Es wirkt alles wie ein Spionage-Thriller - aber ist die Geschichte womöglich ZU spektakulär?

Was geschah auf der Nord-Stream-Sabotage-Yacht Andromeda wirklich? RTL-Reporter zeigen auf der Yacht Widersprüche auf

RTL-Reporter auf Yacht: Hier wurde der Sprengstoff gelagert Nordstream Sabotage
01:51 min
Nordstream Sabotage
RTL-Reporter auf Yacht: Hier wurde der Sprengstoff gelagert

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von Tom Kollmar und Lukas Wilhelm

Sechs Personen, kiloweise Sprengstoff und eine Segelyacht. Laut Medienberichten sind das die Zutaten für die Sprengungen an den Pipelines Nord-Stream 1 und 2. Eine solch schwierige Mission auf einem Segelschiff - kann das wirklich sein? Unsere Reporter haben die Yacht ausfindig gemacht und decken dort Widersprüche auf.

Lese-Tipp: Exklusive Aufnahmen aus dem Boot: RTL-Reporter finden die Sabotage-Yacht

Ex-Kampfschwimmer der Bundeswehr hat Zweifel an der bekannten Version

Auf diesem Tisch  der Jacht sollen Sprengstoffspuren gefunden worden sein.
Auf diesem Tisch sollen Sprengstoffspuren gefunden worden sein.
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Das Schiff, welches die sechs mutmaßlichen Täter zu den Pipelines Nord-Stream 1 und 2 transportiert haben soll, hat eine spießige Inneneinrichtung. Wände, Schränke und Tisch sind aus hellem Holz, der Boden ist ein brauner Teppich mit weißen Streifen. Die Andromeda bietet wenig Luxus, dafür viel Platz. Und den brauchten die Täter auch.

Wenn die Fakten, die vergangenen Woche bekannt wurden, wirklich stimmen.

Laut Medienberichten sollen mit dem Schiff, welches RTL/ntv-Reporter exklusiv betreten durften, zwei Taucher, zwei Tauchassistenten, eine Ärztin und ein Skipper über Rostock und Rügen auf die Ostsee gefahren sein. Dort sollen sie mit bis zu zwei Tonnen Sprengstoff die Pipelines an vier Stellen gesprengt haben. In bis zu 80 Meter Tiefe.

Das alles klingt wie ein spektakulärer Agententhriller. Für viele zu spektakulär.

Es gibt erhebliche Zweifel an der kürzlich von mehreren Medien veröffentlichten Geschichte. Auch Jens Höner hat diese. Der pensionierte Kampfschwimmer der Bundeswehr ist mit den Reportern auf dem Schiff, gemeinsamen schauen sie sich die Gegebenheiten vor Ort an. Hält er die Abläufe für plausibel? „Meine persönliche Einschätzung ist: Nein, das ist nicht möglich“, sagt Höner. Doch er gibt auch zu bedenken: „Theoretisch denkbar ist natürlich alles. Dann müssten das aber außergewöhnliche Leute gewesen sein. Ansonsten halte ich das für nicht durchführbar.“

"Aus militärischer Sicht würde man so ein Schiff für eine solche Mission nicht einsetzen"

Jens Höner ist pensionierte Kampfschwimmer der Bundeswehr. Er ist mit den RTL-Reportern auf dem Schiff und hat Zweifel an den bisher angenommenen Abläufen.
Jens Höner ist pensionierte Kampfschwimmer der Bundeswehr. Er ist mit den RTL-Reportern auf dem Schiff und hat Zweifel an den bisher angenommenen Abläufen.
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Zwei Tonnen Sprengstoff, Tauchequipment, sechs Personen und Proviant für einen Monat. Ganz schön viel für eine Yacht von 15 Meter Länge, die bis zu 11 Personen transportieren kann. Zu viel? Höner überlegt kurz und atmet laut aus.

„Von der Menge her bekomme ich das untergebracht. Die Frage ist eher, wie ich mit dem Material vor Ort arbeiten kann.“ Die Yacht ist eng, schon ohne kiloweise Sprengstoff an Bord. Und der musste wahrscheinlich an Bord zusammengesetzt und mit einem Zünder versetzt worden sein. „Das alles so angewendet werden kann, wie es vorgesehen ist, das halte ich für relativ unwahrscheinlich“, sagt der ehemalige Kampfschwimmer.

Seit Monaten rätselt die Öffentlichkeit in Deutschland und anderen Ländern darüber, wer für die Explosionen an den Pipelines Nord-Stream 1 und 2 verantwortlich sein könnte. Im März folgten dann die Enthüllungen rund um die Andromeda.

Von der Bundesanwaltschaft hieß es dazu lediglich, dass sie im Januar ein Schiff durchsuchen ließ, und zwar "im Zusammenhang mit einer verdächtigen Schiffsanmietung". Es bestehe der Verdacht, dass das Schiff zum Transport von Sprengsätzen verwendet worden sei, die am 26. September 2022 an den Pipelines explodiert waren.

„Aus Sicht der Tarnung ist die Wahl der Andromeda nicht schlecht. Aber aus militärischer Sicht würde man so ein Schiff für eine solche Mission nicht einsetzen. Ein Segelboot ist einfach unhandlich,“ kommentiert Höner.

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Warum fanden die Ermittler nur Spuren auf dem Tisch und nicht im ganzen Schiff?

Die Andromeda liegt aktuell auf dem Trockenen. Die Segelyacht steht auf dem Gelände eines ausrangierten Militärhafens. Seetüchtig ist sie aktuell nicht. Der Grund dafür sind die Ermittlungen des Bundeskriminalamtes. Nach Informationen von RTL und ntv war das BKA im Januar drei Tage auf dem Schiff, um Spuren zu sichern. Dabei entdeckten sie wohl auch Sprengstoffrückstände auf dem Tisch im Inneren der Yacht. Dass die Spuren noch nachweisbar waren, liegt vermutlich daran, dass die Yacht nach der mutmaßlichen Sabotagefahrt nicht mehr vermietet wurde. Es gab keine Buchungsanfragen.

Doch warum fanden die Ermittler nur Spuren auch dem Tisch? Und nicht auf dem ganzen Schiff, dass bei einer mutmaßlichen Menge von bis zu zwei Tonnen Sprengstoff, wohl bis unters Dach beladen gewesen sein muss? Das liegt laut Höner daran, dass der Sprengstoff in Tüten verpackt gewesen sein könnte. Erst am Tisch habe man ihn dann zusammengesetzt. Die Frage sei eher, wie man die Sprengladung vom Tisch auf das Deck bekommen habe. Der schmale Eingang ist höchstens einen Meter breit, eine steile Holztreppe führt hinaus. Das nächste Problem: Wie bekommt man den Sprengstoff ohne Kran ins Wasser und verhindert, dass dieser nicht sofort davontreibt?

Exklusive Aufnahmen aus der Sabotage-Yacht Sprengungen der Nord-Stream-Pipeline
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Sprengungen der Nord-Stream-Pipeline
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War möglicherweise ein zweites Schiff im Spiel?

Laut Medienberichten sollen vier Sprengladungen mit bis zu 500 Kilo Sprengstoff verwendet worden sein. Für Höner wären auch sogenannte Grundminen denkbar. Diese sind vom Militär extra für solche Einsätze konzipiert worden – und würden bedeuten, dass die mutmaßlichen Täter Unterstützung eines staatlichen Akteurs gehabt haben müssen. Und: Dass ein zweites Schiff diese an den Ort gebracht und ins Wasser gelassen haben muss.

Für Verwirrung und Spekulationen sorgt zuletzt ein Tanker, der zum mutmaßliche Tatzeitpunkt in dem Seegebiet umherfuhr – ohne erkennbaren Grund. Ein dänischer Datenanalyst Namens Oliver Alexander wies bereits vor Bekanntwerden der jüngsten Berichte auf diese Tatsache hin. Wenn die Yacht aus Rostock den Sprengstoff dort platziert hat, dann müssten die beiden Schiffe zwischenzeitlich vielleicht sogar in Sichtweite gefahren sein. Alexander bringt eine mögliche Mittäterschaft der "Minerva Julie" ins Spiel, die bislang allerdings nicht bestätigt werden kann.

Kampfschwimmer Höner hält eine Zwei-Boot-Theorie für möglich – mit Einschränkungen: „Sinnvoll wäre es, wenn das zweite Boot die Sprengladungen gebracht hätte. Aber angeblich wurden ja Rückstände auf dem Segelboot gefunden.“ Höners Fazit: „Ich kann mir das alles nicht erklären.“

Ermittlungen müssen klären, was wirklich geschehen ist

RTL-Reporter Tom Kollmar und Lukas Wilhelm können die Yacht exklusiv in Betracht nehmen.
RTL-Reporter Tom Kollmar und Lukas Wilhelm können die Yacht exklusiv in Betracht nehmen.
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Auf Anfrage von RTL/ntv schreibt sich die zuständige Reederei der Minerva Julie: „Das Treiben in einem Seegebiet in Erwartung von Fahrtaufträgen ist übliche Schifffahrtspraxis, und in diesem Fall gab es nichts Ungewöhnliches.“ Und weiter: „Minerva Marine Inc. stand und steht allen zuständigen Behörden bei allen Untersuchungen zur Verfügung und handelt stets auf legitime und transparente Weise.“

Transparent ist die Geschichte rund um die Segelyacht Andromeda noch lange nicht. Was wirklich geschehen ist, müssen nun die Ermittlungen klären.

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