Zu wenig Ärzte, wenig InformationenSafe Abortion Day: Warum der Schwangerschaftsabbruch (k)ein Tabuthema ist

Eine Schwangerschaft abzubrechen, fällt keiner Frau leicht. Für 95 Prozent derjenigen, die eine Abtreibung durchführen lassen, ist es einer Studie zufolge allerdings die richtige Entscheidung. Doch bis dahin ist es für viele im wahrsten Sinne ein weiter Weg. Wer sich dafür entschließt, muss nicht nur die Kosten zwischen 350 bis 600 Euro selbst bezahlen, sondern immer öfter auch weite Strecken zurücklegen - die Zahl der Arztpraxen und Kliniken, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, sinkt. Stigmatisierung von Medizinern, die den Eingriff durchführen, erschwert die Situation zusätzlich. Der Aktionstag „Safe Abortion Day“ soll auf die Probleme aufmerksam machen.
Bis zu 200 Kilometer, um Schwangerschaftsabbruch durchführen zu lassen
Ungewollt Schwangere, die einen Abbruch durchführen lassen wollen, müssten bis zu 200 Kilometer zurücklegen, so Dr. Ines Scheibe vom bundesweiten Bündnis für sexuellen Selbstbestimmung. „Das Grundrecht auf medizinische Versorgung wird bereits seit langem nicht mehr von Bund und Ländern abgesichert. Vor allem in Flächenstaaten sind bereits ganze Landstriche ohne Ärztin oder Arzt, die einen fachgerechten Schwangerschaftsabbruch durchführen. Aber es gibt auch zunehmend in Städten ein Versorgungsproblem“, so Scheibe, die auch in der Schwangerschaftskonfliktberatung tätig ist.
Sie sieht vor allem zwei Ursachen dafür: Einerseits werden sowohl ungewollt Schwangere als auch Ärztinnen und Ärzte, die Abbrüche durchführen, stigmatisiert und kriminalisiert. Anderseits werde das Thema an sich noch immer tabuisiert.
Abtreibungsgegner machen sich Liste zunutze
Den Hauptgrund dafür sehen die Aktivisten im Paragrafen 219a des Strafgesetzbuchs zum sogenannten Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche. Dieser regelte bis zum Februar 2019, dass man – „seines Vermögensvorteils wegen oder in grob anstößiger Weise“ - öffentlich keine Abtreibungen anbieten durfte. Mit Hängen und Würgen einigte sich die Große Koalition dann auf einen Kompromiss: Das Werbeverbot bleibt, wird aber ergänzt. Ärzte und Kliniken dürfen seitdem darüber informieren, dass sie Abtreibungen anbieten. Für weitergehende Informationen müssen sie allerdings auf Behörden und Beratungsstellen verweisen. Die Grünen nannten es „absurd“, dass Ärzten zwar das Wort Schwangerschaftsabbruch erlaubt werde, jede weitere Silbe aber strafbar bleiben solle. Damit trage Paragraf 219a zur Stigmatisierung von Abbrüchen bei.
Auch Scheibe kritisiert: „Solange es einen § 219a im Strafgesetzbuch gibt, der Informationen verbietet, ist es sowohl für etablierte Mediziner und Medizinerinnen aber auch angehenden Ärzte und Ärztinnen nicht attraktiv, Schwangerschaftsabbrüche in ihr Leistungsspektrum aufzunehmen. Daher war auch der Vorstoß, dass Universitätskliniken dazu verpflichtet werden müssen, ein Schritt in die richtige Richtung. Die sogenannte Reform des 219a hingegen war sinnlos und sogar schädlich. Mit der bundesweiten Liste von Ärzten und Ärztinnen, die Abbrüche durchführen, wurde ein neuer Pranger geschaffen, den sich Abtreibungsgegner für ihre Hetze zu Nutze machen.“
Im Video: Das macht die Abtreibungspille mit unserem Körper
Abtreibungsdebatte in Deutschland

Dies sieht auch Dörte Richter, Leiterin der Beratungsstelle von Pro Familia in Potsdam so. „Grundsätzlich wäre es wünschenswert, wenn die Arztpraxen die Möglichkeit zum Abbruch in der jeweiligen Praxis transparent auf ihren Internetseiten kommunizieren könnten, ohne befürchten zu müssen, diesbezüglich juristisch belangt zu werden“, sagte sie dem „Tagesspiegel“. Manche Praxen befürchteten, von Abtreibungsgegnern angegriffen zu werden und entschieden sich daher gegen die freiwillige Publikation.
Laut des Bundesvorsitzenden der Arbeiterwohlfahrt, Wolfgang Stadler, geht das Problem sogar so weit, dass Mediziner aus Angst vor Angriffen durch Abtreibungsgegner keine Schwangerschaftsabbrüche mehr anbieten. Das Recht von Frauen auf gute medizinische Versorgung und eine freie Arztwahl sei dadurch gefährdet. „Die Corona-Pandemie hat überdeutlich gezeigt, dass es in der Mehrzahl Frauen sind, die unsere Gesellschaft tragen, sei es in den systemrelevanten Berufen oder bei der privaten Fürsorgearbeit zu Hause“, so Stadler. „Parallel haben sie immer noch nicht die Entscheidungsfreiheit über alle Aspekte ihres eigenen Lebens. Das Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch ist aus Sicht der AWO elementar für ein selbstbestimmtes Leben.“