Mutmaßliche Mörder auf freiem Fuß"Hier wird es keine Gerechtigkeit geben" - Justiz-Drama um zerstückelten Marco W. aus Bremen geht weiter

08.02.2023, Bremen: Zwei Angeklagte stehen vor Prozessbeginn im Gerichtssaal und verbergen ihre Gesichter. Drei Männern wird vorgeworfen, im April 2020 einen Mann getötet zu haben. Foto: Sina Schuldt/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Zwei Angeklagte stehen vor Prozessbeginn im Gerichtssaal und verbergen ihre Gesichter.
ssd jat, dpa, Sina Schuldt

„Ich habe seit Wochen eine Unruhe in mir“, sagt Lisa-Marie Michalke kurz vor dem Prozessbeginn im RTL-Interview. Ihr Bruder, Marco W., wird im April 2020 umgebracht, seine Leiche zerstückelt. Die Männer, die diese grausame Tat begangen haben sollen, werden aber wieder aus der Untersuchungshaft entlassen und sind seitdem auf freiem Fuß. Erst jetzt startet der Prozess in Bremen.

Wurde Marco W. von seinen Mietern umgebracht?

Lisa-Marie Michalke steht den mutmaßlichen Mördern ihres Bruders gegenüber. Zwei der Männer kennt sie persönlich.
Lisa-Marie Michalke steht den mutmaßlichen Mördern ihres Bruders gegenüber. Zwei der Männer kennt sie persönlich.
RTL

Lisa-Marie Michalke steht an diesem Mittwochmorgen mit ihrem Anwalt vor dem Landgericht in Bremen. Es ist kalt, die 28-Jährige fröstelt auch in Bezug auf den anstehenden Prozess. „Ich werde hier reingehen mit dem Gedanken, dass es hier keine Gerechtigkeit geben wird, es gibt einfach nur ein Urteil. Weil, wenn man sich die Frage stellt, was ist gerecht für so eine Tat, hat man glaube ich nicht wirklich eine Antwort drauf“, beschreibt sie ihre Gefühlslage.

Ihr Bruder ist tot, drei Männer sollen dafür verantwortlich sein. Zwei davon kennt die junge Frau persönlich, sie waren Mieter von Marco W. „Ich möchte deren Gestik, deren Mimik miterleben. (...) Wir hatten jetzt nicht so ein gutes Verhältnis, aber wir hatten schon einen guten Kontakt.“

Späte Festnahmen nach mutmaßlichem Mord

Patrick E., Florian G. und Mirco P. müssen sich wegen eines gemeinschaftlichen Mordes aus Habgier verantworten. Im April 2020 sollen sie zuerst so lange auf den 46-jährigen Marco W. eingeschlagen haben, bis er das Bewusstsein verlor. Offenbar, weil sie an Geldkarten und entsprechende Pins kommen wollten.

Laut Anklage sollen sie ihn dann in den Keller des Hauses gebracht und zu Tode stranguliert haben. Erst im Oktober und November 2021 (!) werden die Verdächtigen festgenommen. Weil aber der Fall offenbar so komplex ist, startet die Hauptverhandlung nicht innerhalb der vorgegebenen 6-Monats-Frist und die drei Männer müssen aus der Untersuchungshaft entlassen werden. Seitdem sind sie frei.

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Waren die Vernehmungen unrechtmäßig?

Als wäre das nicht schon genug Aufregung um das Verfahren, erhebt die Verteidigung zum Prozessauftakt schwere Vorwürfe gegen die Ermittler. Sie ist der Meinung, dass die Vernehmungen der Verdächtigen unrechtmäßig gewesen seien. „Unrechtmäßig deswegen, weil man einem Beschuldigten vorgegaukelt hat, als Zeuge in einem Körperverletzungsverfahren vernommen zu werden, während er tatsächlich faktisch Beschuldigter in einem Mordverfahren war - weil man anderen Beschuldigten, einem Beschuldigten, über lange Zeit verschwiegen hat, dass man in der Sache wegen Mordes gegen sie ermittelt und versucht hat, ihnen Angaben zu entlocken, mit denen sie sich belasten können, ohne das transparent zu machen“, erklärt Temba Hoch, einer der Verteidiger von Florian G. Die Männer schweigen zu Verhandlungsbeginn zu den Vorwürfen.

Fällt im Juni ein Urteil?

Schon jetzt droht ein sehr langes Verfahren – das Gericht hat den vorerst letzten Prozesstag für den 1. Juni 2023 angesetzt – mehr als drei Jahre nach der Tat. Darunter leiden könnte besonders Lisa-Marie Michalke, denn sie wünscht sich, dass das Verfahren schnell abgeschlossen wird – „dass endlich eine Beerdigung stattfinden kann.“ Denn noch immer ist der Leichnam ihres Bruders nicht freigegeben. (cto, dka)