Bis heute kämpft sie gegen Vorurteile
Sarah hat mit 18 eine Abtreibung - und verschweigt es jahrelang: "Meine Mutter hat mir eine gescheuert"

„Ich würde vermutlich abtreiben, weil ich mich gerade noch nicht bereit fühle für ein Kind“ – mit dieser Aussage stößt Moderatorin Lola Weippert vor ein paar Tagen eine heftige Diskussion im Netz an. Die 26-Jährige erklärt in einem Instagram-Post, dass sie zuerst beruflich alles realisieren wolle, was sie sich vorgenommen habe, bevor sie sich auf ein Kind konzentrieren wolle.
Auch Sarah trifft mit 18 die Entscheidung abzutreiben, kann damals aber niemanden von dem Eingriff erzählen. Zu groß sind die Vorurteile in ihrer Familie und ihrem Freundeskreis. RTL hat sie nun exklusiv ihre Geschichte erzählt und sagt: „Ich habe meine Entscheidung bis heute nicht bereut!“
Aber: Sarah ist nur eine von tausenden Frauen, die einen Schwangerschaftsabbruch durchführen lassen wollen oder durchführen lassen müssen. Ihre Geschichte soll hier für sich stehen und spiegelt nicht die Erlebnisse und Erfahrungen von anderen Frauen wider.
Sarah ahnt: Sie ist schwanger
Jedes Jahr haben in Deutschland durchschnittlich 95.000 Frauen eine Abtreibung. Das zeigen Erhebungen des Statistischen Bundesamts. Vor einiger Zeit ist Sarah eine davon. Ihren Namen haben wir zum Schutz ihrer Identität geändert. Sie befürchtet noch immer, für ihre Entscheidung angegriffen zu werden.
Damals ist Sarah 18 Jahre alt und mit ihrer ersten großen Liebe zusammen. „Ich hatte so ziemlich alle meine ersten Male mit diesem Mann“, erzählt sie RTL, „mein erstes Date, meinen ersten Kuss, meine erste Beziehung und eben auch mein erstes Mal Sex.“ Doch dann folgt ein Schock auf den anderen. Sarah erfährt, dass ihr Freund sie mit einer anderen betrügt, wenig später macht er über Whatsapp mit ihr Schluss. Für die junge Frau eine große emotionale Belastung, die noch einmal anwächst, als sie mit einem Mal Bauchschmerzen bekommt. „Ich hatte ziehende Schmerzen vom Hüftknochen bis zu den Rippen, als würde mich jemand in die Länge ziehen“, erinnert Sarah sich. Vielleicht hat sie einen Infekt? Oder eine Zyste? Auch eine Schwangerschaft kommt ihr in den Sinn. „Da sind die Gedanken schon gekreist. Und ich habe mir in Gedanken ein Szenario zurechtgelegt, wie ich reagieren würde, wenn es tatsächlich ein Kind wäre.“
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Sarah geht zum Frauenarzt, lässt einen Ultraschall machen und weiß in dem Moment instinktiv, dass sie schwanger ist. „Ich hatte das irgendwie im Bauchgefühl.“ Sie habe ihre Frauenärztin sogar darum gebeten, den Monitor wegzudrehen, damit sie den Bildschirm nicht sehen kann. „Leider war ihre Diagnose genau die, die ich nicht hören wollte“, sagt Sarah. „Ich war schwanger.“ Und das schon relativ weit fortgeschritten. Nur ein paar Tage später – und eine Abtreibung wäre nicht mehr infrage gekommen. „Ich habe echt noch mal Glück gehabt.“
"Windeln wechseln stand nicht auf meinem Plan"
Sie sei sich sofort sicher gewesen: Ich will dieses Kind nicht behalten. „Ich war gerade 18, hatte mein Fachabitur gemacht und wohnte noch bei meiner Mutter in einer 3-Zimmer-Wohnung. Ich hätte dem Kind nichts bieten können!“ Sie habe sich einfach zu jung gefühlt, um für ein solch kleines Wesen zu sorgen. „Und Windeln wechseln stand nicht auf meinen Plan“, sagt sie. Im Gegenteil, sie habe reisen, feiern, ihren Abschluss und eine Ausbildung machen wollen. „Ein Kind hätte mir alles verbaut, hätte mir all meine Träume genommen.“ Sie habe die Trennung und den Betrug von ihrem Ex-Freund irgendwie wegstecken können, „aber, dass ich dann schwanger wurde, habe ich nicht mehr ertragen. Ich hätte jeden Tag in die Augen meines Ex-Partners geschaut, der mich betrogen und belogen hat.“
Deshalb nimmt Sarah noch am selben Tag einen Beratungstermin in Anspruch. Ihre Meinung ändert sie aber nicht. „Ich war mir meiner Entscheidung sicher. So sicher, als würde jetzt mein Sohn in einem brennenden Haus sitzen und ich würde definitiv hineinrennen, um ihn zu retten. Das war keine Frage, die über das Leben und Tod des Kindes entscheidet, sondern eine, die über mein Leben entscheidet.“ Sie habe diese Entscheidung bewusst allein getroffen. „Ich wollte niemanden haben, der mir da reinredet.“
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An den Eingriff später kann Sarah sich kaum noch erinnern, das Geschehene sei nur noch „undeutlich“ in ihren Erinnerungen. Sie habe sich wie von einem Laster überrollt gefühlt. „Nur die Kanüle im Handrücken und die blutige Netzunterhose zeugten von dem, was geschehen war.“ Ansonsten habe sie genau so weitergemacht, wie sie auch aufgehört habe und sei am nächsten Tag einfach in die Schule gegangen. „Ich war direkt wieder voll im Leben und habe mir versucht, nichts anmerken zu lassen.“
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Aus ihrem Umfeld bekommt Sarah kaum Unterstützung
Bis heute bereut Sarah den Schwangerschaftsabbruch nicht. Trotzdem wissen nur wenige in ihrem Umfeld von dem Eingriff. Auch ihre Mutter erfährt es aus Zufall. „Meine Mama hat sich durch einen Schicksalsschlag sehr in die esoterische Richtung entwickelt und immer gesagt, jede Seele habe eine Bestimmung“, so Sarah. Sie habe das immer sehr befremdlich gefunden und nicht das Gefühl gehabt, ihre Mutter einweihen zu können. Doch dann bekommt Sarah vor ein paar Jahren einen Sohn und ihrer Mutter fällt der Krankenhausbericht in die Hände. „Darin war vermerkt, dass es meine 2. Gravida, also meine zweite Schwangerschaft gewesen war.“ Und wie hat ihre Mutter reagiert? „Sie hat mir eine gescheuert. Ich war 24 Jahre alt und meine Mutter hat mir eine gescheuert.“ Mittlerweile mache sie ihr zwar keine Vorhaltungen mehr, habe damals aber eben eine sehr eingefahrene Meinung zu diesem Thema gehabt.
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Und auch viele ihrer Freunde lässt sie im Dunkeln. „Ich hatte immer das Gefühl, wenn ich mich gegen ein Baby entscheide, hassen mich alle.“ Vereinzelt erfahren Freunde per Zufall von ihrer Abtreibung, die meisten haben selbst Kinder und sagen Sarah: „Da hast du aber einen Fehler gemacht.“ Oder: „Das hätte dein Leben bereichern können.“ „Sie hätten das ja niemals machen können“, zitiert Sarah eine Freundin. Nur eine Freundin habe Verständnis gezeigt, weil sie selbst keine Kinder hatte haben wollen. Es sei paradox, sagt sie. „Treibt man ab, versucht man sich aus der Verantwortung zu ziehen. Behält man das Kind und kann diesem nichts bieten, ist man eine schlechte Mutter.“
Wie ist Ihre Meinung dazu?
Sarahs Rat: "Vertraut euch jemanden an!"
Eine Sache würde Sarah allerdings anders machen, die sie auch anderen Frauen empfiehlt, die in einer ähnlichen Situation wie sie damals stecken: sich auf jeden Fall einer Person anzuvertrauen. „Das hat mir teilweise gefehlt, mit einer Person darüber zu reden, die mir nicht sagt, was für eine Scheiße ich gebaut habe“, sagt Sarah. „Abtreibungen geschehen aus den unterschiedlichsten Gründen, wenn man das dann verheimlichen muss, sollte man eine Bezugsperson haben, die empathisch ist. Jemand, der mit der Situation umgehen kann und sich mal anhört, was man zu sagen hat.“
Denn sie ist ehrlich: Die ewige Lügerei sei ermüdend gewesen. „Ich musste mir ja für jeden eine Ausrede einfallen lassen und mir die auch noch merken.“ Sie habe immer behauptet, sie habe eine Zyste gehabt, blute deshalb wie ein Tier und leide an Kreislaufproblemen. „Ich habe ins Blaue gelogen, behauptet, die Zyste sei im Eierstock gewesen, irgendwie tief im Kanal drin, und dass ich nie richtig verstanden habe, was die Ärzte mir da erklärt haben.“ Dabei müssen die Leute ihre Entscheidung ja nicht mögen. „Sie müssen sie einfach nur akzeptieren und respektieren.“
Das tut übrigens auch ihr jetziger Partner, der von Sarahs Schwangerschaftsabbruch Bescheid weiß. Er hat damit kein Problem. „Eigentlich wollte ich immer die klassische Reihenfolge haben: einen Partner, etwas reisen, sich verloben, dann heiraten, ein Haus kaufen und schließlich Kinder bekommen“, so Sarah. „Stattdessen war alles total durcheinander.“ Trotzdem: „Ich bereue meine Entscheidung bis heute nicht und denke noch immer, dass es die Richtige für mich in meiner Situation war. Ich war selbst noch ein Kind, wie hätte ich da für ein kleines Lebewesen sorgen sollen? Wahrscheinlich hätte ich es ihm nie verziehen, mein Leben versaut zu haben.“ So wie es jetzt sei, sei es eindeutig besser. „Kinder sollten eine Bereicherung sein, der fleischgewordene Beweis für die Liebe zwischen zwei Menschen. Und nicht in diese Welt gezwungen, in eine Familie hineingeboren, die es nicht leben kann.“
Ungewollt schwanger?
Für eine nicht geplante Schwangerschaft kann es zahlreiche Ursachen geben. Welche Möglichkeiten es bei einer nicht gewollten Schwangerschaft gibt und wo Sie Beratung finden – hier haben wir die wichtigsten Themenpunkte rund um eine ungewollte Schwangerschaft zusammengestellt.