„Krabbeln oder gar laufen wird er möglicherweise nie lernen“ Er ist eines von 18 Kindern weltweit! Zweijähriger Jan leidet an seltenem Gendefekt

„Wir können derzeit nur die Symptome behandeln und probieren.”
Der kleine Jan (2) aus Worms leidet an einem Gendefekt, der jünger ist, als er selbst. Mitte 2023 wurde die Krankheit erstmals von italienischen Wissenschaftlern beschrieben. Jans Eltern und Ärzte stellt das vor große Herausforderungen, denn noch gibt es keine Therapie, von der man weiß, dass sie Jan wirklich helfen kann.
Jan kommt als vermeintlich gesundes Kind zur Welt
Am 14. Oktober 2022 kommt der kleine Jan vermeintlich kerngesund zur Welt. Doch plötzlich zeigt er Auffälligkeiten, die seine Eltern, Martina Fußmann und Daniel Lühr, hellhörig werden lassen: Jan habe viel geweint, sich oft stark überstreckt. „Als wenn man in eine Brücke gehen würde“, erklärt seine Mutter Martina Fußmann im RTL-Interview. Außerdem wollte er nicht getragen oder gekuschelt werden – all das sei untypisch für Babys.
„Anfang 2023 haben wir aufgrund seiner Auffälligkeiten einen Gentest machen lassen“, erinnert sich Jans Vater Daniel Lühr zurück. Doch der sei negativ ausgefallen, genauso wie alle Tests, die bereits während der Schwangerschaft gemacht wurden. „Wir haben alles testen lassen – Trisomie-Test haben wir gemacht, Präna-Test haben wir gemacht”, erzählen die beiden.
Video-Tipp: Lotta ist todkrank – kann DIESE Therapie ihr Leben retten?
Nur 18 Menschen weltweit betroffen! Jan leidet an Gendefekt TMEM63B
Erst ein Jahr nach Jans Geburt sollten seine Eltern Gewissheit erhalten. „Da wir bis Mitte 2023 immer noch nicht wussten, was unserem Sohn fehlt, haben wir auf Empfehlung der Ärzte im Oktober 2023 einen Trio-Exom-Gentest gemacht.” Im November 2023 habe außerdem noch ein Termin im Klinikum Heidelberg stattgefunden, bei dem ein EEG und ein anschließendes Gespräch geplant waren. „Dort wurde uns das Ergebnis mitgeteilt“, sagt Jans Vater. Und das lautete: Jan leidet an einem äußerst seltenen Gendefekt namens TMEM63B.
Wie kann es sein, dass alle Gentests bis dahin negativ ausgefallen waren? „Man sagte uns, dass dieser Gendefekt erst Mitte 2023 das erste Mal von einem Arzt aus Italien beschrieben wurde und noch nicht gelistet ist. Das erklärte, warum der erste Gentest 2023 kein Ergebnis brachte.“ Insgesamt wisse man derzeit von 17 anderen Betroffenen weltweit.
Lese-Tipp: Genmutation PolG: Was steckt hinter der mysteriösen Krankheit, an der Frederik von Luxemburg starb?
TMEM63B: Neuartiger Gendefekt führt zu Blindheit und Epilepsie
Mit dem Gendefekt einher gehen „eine schwere Epilepsie, eine stark verkürzte Lebenserwartung, Balkenmangel, erweiterte Liquorräume, Hypotonie, Hyperreflexie, Sehstörung/Blindheit, Blutarmut und eine hohe Anfälligkeit für Infekte“, erklären Jans Eltern in einem Aufruf auf der Spendenplattform GoFundMe. Symptome, die die Entwicklung der Betroffenen stark einschränken und von denen derzeit niemand weiß, wie man sie am besten behandelt.
Im Interview erklären Martina Fußmann und Daniel Lühr, wie sich TMEM63B bei ihrem Sohn äußert: „Jan kann seinen Kopf nicht heben/halten oder sich drehen. Krabbeln oder gar Laufen wird er möglicherweise nie lernen. Jan kann nicht selbstständig essen oder gezielt greifen, allgemein sind seine Bewegungen eher unkoordiniert. Der Gendefekt und die Blindheit erschweren den Lernprozess.“
Anders als erhofft lieferte die Diagnosestellung Jans Eltern keine Antworten auf die Fragen, die sie sich stellten. Ganz im Gegenteil: Sie warf zahlreiche neue Fragen auf. Fragen, auf die es aufgrund der Seltenheit und der Neuheit des Defekts bisher keine Antworten gibt. „In der Regel denkt man, wenn es eine Diagnose gibt, wird es auch Hilfe und Erfahrungen geben, auf die man zurückgreifen kann, nur leider gab es die nicht.“

Alles, was Jans Eltern tun können, sei verschiedene Therapien mit ihm auszuprobieren und ihn selbst bestmöglich zu fördern. „Neben Physiotherapie, manueller Therapie, Frühförderung und Sehfrühförderung haben wir angefangen Spielzeug mit Licht zu basteln, einen Little-Room zu bauen, die Wohnungsbeleuchtung für Jan anzupassen, viel mit Kontrastkarten zu üben und vieles mehr“, listet Jans Vater auf. Denn auf Licht, das habe man herausgefunden, reagiere Jan.
Epileptische Anfälle können für Jan lebensbedrohlich werden
Doch gerade die Epilepsie sei ein unberechenbarer Faktor. Jan hat das Westsyndrom. „Eine schwere kindliche Epilepsie“, erklärt sein Vater. Anfälle gingen mit Apnoe, also Atemaussetzern, einher. Nachts werde Jan daher mit einem Monitor überwacht, der seine Herzfrequenz und Sauerstoffsättigung misst. Eine Maßnahme, die ihm bereits mehrfach das Leben gerettet hat.
Daniel Lühr erinnert sich im RTL-Interview an einen Abend im März 2024 zurück und erzählt: „Es gab einen Alarm. Zuerst hofften wir, es sei ein Fehlalarm, aber nachdem wir das Licht anmachten, sahen wir, dass Jan sich nicht regte und blaue Lippen hatte. Panisch versuchten wir, den Kleinen zu reanimieren, was zuerst nicht gelang.“ Parallel hätten sie den Krankenwagen gerufen. „Erst nach zwei Minuten kam Jan wieder zu sich. Wir standen komplett unter Schock und wussten nicht, was der Auslöser war. Wir dachten für zwei Minuten, unser Kind stirbt ... das Gefühl wünsche ich niemandem.“
Lese-Tipp: Nur hundert Kinder weltweit betroffen! Seltener Gendefekt raubt Noemi (6) das Lachen
Kostspielige Therapien und Anschaffungen stellen Jans Eltern vor zusätzliche Herausforderungen
Neben der ständigen Sorge um das eigene Kind belasten Martina Fußmann und Daniel Lühr auch finanzielle Sorgen. „Wir möchten Jan so gut wie möglich fördern, indem wir gerne Angebote wie Reittherapie, Delfinschwimmen, Musiktherapie, Therapie zur Essförderung und andere ausprobieren würden.“ Doch derartige Therapien würden nicht von der Krankenkasse unterstützt und müssten selbst gezahlt werden – eine kostspielige Angelegenheit.
Neben den Therapien stünden außerdem teure Umbauten und Anschaffungen an: etwa ein Pflegebett oder ein barrierefreies Auto, in dem Jan samt Rollstuhl transportiert werden kann. Und nicht zu vergessen: der Umzug in eine größere, barrierefreie Wohnung. Denn in der aktuellen Wohnung fehle es schon jetzt mit sämtlichem Therapiezubehör wie Therapiestuhl, Sauerstoffkonzentrator, Sauerstoffflaschen für den Notfall und vielem mehr an Platz. Zudem sei sie nicht barrierefrei und könne auch nicht entsprechend umgebaut werden. „Daher sind wir auf der Suche nach einem passenden Zuhause für Jan und für uns“, erzählt Daniel Lühr. „Das sind nur die Dinge, von denen wir wissen. Was sonst noch alles kommt, wissen wir nicht.“
Spendenaufruf soll Betroffene zusammenführen

Um Jan „so viel Lebensqualität wie möglich zu schenken“, haben Martina Fußmann und Daniel Lühr eine Spendenkampagne auf GoFundMe gestartet. Denn: „Finanziell werden wir das leider alleine so nicht schaffen können.“
Die Spendenkampagne solle aber noch einem anderen Zweck dienen. Jans Eltern hoffen, so andere betroffene Familien zu finden, mit denen sie sich austauschen und zu einem Netzwerk zusammenwachsen können. In einem Fall habe dies sogar schon funktioniert. „Eine Mutter aus den USA hat uns kontaktiert, deren Tochter acht Monate alt ist und denselben Gendefekt hat“, berichten die beiden. „Wir stehen viel in Kontakt mit der Familie. Sie können uns zwar keine Tipps geben, da Jan älter ist, aber wir unterstützen sie mit unseren Erfahrungen.“