hätten wir uns auch niemals dazu aufschwingen können, jetzt beurteilen zu wollen, was natürlich ist und was nicht.

Ob man es nun gut findet oder nicht, ob man es akzeptiert oder ablehnt, ob man es versteht oder ob es einen überfordert, die Natur und damit die Welt, in der wir leben, ist vielfältig. Kein Mensch gleicht dem anderen, manche Unterschiede sind kleiner, manche größer – Alter, Hautfarbe, Geschlecht, Sexualität, Größe, Gewicht, Nationalität, Religion etc – und doch gibt es zwischen allen eine Gemeinsamkeit: Sie wollen als das Wesen akzeptiert werden, das sie sind – und menschenwürdig behandelt werden. Ist das nun das kleinste gemeinsame Vielfache oder der größte gemeinsame Teiler? Und worin besteht das Problem?

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Einfach mal googeln, yandexen oder brockhausen

Wem dieses Gefasel von Diversität (was übrigens nichts anderes bedeutet als Unterschiedlichkeit) zu „woke“ ist, kann ja mal Google (oder Bing, Yandex, Search.ch, Baidu, den Brockhaus, einen Bekannten oder einen Verwandten) bemühen und das Gegenteil von „Diversität“ suchen. Er/sie/divers wird rausfinden: Es ist unter anderem „Monotonie“, „Konformität“ oder „Einfalt“. Und dann sollte er/sie/divers sich noch kurz noch die Frage stellen, ob er/sie/divers in einer monotonen, konformen oder einfältigen Welt leben möchte. Ich glaub, ich eher nicht.