Nur hundert Kinder weltweit betroffen
Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit! Seltener Gendefekt raubt Noemi (6) das Lachen

Die Zeit rinnt ihnen durch die Finger.
Als Noemi vier Jahre alt ist, bekommt sie die Diagnose HSP50. Die äußerst seltene Erkrankung raubt dem Mädchen nach und nach die Fähigkeit zu laufen und zu sprechen. Eine Gentherapie könnte der heute Sechsjährigen helfen – wenn sie denn rechtzeitig verabreicht wird. Noemis Eltern kämpfen um die Zulassung der Therapie, während sich der Zustand ihr Tochter immer weiter verschlechtert. Ein Kampf, der der Familie alles abverlangt.
Noemis Eltern in Sorge: Wieso entwickelt sich ihr Kind nicht richtig?
Wenn Clemens M. an seine Tochter Noemi (6) denkt, kommt ihm sofort ihr Lachen in den Kopf. „Sie ist unglaublich fröhlich und lacht sehr viel“, beschreibt der 45-Jährige aus Berlin im RTL-Gespräch sein Kind. „Manchmal kriegt sie sich vor Lachen kaum noch ein.“ Umso schwerer wiegt der Gedanke, dass Noemi dieses Lachen verlieren könnte: Das Mädchen hat einen seltenen Gendefekt namens HSP50 (Hereditäre spastische Paraplegie Typ 50).
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Die Schwangerschaft, die Geburt und die ersten Lebensmonate von Noemi verlaufen komplett unauffällig. Als sie sechs Monate alt ist, bemerken Clemens und seine Frau Maxi S. (38) die ersten Entwicklungsverzögerungen, die sich immer mehr verfestigen: Während andere Kinder nach und nach laufen und sprechen lernen, macht das Mädchen keine Fortschritte.
Noemis Eltern müssen sich eingestehen, dass ihre Tochter immer stark beeinträchtigt bleiben wird. „Das war schwer für uns“, gesteht Clemens. „Auch wenn wir es schon gefühlt haben. Aber es das erste Mal auszusprechen, war wirklich hart.“
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Gentherapie könnte Noemis Krankheit aufhalten
Zu diesem Zeitpunkt weiß noch keiner, was Noemi überhaupt hat und wieso sie sich nicht wie andere Kinder entwickelt. Die eigentliche Diagnose HSP50 kommt erst Ende 2022 bei einer speziellen Genuntersuchung ans Licht, Noemi ist zu diesem Zeitpunkt bereits vier Jahre alt. Die Erkrankung geht mit einer starken geistigen Behinderung einher, wie Clemens und Maxi auf ihrer Website Hilfe für Noemi erklären. Hinzu kommen epileptische Anfälle – von denen ist Noemi allerdings verschont – Spastiken und der Verlust der Sprache.
Das Schlimmste an der Erkrankung ist jedoch, dass sie neurodegenerativ ist. Das bedeutet, dass Noemi nach und nach immer mehr Nervenzellen einbüßt und durch die Krankheit immer mehr beeinträchtigt sein wird.
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Je mehr Clemens und seine Frau recherchieren, desto mehr wird ihnen klar, wie vernichtend diese Diagnose ist. In jener Phase, in der ihnen die „Tragweite“, wie Clemens es nennt, bewusst wird, stoßen sie im Internet auf Terry Pirovolakis. Als bei seinem Sohn HSP50 diagnostiziert wird, hilft er bei der Entwicklung und Finanzierung einer Gentherapie mit, die mittlerweile in einer Phase-Drei-Studie in den USA auf eine Zulassung wartet. Dabei wird den Kindern eine Flüssigkeit ins Rückenmark gespritzt, die die kaputten Genschnipsel in den Zellen wieder reparieren soll. Ein paar der Dosen sind sogar bereits produziert worden.

„Das war der emotionalste Tag in unserem Leben“, sagt Clemens. „Einerseits eine sehr vernichtende Diagnose, andererseits dieser Hoffnungsschimmer am Horizont, dass es für eine ultraseltene Krankheit schon eine Gentherapie gibt!“ Eine Therapie, die nicht nur darauf abzielt, die Erkrankung zu stoppen, sondern auch, den Krankheitsverlauf umzukehren. Die Kinder könnten also einen Teil ihrer verlorenen Fähigkeiten wiedererlangen. Es gibt nur einen Haken: „Es ist unglaublich teuer”, so Clemens.
„Die Hilfe steht vor der Tür, aber wir kriegen sie nicht“
Zusammen mit anderen Familien weltweit sammeln Noemis Eltern deshalb nun Geld, um die Studie weiter voranzutreiben. Außerdem wollen sie durchsetzen, dass Kinder bereits im Rahmen der experimentellen Therapie behandelt werden können. Damit seien zwar Risiken verbunden, weiß Clemens, allerdings würden die betroffenen Kinder unaufhörlich gegen die Zeit kämpfen – und dazu gehört eben auch Noemi.
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„Wir sehen seit Anfang dieses Jahres eine deutliche Verschlimmerung ihrer Spastik.“ Die Zeit dränge, in absehbarer Zukunft werde Noemi nicht mehr laufen können. „Wir wollen den Prozess so schnell wie möglich stoppen“, stellt Clemens klar. Deshalb würden auch sie Noemi dieser experimentellen Therapie unterziehen, wenn die Chance besteht.
„Die Hilfe steht vor der Tür, aber wir kriegen sie nicht“, sagt der Familienvater. „Das frustriert uns. Wir sehen den Silberstreifen am Horizont, aber es gibt ein großes Hindernis im Weg und das ist schlicht Geld.“ Auf der Spendenplattform GoFundMe haben sie sich aktuell ein Ziel von 1,4 Millionen Euro gesetzt, andere Familien mit betroffenen Kindern sammeln ebenfalls. Das Geld wird in einen großen Sammeltopf geworfen. Am Ende geht es nicht nur um Noemi oder die Gentherapie. Es geht um all jene Kinder, die von der neuen Behandlungsmethode profitieren können - in der Hoffnung, ihr Lachen niemals zu verlieren.