Junge bekommt Brot in den Mund gestopft

Kita-Mitarbeiterin zwingt Kinder zum Essen - Mediziner: „Ziemlich katastrophal!"

„Wenn sie sich die Schüssel so einschöpft, dann muss sie es auch essen“ – das sind die Worte von Kita-Erzieherin Beate* über ein zweijähriges Mädchen, das seit geraumer Zeit allein mit einer Schüssel Reis an einem Tisch sitzt und diese offenbar nicht schnell genug leert. Den Lieblingsnachtisch nimmt sie der Kleinen weg. Als diese zu weinen beginnt, erklärt sie: „Du brauchst gar nicht brüllen.“ „Team Wallraff“-Reporterin Alesia beobachtet diese Situation undercover als Mitarbeiterin und fragt sich: Wie schädlich ist es für ein Kind, es beim Essen so unter Druck zu setzen?

Kann ein so kleines Kind schon Essensregeln verstehen?

Es ist nicht das einzige Mal, dass Alesia die Erzieherin während ihres Undercover-Einsatzes in der privaten Kita in Süddeutschland als autoritär und einschüchternd empfindet. Ihr Eindruck: Die Kinder sollen ihren Regeln folgen, egal ob diese sinnvoll sind und die Kleinen sie überhaupt schon verstehen können – insbesondere, was das Essen angeht. Zu der verzweifelten Zweijährigen sagt Beate schließlich: „Dein Joghurt geht jetzt leider in den Müll oder jemand anders kriegt ihn. Du nicht mehr!“

Lutz-Ulrich Besser ist Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie. Beim Anblick der Aufnahmen erklärt er: „Kognitiv völlig unrealistisch zu sagen: ‚Du weißt, wie viel du essen kannst und wenn du dir das aufgetan hast, musst du das jetzt aufessen.‘“ Essen sei hier mit Zwang und Bestrafung besetzt. „Also sowohl sprachlich als auch von der Haltung ist das ziemlich katastrophal.“

Im Namen der betroffenen Kita reagiert eine Anwaltskanzlei auf die Vorwürfe von „Team Wallraff“: „Nein, es stimmt nicht, dass in der Einrichtung unserer Mandantin […] auf Kinder Druck und/oder Zwang beim Essen ausgeübt wird. Wenn ein Kind dann auch nicht (auf-)essen möchte, muss es das natürlich auch nicht. Auch nicht, um „anschließend [die] Lieblingsnachspeise zu erhalten“.

Ex-Mitarbeiterinnen behaupten: Kinder wurden „jeden Tag zum Essen gezwungen“

An einem anderen Tag machen die Mitarbeiterinnen mit den Kindern ein Picknick auf einem Spielplatz. Als ein eineinhalbjähriger Junge lieber spielen will, als sein Brot zu essen, beobachtet Alesia, wie Beate es ihm regelrecht in den Mund stopft – obwohl das Kind anfängt zu weinen. „Ja, kannst dich schon ärgern“, teilt sie ihm mit.

Laut Schilderungen zweier Informantinnen, die in derselben Kita gearbeitet haben, keine Einzelfälle: „Die Kinder wurden jeden Tag zum Essen gezwungen. Beim Frühstück, beim Mittagessen und bei der Brotzeit.“

Eine Kollegin scheint Alesias Eindruck nach ebenfalls nicht mit solchen veralteten Methoden einverstanden zu sein. Sie versuche zwar zu erreichen, dass die Kinder – gerade die Größeren – auch aufessen, was sie sich nehmen, erklärt sie der Undercover-Reporterin im Gespräch. Aber den Kindern Essen in den Mund stopfen? „Das kann ich nicht. Also, davon kriegen Kinder Traumata. Ich mache das nicht.“

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Stress statt Appetit und Hungergefühl

Beates Vorgehen kann ernste Folgen haben, wie Trauma-Spezialist Besser erläutert: „Die Kinder lernen dann nicht, dem normalen Hungergefühl zu folgen. Habe ich Appetit? Brauche ich etwas oder brauche ich es nicht? Das wird mir hineingezwungen.“ Wenn das durch Druck und Zwang überlagert werde, könne man davon ausgehen, „dass die Nahrungsaufnahme mit Stress und negativen Aspekten besetzt ist“.

Die Anwälte der Kita schreiben hierzu:
„In der Einrichtung unserer Mandantin wird keinem Kind Essen ‚in den Mund gestopft‘. Es gibt Kinder in der Einrichtung, die noch sehr klein sind und das selbstständige Essen in der Einrichtung erst noch lernen, weil sie noch nicht alleine essen können. Dabei wird den Kindern behutsam geholfen, damit die Kinder den Umgang mit dem Essen kennen lernen.“

„Team Wallraff" auf RTL+

Die Reportage „Team Wallraff undercover in Kitas – was passiert mit unseren Kindern?“ können Sie nach der TV-Ausstrahlung auf RTL+ streamen. (rka)

*Name von der Redaktion geändert