„Team Wallraff“ undercover in privater Einrichtung
Volle Windeln statt toller Betreuung? Ist dieser Kita-Platz 1.150 Euro im Monat wert?
1.150 Euro im Monat für einen Ganztagesplatz in der Kita? Für diesen Preis kann man einiges erwarten – theoretisch. Doch statt umfangreicher Betreuung beobachtet „Team Wallraff“-Reporterin Alesia bei ihrem Undercover-Einsatz in einer privaten Kita in Süddeutschland vielmehr teilweise unmotivierte Erzieher, die Kinder offenbar aus fragwürdigen Gründen nach Hause schicken und sich vorm Windeln wechseln zu drücken scheinen. Was steckt hinter dem schönen Schein der teuren Privat-Kita?
Wird das Wickeln in dieser Kita absichtlich herausgezögert?
Helle Räume, kleine Gruppen, viel Personal, individuell geförderte Kinder – der erste Eindruck der privaten Kita in Süddeutschland erfüllt wohl die meisten Erwartungen, die Eltern an die Unterbringung ihrer Kinder haben. Die Kita lässt sich diese Betreuung einiges kosten: 1.150 Euro müssen Eltern für einen Ganztagesplatz für Kinder bis zu drei Jahren hier zahlen – pro Monat. Ist diese Kita den Preis auch wert?
Für einige Erzieher scheint trotz der hohen Gebühr klar zu sein, dass sie keine Einzelbetreuung leisten. Was das konkret bedeutet? Während ihres Undercover-Einsatzes beobachtet „Team Wallraff“-Reporterin Alesia, dass manche Erzieher das Wickeln der Kinder so lange herauszuzögern scheinen, bis die Eltern ihre Kinder abholen.
Als Alesia nachfragt, heißt es von einer Erzieherin: „Manche Eltern denken, dass wir hier eine Einzelbetreuung machen. Es ist nicht so, dass wir jedem Kind die ganze Zeit immer den Po beschnüffeln.“
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Erziehungswissenschaftlerin Ballmann findet: „Das ist eine Form von Vernachlässigung"
Diese Einstellung ändert sich auch nicht, als eine Mutter sehr freundlich darum bittet, mehr darauf zu achten, ob die Windel bei ihrer Tochter gewechselt werden muss, da diese bereits einen entzündeten Po hat. Die Reaktion einer Erzieherin nach dem Gespräch: „Das ist hier keine Einzelbetreuung. Wir sind ‘ne Gruppe. Dann soll sie bitte ‘ne Nanny finden und zu Hause lassen.“
Vor allem bei der zweijährigen Mira* beobachtet Reporterin Alesia wiederholt, dass sie nicht zeitnah gewickelt wird, obwohl es nötig wäre. Den möglichen Grund erfährt Alesia im Gespräch mit einer Kollegin: „Mira riecht schon wieder so nach [ausländischem] Futter“, berichtet die Erzieherin von der Aussage einer anderen Kollegin.
Erziehungswissenschaftlerin Dr. Anke Elisabeth Ballmann findet: „Das ist eine Form von Vernachlässigung. Wickeln [...] ist Krippenalltag. Wenn ich Probleme habe mit Fäkalien, kann ich diesen Job nicht machen.“
„Team Wallraff“ hat die Kita mit den Vorwürfen konfrontiert, aber keine Antwort erhalten.
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Erzieherin: „Ich kann mit dir nicht reden, wenn du weinst. Du schreist zu laut"
Dass einige Erzieher und Erzieherinnen das Wickeln offenbar als lästig empfinden, bestätigt uns auch eine ehemalige Mitarbeiterin der Kita. Doch dass einige Mitarbeitende teilweise wenig motiviert zu sein scheinen, zeigte sich während Alesias Undercover-Einsatzes auch in anderer Form:
Vor allem bei Erzieherin Romy* hat unsere Reporterin mehrfach den Eindruck, dass diese wenig Einfühlungsvermögen mit den Kindern zeigt. Als sich die zweijährige Ella* morgens von ihrer Mutter verabschiedet, weint sie bitterlich. Zwar nimmt Romy das kleine Mädchen kurz auf den Arm, stellt es dann aber schnell wieder hin und wendet sich ab. Als Ella sich nicht beruhigen kann, schickt Romy sie spielen, sagt ihr wiederholt, dass sie aufhören soll zu weinen: „Ich kann mit dir nicht reden, wenn du weinst. Du schreist zu laut. Schau, alle Kinder hören dir zu!“
Erst als eine andere Erzieherin Ella auf den Arm nimmt, beruhigt sich die Zweijährige. Romy selbst scheint ihre Aufmerksamkeit derweil offenbar lieber ihrem Smartphone zu widmen.
Für Erziehungswissenschaftlerin Anke Ballmann grenzt dieses Verhalten an „emotionale Erpressung“: „Kinder weinen, das ist normal, weil sie zeigen, wenn was nicht passt. Hier werden sie aber sogar noch bestraft dafür, dass sie zeigen, dass es ihnen nicht gut geht. Das heißt, sie ignoriert die Bedürfnisse, sie erpresst sogar noch.“
Dies geschehe durch die „Wenn-dann-Konstruktion“. Das sei genau das Problem. „Viele Menschen sind diese Bilder gewöhnt, dass Kinder weinen, dass sie nicht da bleiben wollen und glauben, dass das ein normales Verhalten von jungen Kindern ist. Das ist es aber nicht“, so die Erziehungswissenschaftlerin weiter.
Auch in diesem Fall hat „Team Wallraff“ die Kita mit den Vorwürfen konfrontiert. Eine Antwort hat das Team nicht bekommen.
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Wegen Fieber heimgeschickt - doch sind die Kinder wirklich krank?
Auch bei einer weiteren Situation hat „Team Wallraff“-Reporterin Alesia den Eindruck, dass die Erzieherinnen und Erzieher der Privat-Kita teilweise unmotiviert sind, die Kinder zu betreuen: Als ein Kind morgens hustet, misst eine Erzieherin mit einem Stirnthermometer Fieber. Das Problem: Sie setzt es an mehreren Stellen am Kopf des Jungen an, bis das Thermometer eine erhöhte Temperatur anzeigt. Die Folge: Die Mutter muss ihr Kind wieder mitnehmen.
Das angebliche Fieber des Kindes veranlasst die Erzieherinnen, auch bei den anderen Kindern fieber zu messen. Sie gehen dabei ähnlich vor wie bei dem ersten Kind und messen an verschiedenen Stellen an der Stirn, teilweise sogar mit zwei Thermometern gleichzeitig. Da die Erzieherinnen das Thermometer offensichtlich nicht richtig bedienen können, zeigt es manchmal Fieber, manchmal kein Fieber an. Über mehrere Stunden wiederholen sie dieses Vorgehen immer wieder.
Zwei weitere Kinder müssen daraufhin wegen angeblichem Fieber abgeholt werden, obwohl die Kinder auf Reporterin Alesia nicht krank wirken. Wie die Eltern das mit ihrem eigenen Beruf vereinbaren, scheint nicht wirklich zu interessieren.
Wie aufwendig das aber für einige berufstätige Eltern sein kann, zeigt die Reaktion der Mutter, die ihren Sohn bereits am Morgen wieder mitnehmen musste. Unserer Undercover-Reporterin erzählt sie am Nachmittag: „Ich war heute in der Kinderklinik und er hat kein Fieber gehabt. Ich bin schon richtig erschöpft heute von diesem ganzen Hin- und Hergerenne. [...] Verstehen Sie, ich habe nicht jede Woche Lust auf dieses Hin und Her. Das muss mal ein bisschen besser funktionieren jetzt demnächst. Das geht so nicht.“
Stress für die Eltern, damit Erzieher weniger Stress haben?
Für viele berufstätige Mütter und Väter bedeutet es puren Stress, ihre Kinder frühzeitig von der Kita abzuholen. Umso ärgerlicher, wenn das Kind gar nicht krank ist. Wird dieser Stress für die Eltern hier in Kauf genommen, damit die Mitarbeiter weniger Stress haben?
„Team Wallraff“-Reporterin Alesia konfrontiert eine leitende Angestellte der Kita mit ihren Eindrücken von diesem Tag. Diese scheint nicht überrascht, hat offenbar einen ähnlichen Eindruck von den Mitarbeitenden. Wir verstehen ihre Antwort so, dass sie offenbar nicht viel tun kann, denn es scheint teilweise nicht einfach zu sein, anderes motiviertes Personal zu finden.
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Aufsichtsbehörde hat Kita bereits überprüft
Bereits im Dezember 2022 ging man Beschwerden über die Kita bei der zuständigen Aufsichtsbehörde nach. Von der Behörde heißt es:
„Aufgrund der Meldungen wurde die Aufsicht sofort aktiv und überprüfte die Einrichtung. Dabei gab es keine Beanstandungen […]. Entsprechend hat die Aufsicht die Bearbeitung der eingegangenen Beschwerden abgeschlossen. Weitere Ortsbegehungen erfolgten nicht, mit der Träger*in steht die Aufsicht aber selbstverständlich weiter in Kontakt.“
Der Undercover-Einsatz von Reporterin Alesia war im März 2023, also nach dieser Kontrolle. Dennoch mangelt es ihren Recherchen zufolge an vielen Stellen. Die Kita selbst hat sich nicht zu den Vorwürfen geäußert, „Team Wallraff“ kooperiert nun mit der zuständigen Aufsichtsbehörde.
Sollte diese Kita weiter überprüft werden? Die ganze Reportage von „Team Wallraff – Reporter undercover“ sehen Sie am Donnerstag um 20.15 Uhr bei RTL und anschließend zum Abruf auf RTL+. (akr)
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Video-Playlist zu „Team Wallraff"
*Um Kinder und Eltern bestmöglich zu schützen, werden die genauen Orte und Namen der Einrichtungen nicht genannt.