„Mein Körper war ein einziges Chaos”
Sie litt über 20 Jahre daran! Frau spricht über Tabuthema Inkontinenz

20 Jahre. So lange dauert es, bis Jo Prance (48) sich wieder „normal” fühlt.
Im Jahr 1998 bringt die Britin ihren Sohn zur Welt, erleidet während der Geburt eine Geburtsverletzung. Was Prance nicht weiß: Diese zunächst harmlos wirkende Verletzung soll sie die nächsten 20 Jahre begleiten.
„Zermürbende Reise” - Jo Prance kämpft jahrelang mit den Folgen einer Geburtsverletzung
Ein leichter Dammriss – eine Verletzung des Gewebes zwischen Scheidenöffnung und Anus. Eine Geburtsverletzung, die viele Frauen erleiden. Bei Jo Prance aus Surrey in Großbritannien sorgt diese Verletzung im Jahr 1998, nachdem ihr Sohn zur Welt kommt, jedoch dafür, dass sich ihr Leben von Grund auf ändert.
Denn: Die 48-Jährige behauptet, dass die Ärzte sich dem Ausmaß der Verletzung nicht bewusst waren und sie nicht adäquat behandelt wurde, wie die DailyMail berichtet. Das hatte zur Folge, dass sich Prance jahrelang mit den Auswirkungen der Geburtsverletzung herumschlagen muss. In den letzten Jahrzehnten muss sie sich insgesamt 19 verschiedenen Operationen unterziehen.
Bis heute hat Prance mit Harninkontinenz und starken Beckenschmerzen zu tun, sogar ein Beckenorganprolaps musste behoben werden.
Warum sie ihre Geschichte nun öffentlich macht? Um das Stigma rund um das Thema Inkontinenz zu beseitigen. „Es war eine zermürbende Reise – körperlich herausfordernd und psychisch anstrengend”, erzählt Prance rückblickend über ihren 20-jährigen Leidensweg. „Der persönliche Tribut, den die Geburt und damit verbundenen Verletzungen forderte, war immens. Ich habe zahlreiche Medikamente und Behandlungen ausprobiert, musste täglich meinen Darm spülen.”
Im Alltag sei es nicht leicht gewesen, alles unter einen Hut zu bekommen. „Ich brauchte dauernd Zugang zu Toiletten. Auf dem Schulweg meines Sohnes musste ich mehrmals anhalten. [...] Ich hatte Windeln für uns beide dabei. [...] Bei der Arbeit konnte es vorkommen, dass ich an manchen Tagen nichts essen oder trinken wollte, weil ich Angst hatte, ein Problem mit meiner Blase oder mit meinem Darm zu bekommen”, so die Mutter.
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Neben Inkontinenz erleidet Jo Prance auch noch einen Beckenorganprolaps
Die Inkontinenz, die seit der Geburtsverletzung vorliegt, wirkt sich auf jeden Bereich ihres Lebens aus. Prance sagt: „Sie nahm mich in jeder Bewegung gefangen.” Doch nicht nur die Inkontinenz sei ein Problem. Auch der Beckenorganprolaps machte ihr zu schaffen. Dazu kommt es, wenn Organe, die sich im Becken befinden, aus ihrer normalen Position heraus nach unten rutschen und dort auf das Gewebe drücken, das die Vagina umgibt.
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Obwohl dies nicht lebensbedrohlich ist, kann es durch einen Prolaps zu Schmerzen beim Sex kommen und die Inkontinenz weiter verschlimmern. Besonders häufig sind Mütter betroffen, da Schwangerschaft und Geburt die Beckenbodenmuskulatur schwächen. Doch auch die Wechseljahre können ein Auslöser sein, heißt es in der DailyMail, da die hormonellen Veränderungen die Elastizität der Beckenbodenmuskulatur beeinträchtigen können.
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Im Video: Was bei Blasenschwäche hilft
Künstlicher Darmausgang gibt Jo Prance ihre „Freiheit zurück”
Jo Prance wird aufgrund ihrer Beschwerden im Jahr 2000, zwei Jahre nach der Geburt ihres Sohnes, eine Netzschlinge eingesetzt, die ihre Blase stützen soll. Das hilft ihr zwar vorübergehend, doch laut der heute 48-Jährigen sorgt die medizinische Maßnahme am Ende dafür, dass sie chronische Beckenschmerzen erleidet. Sie muss sogar ihren Job im Fitness-Bereich aufgeben.
Sie sagt: „Mein Körper war ein einziges Chaos. Ein Nerv in meinem Bein war durch das Netz beschädigt worden. Ich hatte einige Episoden, in denen mein Bein nicht richtig funktionierte.”
Prance sucht sich Hilfe, lässt sich die Netzschlinge nach 16 Jahren letztlich entfernen. Mit Erfolg! Die Schmerzen verschwinden.
Und es gibt einen weiteren Wendepunkt in ihrem Leben, wie sie erklärt: Prance entscheidet sich für eine Kolostomie, einen künstlichen Darmausgang, der dafür sorgt, dass sie endlich ihre „Freiheit zurückbekommt”.
Die Britin ergänzt: „Ich bin ein sehr fitter, aktiver Mensch, und jedes Mal, wenn ich mich einer Operation unterzog, musste ich wieder von vorne anfangen. Ich habe viele Eingriffe hinter mir, und mit dem Beckenbodentraining, das ich jetzt mache, versuche ich, die Notwendigkeit weiterer Operationen in der Zukunft zu verhindern.”
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Sie möchte noch einmal von vorne starten
Ihr Sohn wird bald 25. Der Tag wird auch der 25. Jahrestag ihrer Ursprungsverletzung sein. Deswegen hat sich Jo Prance vorgenommen, 25 neue Dinge auszuprobieren, „um noch einmal von vorne anzufangen.” Sie erklärt: „Ich konnte mich jahrelang nicht in bestimmte Situationen begeben, weil ich auf die Toilette musste.”
Damit ist jetzt Schluss! So geht die 48-Jährige heute zum Beispiel schwimmen, was früher schier undenkbar gewesen wäre. Außerdem sagt Prance: „Meine Gesundheit ist so gut wie schon lange nicht mehr. Inzwischen habe ich auch meine Yogalehrer-Ausbildung abgeschlossen. Ich mache jetzt da weiter, wo mein Leben so lange pausiert hat.”
Und: „Es ist mir wichtig, meine Geschichte zu erzählen und dazu beizutragen, dass das Bewusstsein zum Thema Inkontinenz geschärft wird. Denn Menschen sprechen einfach nicht über diese Dinge. Aber ich möchte nicht, dass sich irgendjemand, der sich mit denselben Problemen konfrontiert sieht, verstecken muss.” (vdü)
Anmerkung der Redaktion: Dieser Artikel erschien bereits im Juli 2024 auf RTL.de.