Erschreckende Szenen bei „Team Wallraff“

Kinder gewaltsam festhalten und minutenlang ohne Trost weinen lassen: Sieht so moderne Kita-Pädagogik aus?

Der einjährige Nick* weint bitterlich. Doch Beate* und die anderen Erzieherinnen nehmen ihn nicht in den Arm, sondern lassen ihn auf der mit einer Matratze ausgestatteten Fensterbank liegen, setzen ihre Mittagspause am Handy fort, äffen ihn sogar nach. Eine Situation, die „Team Wallraff“-Reporterin Alesia bei ihrem Undercover-Einsatz als Kita-Mitarbeiterin nur schwer ertragen kann – doch auch als Erwachsene fühlt sie sich von Beates strenger Art eingeschüchtert. Erst nach elf Minuten beruhigt Beate den aufgelösten Jungen. Welche Folgen kann so etwas für ein Kind haben?

„So ist das, wenn man nicht genug schläft“

Zunächst scheint die Situation noch liebevoll gelöst zu werden: Nick hat es in der Kita in Süddeutschland nur auf eine halbe Stunde Mittagschlaf geschafft. Beate nimmt ihn mit den Worten „Ach Mausi…“ kurz auf den Arm. Doch dann legt sie ihn auf der Fensterbank ab und erklärt dem weinenden Jungen: „So ist das, wenn man nicht genug schläft“ – und überlässt ihn minutenlang seinen Gefühlen.

Günter Wallraff zeigt die Aufnahmen Lutz-Ulrich Besser, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie. Dieser hat für solch ein Verhalten kein Verständnis: „Ein übererregtes, weinendes Kind auf der Fensterbank winseln und weinen und jammern zu lassen und sich mit dem Handy und dem eigenen Essen zu beschäftigen – das hat nichts damit zu tun, was wir heute wissen über moderne, bindungsorientierte Pädagogik. Das ist schon sehr bedenklich.“

„Team Wallraff“ konfrontiert die Kita mit den Vorwürfen. Die Anwälte der Einrichtung schreiben:

„Nein, in der Einrichtung unserer Mandantin wird kein Kind bewusst weder über einen Zeitraum von wenigen noch über einen Zeitraum mehrerer Minuten weinen gelassen. Wenn ein Kind weint, wird die Situation pädagogisch beurteilt, was der Anlass ist und es wird versucht, dem Kind bestmöglich zu helfen. […] Unsere Mandantin hat keine „Kenntnis davon, dass weinende Kinder […] von den Erzieher:innen verhöhnt und nachgeäfft werden“.

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Statt Trost allein in den Schlafraum geschickt?

Ein weiterer Junge, Toni*, kann sich offenbar nach dem Wochenende oft schlecht wieder in der Kita einfinden. An einem Montag scheint Beate von seinem dauerhaften Weinen genervt zu sein. Statt ihm tröstende Berührungen zu geben, ermahnt sie den Zweijährigen: „Es ist jetzt echt gut. Möchtest du hoch ins Schlafzimmer gehen? Da könntest du brummen, da hört es keiner. […] Wenn ich aufstehe, tue ich dich ins Schlafzimmer!“ Als sich die Erzieherin schließlich zu ihm hinüberlehnt, verstummt der Kleine.

Was kann es für Folgen haben, wenn Kinder über einen längeren Zeitraum auf diese Weise behandelt werden? „Solche Muster der Übererregung, die mit druck- und angstauslösenden Aspekten beantwortet wird, die brennen sich ein“, erklärt Mediziner Esser. „Und diese Kinder entwickeln dann mit großer Wahrscheinlichkeit, wenn das nicht kompensiert werden kann durch ein sehr liebevolles Elternhaus, Auffälligkeiten.“

Die Anwälte der Kita schreiben hierzu:
„In der Einrichtung unserer Mandantin arbeitet niemand mit Drohungen; weder gegenüber Kindern noch sonst jemandem gegenüber. Es sind unserer Mandantin auch keine Beispiele bekannt und kann daher auch nicht sein, dass ‚Kindern z. B. gedroht wird, alleine in den Schlafraum geschickt zu werden, wenn sie nicht aufhören zu weinen‘.“

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Kind mit Beinen festgeklemmt – Experte: „körperliche Gewalt“

Der zweijährige Sebastian* ist anscheinend verhaltensauffällig und braucht viel Zuwendung. Einige Mitarbeiterinnen der Kita vermuten, er habe möglicherweise eine geistige Behinderung. Alesia hat den Eindruck, dass die Erzieherinnen teils mit dem Jungen überfordert sind: Als es an einem Tag Zeit für den Mittagschlaf ist, beobachtet die Undercover-Reporterin, wie eine Kita-Mitarbeiterin den Jungen unsanft mit dem Gesicht auf eine Matratze wirft.

Die Anwälte der Kita schreiben hierzu:

„Kinder mit erhöhtem Förderungsbedarf werden im Übrigen nicht auf eine Matratze, sondern in einem dafür ausgelegten Kinderwagen schlafen gelegt. […] In der Einrichtung unserer Mandantin arbeiten ausschließlich kompetente Erzieher:innen und niemand würde einem Kind gegenüber übergriffig werden.“

Ihre Kollegin Beate scheint Alesias Eindruck zu bestätigen. Sie vertraut ihr an: „Es ist nicht er, es ist die Situation, die mich so hilflos macht. Er spricht kein Wort, er spielt mit keinem. Der lässt Nähe nicht zu, er läuft rum wie Falschgeld...“

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Auch eine weitere Szene lässt Alesia daran zweifeln, dass Sebastian die Betreuung bekommt, die er bräuchte: Vor einem geplanten Ausflug sollen sich alle Kinder zunächst auf den Boden setzen, doch Sebastian will offenbar etwas anderes. Beate klemmt den Jungen daraufhin am Boden sitzend zwischen ihren Beinen ein – er weint und macht auf Alesia den Eindruck, dass er aus dieser Situation herauswill, aber nicht kann.

„Das gehört überhaupt nicht in die Erziehung von Kindern, körperliche Gewalt“, so Essers klares Urteil beim Betrachten dieser Szene. „Ich muss ein Kind begleiten, aber darf ihn nicht in die Ohnmachtsposition bringen.“ Ein solches Verhalten sei „absolut schädlich für diese Kinder“.

Die Anwälte der Kita schreiben, in der Einrichtung werde weder psychische noch körperliche Gewalt eingesetzt:
„Nein, es kann nicht ‚vorkommen, dass Kinder, wenn sie sich nicht an die Regeln halten, [...] fixiert werden, bspw. durch das Einklemmen zwischen den Beinen einer Erzieherin gegen den Willen des Kindes’.“

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„Team Wallraff" auf RTL+

Die Reportage „Team Wallraff undercover in Kitas – was passiert mit unseren Kindern?“ können Sie nach der TV-Ausstrahlung auf RTL+ streamen. (rka)

*Namen von der Redaktion geändert