Nach dem Tod von Comedian Marcel MannWarum treffen psychische Erkrankungen oft lustige Menschen?

Marcel Mann beging Selbstmord: Psychologe erklärt den Zusammenhang zwischen Comedy und Depressionen.
Psychologe Michael Thiel spricht mit uns über einen möglichen Zusammenhang von Depressionen und Comedy.
IMAGO/Future Image / RTL

Die Comedy-Welt trägt Trauer.
Am 21. Januar starb der Comedian und Synchronsprecher Marcel Mann. Er wurde nur 37 Jahre alt, die Todesursache lautet Suizid. Warum nimmt sich ein nach außen hin so humorvoller und vermeintlich lebensfroher Mensch das Leben? Eine Frage, über die wir mit Psychologe Michael Thiel gesprochen haben.

Depressionen sind in der Comedy-Welt keine Seltenheit

Marcel Mann ist nicht der erste Comedian, der durch Suizid stirbt. 2014 nahm sich beispielsweise Schauspieler Robin Williams das Leben – bekannt für seine schillernden, lustigen und lebensfrohen Auftritte. Doch hinter dieser Fassade kämpfte Williams einen Kampf gegen sich selbst – wie später bekannt wurde, litt er an der sogenannten Lewy-Körper-Demenz (LKD), die Depressionen und Angstzustände auslösen und/oder verstärken kann. Seine Ehefrau, Susan Schneider, nannte seine Erkrankung einmal „Der Terrorist im Gehirn meines Mannes”.

Dass Depressionen unter Comedians nicht selten sind, zeigen auch Kurt Krömer, Torsten Sträter oder Felix Lobrecht – sie eint nicht nur ihr Beruf, sondern auch das Thema psychische Erkrankung. Kurt Krömer schrieb darüber in seinem Buch „Du darfst nicht alles glauben, was du denkst: Meine Depression“, Felix Lobrecht sprach in verschiedenen Sendungen und Podcasts über seine Angststörungen, Panikattacken und Depressionen. Und auch Torsten Sträter hatte mit Depressionen zu kämpfen, ist mittlerweile sogar Schirmherr der Deutschen DepressionsLiga e. V. (DDL).

Fälle, die die Frage aufwerfen, ob es einen Zusammenhang geben könnte zwischen einem Gute-Laune-Job im Rampenlicht und mentalen Erkrankungen?

Psychologe zu Depressionen und Comedy: Es gibt Hinweise auf einen Zusammenhang

So pauschal könne man das natürlich nicht sagen, sagt Psychologe Michael Thiel im RTL-Interview. „Ein ,typisches Profil’ depressiver Menschen gibt es nicht”, erklärt er. „Depressionen können jeden treffen, unabhängig von Persönlichkeit oder äußerem Verhalten.”

Dennoch verwundere es ihn nicht, dass sich hinter den lustigen Fassaden vieler Comedians Personen mit Depressionen oder Suizidgedanken verbergen. „Natürlich ist nicht jeder Comedian ein ‘weinender Clown’.” Dennoch gebe es Hinweise darauf, dass ein Zusammenhang bestehen könnte. Das habe verschiedene Gründe.

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Warum leiden so viele Comedians an Depressionen?

„Comedians setzen sich häufig intensiv mit den Höhen und Tiefen ihres Lebens auseinander, um Material für ihre Auftritte zu finden. Dabei gehen sie oft an ihre emotionalen Grenzen”, erklärt der Experte. Hinzu komme „der ständige Druck, witzig und unterhaltsam zu sein”. Die Unsicherheiten des Berufs könnten zusätzlich belastend sein. Dadurch erhöhe sich der Stress, was wiederum das Auftreten von Depressionen begünstigen könnte.

Michael Thiel: „Außerdem ist die Bühnenarbeit oft mit Einsamkeit verbunden: Der Applaus auf der Bühne steht im starken Kontrast zur Leere nach dem Auftritt, wenn man womöglich allein im stillen Hotelzimmer sitzt und in ein depressives Grübeln verfällt.”

Der erfahrene Psychologe weiß: „Menschen, die in der Öffentlichkeit als besonders humorvoll wahrgenommen werden, nutzen Humor oft als Bewältigungsstrategie, um mit eigenen inneren Kämpfen umzugehen, manchmal auch, um schlicht diese quälende Phase der Depression zu überleben.”

Depressionen sind „sehr individuell” und „unterschiedlich”

Ein Schwarz-Weiß-Denken ist im Hinblick auf Depressionen keinesfalls angebracht. „Es ist wichtig, sich von Stereotypen zu lösen und zu verstehen, dass Depressionen sehr individuell sind und sich unterschiedlich äußern können”, so der Experte.

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Dem Psychologen, der selbst oft Künstlern in Rahmen von TV-Shows zur Seite steht, liegt eines besonders am Herzen: „Verständnis und Aufmerksamkeit für diese oft lebensbedrohende Erkrankung zu fördern, um betroffene Menschen zu unterstützen und ihnen zu helfen, sich Hilfe zu suchen.”

Im Video: Warum wird immer noch so wenig für Betroffene getan?

Depressionen oder Suizidgedanken: Handlungstipps für Betroffene und Angehörige

Für Menschen, die selbst mit Depressionen oder gar Selbstmordgedanken zu kämpfen haben, hat Psychologe Michael Thiel noch einen Rat: „Ich würde ihnen raten, offen über ihre Gefühle zu sprechen, sei es mit Freunden, Familie oder einem Arzt/psychologischen Therapeuten. Es ist wichtig zu wissen, dass sie nicht alleine sind und dass Hilfe verfügbar ist. Der erste Schritt – sich jemandem anzuvertrauen – ist oft der schwerste, aber er kann lebensrettend sein.”

Auch für Angehörige oder Menschen, die vermuten, dass jemand in ihrem Umfeld unter Depressionen oder Suizidgedanken leidet, hat er einen Tipp:

„Sprechen Sie die Person behutsam und offen darauf an. Fragen wie ‘Du hast Dich irgendwie verändert. Wie geht es Dir wirklich?’ und ‘Ich mache mir Sorgen um dich’ können den Einstieg erleichtern. Es ist wichtig, zuzuhören, ohne zu urteilen, und Hilfe anzubieten durch die Vermittlung von professioneller Unterstützung, auch durch die Begleitung zum Erstgespräch beim Therapeuten oder in die Klinik, wenn es notwendig sein sollte.”

Hier findet ihr Hilfe in schwierigen Situationen

Solltet ihr selbst Depressionen haben, suchtkrank oder von Suizidgedanken betroffen sein, sucht euch bitte umgehend Hilfe. Versucht, mit anderen Menschen darüber zu sprechen! Neben Freunde oder Verwandten gibt es auch die Möglichkeit, anonym mit anderen Menschen über eure Gedanken zu sprechen. Das geht telefonisch, im Chat, per Mail oder persönlich.

Wenn ihr schnell Hilfe braucht, dann findet ihr unter der kostenlosen Telefon-Hotline 0800-1110111 oder 0800-1110222 Menschen, die euch Auswege aus schwierigen Situationen aufzeigen können.