„Team Wallraff": Fall aus Kita in Solingen
„Nicht Knie in den Bauch!“ Welche Folgen kann es für Kinder haben, wenn Erzieher übergriffig werden?
Welche Folgen kann es für ein Kind haben, wenn Erzieherinnen oder Erzieher in der Kita übergriffig werden? Wie geht es den Eltern, wenn die eigenen Kinder darunter leiden? Und wie werden derartige Vorkommnisse aufgearbeitet? All das zeigt ein Fall aus Solingen. Eine ehemalige Erzieherin der Kita Klingenbande soll hier Kinder misshandelt haben. Zwar wurde sie anschließend suspendiert, doch die Folgen für die Kinder sind auch heute noch zu spüren.
Erzieherin soll Kinder am Arm gezerrt und angeschrien haben
Alles begann vor zweieinhalb Jahren im Februar 2021. Erzieherin Natascha Z. war in die Kita Klingenbande in Solingen gewechselt und bemerkte bei einer ihrer neuen Kolleginnen rigide Erziehungsmethoden.
Laut Natascha Z. mussten die Kinder bei der Kollegin leise sein, durften nicht kleckern und mussten die Hände beim Essen auf dem Tisch haben. Passte etwas für die Erzieherin nicht, soll sie Kinder am Arm gezerrt oder sie angeschrien haben. Doch dabei soll es nicht geblieben sein.
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Erzieherin: „Du guckst die Wand jetzt an, du guckst die Wand jetzt an“
Besonders im Schlafraum soll die beschuldigte Erzieherin Druck auf die Kinder ausgeübt haben – und das wortwörtlich: Kinder, die nicht schlafen wollten, sollen fest auf eine Matte gedrückt worden sein. Wer dann nicht still liegenblieb, musste offenbar mit Konsequenzen rechnen.
„Wenn sie ein bisschen wackelig waren, wurden die Kinder genommen, fest am Arm gepackt, in eine Position gelegt und dann hieß es: ‘Du guckst die Wand jetzt an, du guckst die Wand jetzt an.’ Und dann durfte das Kind sich nicht mehr bewegen“, berichtet Natascha Z. im Gespräch mit Günter Wallraff.
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Erzieherin über Machtspiele: „Ich hatte das Gefühl, dass diese Kinder Angst hatten“
Auch sogenannte „Machtspiele“ – wie die beschuldigte Erzieherin es offenbar nannte – soll diese mit den Kindern ausgeübt haben. So soll sie sich einmal einen etwa dreijährigen Jungen gegen seinen Willen auf den Schoß gesetzt und mit den Armen fixiert haben. Verzweifelt soll er dann versucht haben, sich zu befreien – offenbar ohne Erfolg. Irgendwann soll das Kind am Ende seiner Kräfte gewesen sein.
„Dieser Kampf ging gefühlt eine lange Zeit und irgendwann hat der Junge dann auch aufgegeben und dann hat sie zu mir gesagt: ‘Ich habe jetzt hier das Machtspiel gewonnen’“, schildert uns Natascha Z. die Situation. „Für die Kinder war es oft so, dass sie die Situation nicht einschätzen konnten und ich hatte das Gefühl, dass diese Kinder Angst hatten“, so Natascha Z. weiter.
Um die Kinder zu schützen, suchte sie mehrmals das Gespräch mit der Kollegin – allerdings ohne Erfolg.
Mädchen (3): „Nicht Knie in den Bauch, nicht Knie in den Bauch!“
Wie schlimm die Taten der beschuldigten Erzieherin waren, zeigte ein Vorfall im Dezember 2021: Normalerweise brachte die Mitarbeiterin die Kinder beim Mittagsschlaf ins Bett, niemand sonst sollte das machen, berichtet Natascha Z im Gespräch mit Günter Wallraff. Als sie an einem Tag krank war, übernahm jedoch Natascha Z. die Aufgabe – und stellte Erschreckendes fest:
Als sie sich im Schlafraum zu einem dreijährigen Mädchen beugte, soll es panische Angst bekommen und wiederholt gesagt haben: „Nicht Knie in den Bauch, nicht Knie in den Bauch!“ Als Natascha Z. nachfragte, wer sein Knie in den Bauch des Mädchens gedrückt habe, nannte die Dreijährige den Namen der beschuldigten Erzieherin.
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Vorfälle haben Folgen - Mädchen fängt „wieder an, nachts einzunässen“
Als Natascha Z. den Vorfall daraufhin bei der Kita-Leitung meldete, wurde die beschuldigte Erzieherin suspendiert. Doch statt mit den Eltern über die Vorkommnisse zu sprechen und sie für eventuelle Auffälligkeiten ihrer Kinder zu sensibilisieren, verschwieg die Kita offenbar, wieso die Erzieherin nicht mehr in der Kita arbeitet.
Dass etwas nicht stimmte, bemerkten einige Eltern aber trotzdem: „Bei meiner Tochter war es so, diese Selbstständigkeit, die sie hatte bis dato, ist wieder zurückgegangen, sie wurde immer stiller, zurückgezogener. Sie brauchte wieder ihre Lieblingspuppe oder sie fing, obwohl sie trocken war, wieder an, nachts einzunässen“, erzählt eine Mutter Günter Wallraff.
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Mutter: „Man hat versucht, uns den Mund zu verbieten“
Obwohl einige Eltern mehrfach bei der Kita und den Erziehern nachfragten, weil sich ihre Kinder ungewöhnlich verhielten, wurden sie nicht über die Vorkommnisse informiert. Die Erzieher wurden laut Natascha Z. dazu angehalten, nichts zu verraten. Erst als sich Natascha Z. dazu entschloss, eine Anzeige bei der Polizei zu stellen, sprach die Kita mit den Eltern – ganze acht Monate später.
Doch auch danach spitzte sich die Lage anscheinend weiter zu: Wie einige Eltern berichten, wurde ihnen offenbar von der Kita-Leitung gedroht, dass ihre Kita-Plätze gekündigt werden, wenn sie nicht Ruhe geben. „Man hat versucht, uns im Endeffekt den Mund zu verbieten“, so eine Mutter im Gespräch mit Günter Wallraff.
Mutter: „Mein Sohn hat heute immer noch Angst, allein zu sein in einem Zimmer“
Inzwischen wurde auch die Kita-Leitung ausgetauscht. Doch für die Familien ist die Geschichte noch nicht vorbei: Obwohl das Vertrauen in die Einrichtung durch die Vorfälle zerstört wurde, müssen sie ihre Kinder aufgrund mangelnder Alternativen weiter in diese Kita schicken.
Und die Kinder? Die haben den Eltern zufolge auch eineinhalb Jahre später mit Problemen zu kämpfen: „Mein Sohn hat heute immer noch Angst, allein zu sein in einem Zimmer. Sobald eine Tür geknallt wird, fängt er an zu rennen, durchzudrehen“, berichtet eine Mutter. Auch auf Kindergeburtstagen wolle er immer seine Eltern dabei haben.
„Das ist einfach schrecklich für einen zu sehen, wenn ein lebenslustiges Kind auf einmal so fertig gemacht wird von einer erwachsenen Person, die eigentlich den Verstand haben müsste, Kinder zu schützen“, sagt eine andere Mutter unter Tränen.
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Ermittlungsverfahren gegen beschuldigte Erzieherin läuft
Aktuell wird der Fall aufgearbeitet. Die Staatsanwaltschaft Wuppertal hat ein Ermittlungsverfahren gegen die beschuldigte Erzieherin eingeleitet. Für sie gilt bis zum Abschluss des Verfahrens die Unschuldsvermutung.
Der Träger der Kita – die Stadt Solingen – teilt „Team Wallraff“ auf Anfrage mit:
„Die von Ihnen eingereichten Fragen beziehen sich auf ein schwebendes staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren, zu dem die Stadt Solingen […] keine Auskünfte erteilen kann.“
Es bleibt also zu hoffen, dass die beschuldigte Erzieherin in Zukunft nicht mehr mit Kindern arbeiten darf.
Video-Playlist zu „Team Wallraff"
„Team Wallraff – Reporter undercover“ auf RTL+
Die ganze Reportage von „Team Wallraff – Reporter undercover“ sehen Sie am Donnerstag um 20.15 Uhr bei RTL und anschließend zum Abruf auf RTL+. (akr)